KNA (Katholische Nachrichten-Agentur): Herr Lau, wieso erkennen Sie in den Bergen so fix, mit wem Sie es zu tun haben?
Ludwig Lau (Pastoralreferent im Bistum Augsburg): Das fängt schon mit dem Gepäck an. Da gibt es Leute, die nehmen ein Brot und etwas Wasser mit, andere hingegen packen für ein paar Stunden Tour gleich ihren halben Hausrat ein. Da ahne ich: Das ist entweder jemand, der leichtfüßig durchs Leben geht. Oder jemand, der auch im Alltag einige Last mit sich herumschleppt, der nicht leicht loslassen kann. Und auch beim Laufen zeigen die Leute dann, was sie für Typen sind.
KNA: Wie das?
Lau: Da gibt es die Ungeduldigen, die immer schnell vorankommen müssen, die sich nur schwer Ruhe, Genuss und Gelassenheit gönnen können. Und auf der anderen Seite diejenigen, die langsam sind. Entweder, weil sie ihre Umgebung bewusster wahrnehmen, oder weil sie nicht so fit sind. Dann wiederum kann man sehen, ob sie das äußern, ob sie also die Schnellen um Rücksicht bitten, oder nicht. Auch dieses Verhalten kann den grundsätzlichen Charakter spiegeln: Da zeigt womöglich jemand, dass er im Leben oft Dinge erduldet und nicht wagt, auf sich und seine Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Insoweit kann ich schon behaupten: Geh ins Gebirge und ich sage dir, wer du bist.
KNA: Was machen Sie mit solchen Erkenntnissen?
Lau: Ich thematisiere sie gemeinsam mit den Exerzitienteilnehmern. Viele werden sich ihrer Eigenschaften dann das erste Mal richtig bewusst. Und das kann dann der erste Schritt zu einem offenen Umgang damit sein, unter Umständen zu einer Änderung des eigenen Verhaltens. Darin besteht ja der Sinn solcher Auszeiten, wie ich sie organisiere: Man soll sich einmal aus dem gewohnten Umfeld herausnehmen, um sich selbst und die Umwelt bewusst zu machen und über die eigene Rolle darin zu reflektieren.
KNA: Was bewirkt das bei den Teilnehmern?
Lau: Das kann natürlich ans Eingemachte gehen. Wenn ich etwa nach dem Gepäck im Leben frage, dann können da Sachen aus der Seele hervorbrechen, die man bisher lange verdrängt und in sich vergraben hat. Da fließen dann auch schon mal Tränen.
KNA: Spielt die Bergkulisse dabei eine besondere Rolle?
Lau: Insofern schon, als die Berge den Menschen natürlich näher an den Himmel heranbringen, ans Oben, was auch immer da sein mag. Als sie ihn außerdem klein machen. Denn man schaut ja zu ihnen auf, man gerät ins Staunen über die Natur, man wird ehrfürchtig, demütig, dankbar dafür, dass es so etwas Schönes gibt. Und so gewinnt der Mensch dann wiederum an Größe: dadurch, dass er begreift, dass er ein Teil einer wundersamen Umwelt ist, die es zu schützen und zu bewahren gilt.
KNA: Muss man für eine solche Empfindsamkeit gläubig sein?
Lau: Nein. Das muss man generell nicht bei meinen Exerzitien. Man muss nur offen sein. Dafür, dass ich ab und zu geistliche Impulse gebe und dabei auch von Jesus spreche. Aber das können auch Atheisten aushalten. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass gerade die in den Bergen eine Ahnung davon bekommen könnten, dass sie nicht nur von Natur, sondern von Schöpfung umgeben sind. Dass so etwas buchstäblich Herausragendes nicht einfach so entstanden, sondern gezielt geschaffen worden ist.
KNA: Glauben funktioniert also in den Bergen besonders gut?
Lau: Zumindest lässt er sich dort wohl leichter nachvollziehen für Menschen, die damit sonst wenig am Hut haben. Denken Sie zum Beispiel an einen Gipfel, der gerade mal im Nebel verschwunden ist. Nur weil Sie ihn nicht sehen, zweifeln Sie dann ja doch nicht daran, dass es ihn wirklich gibt.
Das Interview führte Christopher Beschnitt.