Als am 24. April 2013 in Bangladesch die Textilfabrik Rana Plaza einstürzte, war dies das bislang schlimmste Unglück in der Textilindustrie: Über 1.100 Menschen kamen ums Leben, über 2.000 Menschen wurden verletzt. Immer wieder kommt es zu derartigen Katastrophen, weil Sicherheitsvorkehrungen missachtet werden und Arbeitsbedingungen mangelhaft sind. Das Rana Plaza wurde zum Mahnmal für die Menschenrechtslage in Billiglohnländern, wo auch für den deutschen Markt produziert wird.
"Es geht hier um Produkte, die wir im reichen globalen Norden konsumieren", sagt der Generalsekretär des Internationalen Kolpingwerkes Markus Demele. "Diese Verbindung ist so evident, dass die Kirche, die durch die katholische Soziallehre seit vielen Jahrzehnten eine starke Stimme für die Rechte von arbeitenden Menschen ist, hier nicht schweigen kann."
Menschenwürdige Arbeit
Kolping International ist Teil der "Initiative Lieferkettengesetz", ein breites Bündnis aus über 100 zivilgesellschaftlichen Organisationen, die schon länger fordern, dass Unternehmen, die im Ausland produzieren, in ihren Produktionsstätten auch auf die Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards achten. "Denn die Würde des Menschen gilt auch bei der Arbeit", so Demele. Dort, wo Staaten zu schwach seien, diese Rechte durchzusetzen, müssten es andere starke Akteure machen. Unternehmen seien oftmals starke Akteure und damit in der Pflicht, sich für die Menschenwürde einzusetzen, sagt er.
Die deutsche Politik hatte es zunächst mit freiwilligen Selbstverpflichtungen versucht, doch ein nationaler Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte blieb weitgehend wirkungslos, nicht einmal jedes fünfte Unternehmen in Deutschland hatte sich beteiligt.
Jetzt sollen sie per Gesetz dazu verpflichtet werden, Menschenrechte und Umweltvorgaben in ihren Lieferketten weltweit einzuhalten. Kinder- und Zwangsarbeit, unfaire Löhne oder umweltschädliche Arbeits- und Produktionsbedingungen sollen damit verhindert werden. Im Februar einigte sich die Bundesregierung auf einen entsprechenden Gesetzentwurf. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sprach von einem "historischen Durchbruch"; kein Gesetz auf der Welt sei so ambitioniert, wie das deutsche Lieferkettengesetz.
Kritik von kirchlicher Seite
Diesen Enthusiasmus teilen zivilgesellschaftliche Vertreter nicht. Sie begrüßen das Gesetz als längst überfälligen Schritt, fordern jedoch Nachbesserungen: Die "Christliche Initiative Romero" kritisiert fehlende Haftungsregelungen, die es den Opfern von Menschenrechtsverletzungen ermöglichen würde, vor deutschen Gerichten zu klagen. Die Präsidentin von Brot für die Welt, Dagmar Pruin, erklärte mit Blick darauf, dass das Gesetz zunächst nur für große Unternehmen gelten soll: "Verantwortung für Menschenrechte und Umwelt ist keine Frage der Unternehmensgröße".
Der aktuelle Regierungsentwurf verpflichtet Großunternehmen dazu, auf Menschenrechtsverstöße in ihren eigenen Betrieben und bei den direkten Zulieferern zu achten. Bei mittelbaren Zulieferern, die ein Unternehmen nicht direkt beliefern, müssen sie erst reagieren, wenn sie Kenntnisse von Missständen erhalten. Auch diesen Umstand hält die "Initiative Lieferkettengesetz" für nicht ausreichend.
Vertreter aus der Wirtschaft und Teile der Union hingegen befürchten Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen und eine Flut von Schadensersatzklagen. Der Wirtschaftsrat der CDU bezeichnete das Lieferkettengesetz bereits als "linksideologisches Thema" und rief die Abgeordneten der Union dazu auf, es im Bundestag zu "stoppen".
Kolping begrüßt Gesetzentwurf
Markus Demele vom Internationalen Kolpingwerk hält die neuen Regulierungen hingegen für leistbar: "Es geht nicht darum, dass ein Unternehmen jeden einzelnen Zulieferer täglich besucht und kontrolliert. Sondern darum, sorgfältig zu arbeiten und Beschwerdemechanismen einzurichten." Er warnt davor, das Lieferkettengesetz jetzt im parlamentarischen Verfahren zu verwässern oder gar scheitern zu lassen.
"Unser Appell geht ganz klar in Richtung Unionsfraktion: Dort kommen gerade die Widerstände gegen ein starkes und wirksames Gesetz her. Dort gibt es Vertreter, die sich in den Dienst der Wirtschaftsverbände stellen und blockieren. Wir fordern von den Christdemokraten, sich in der Tradition der katholischen Soziallehre jetzt für die Rechte von Menschen bei der Arbeit einzusetzen.“
Ina Rottscheidt