Wenn der Umgang mit Corona Beziehungen zerstört

"Freundschaft trotz Dissens"

Corona spaltet nicht nur die Gesellschaft. Am Thema Impfen zerbrechen langjährige Freundschaften und sogar Familien. Doch was tun, wenn zwei konträre Meinungen aufeinanderprallen? Familienberaterin Heidi Ruster empfiehlt: erstmal zuhören.

Ein junges Paar streitet / © NDAB Creativity (shutterstock)
Ein junges Paar streitet / © NDAB Creativity ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Angenommen, die eigene Großmutter will sich partout nicht impfen lassen und bringt damit nicht nur sich selbst, sondern auch den Familienfrieden in Gefahr. Was ist da die beste Reaktion?

Heidi Ruster (Langjährige Ehe-, Familien- und Lebensberaterin): Auf keinen Fall Druck erzeugen. Es geht schon darum, sich für die Großmutter zu interessieren und sich genau erklären zu lassen, um was es ihr eigentlich geht. Zu versuchen, die eigene Meinung zu parken, um rauszufinden, was sie davon abhält. Denn man darf bei der Großmutter ja immer auch eine gewisse Fürsorge für ihre Familie annehmen. Geht es jetzt darum, dass sie ihren Kopf durchsetzt oder ist es etwas anderes? Jedenfalls nicht diskutieren.

Und dann kann man mal versuchen, das zusammenzufassen. Was habe ich verstanden? Was ist eigentlich los? Welche Sorgen gibt es? Und dann wird der Großmutter schon mal ein Stein vom Herzen fallen, dass sie nicht gleich verurteilt wird, sondern dass man ihr zugehört hat.

Das ist bei diesen hochgekochten, emotional sehr aufgeladenen Gesprächen schwer. Aber letztlich würde ich ihr sagen: So, und jetzt möchte ich, dass du mir bitte mal zuhörst. Wir bitten dich, dich impfen zu lassen. Zum Beispiel weil uns Sorgen umtreiben, dass wir dir, wenn wir dich besuchen kommen, das Virus einfach weitergeben.

Aber auch umgekehrt. Das zum Beispiel sich die Kinder bei dir anstecken. Die sind ja auch gefährdet. Das wissen wir, dass sie zurzeit ordentlich von der Infektion bedroht sind und darunter leiden. Und was geschlossene Kindergartengruppe, womöglich Quarantäne, wenn sie erkranken, bedeuten. Und dass es einfach leichter ist, sich impfen zu lassen, als diese Erkrankung durchzustehen. Also das sagen, was ihre Meinung ist.

DOMRADIO.DE: Das kann eine Zerreißprobe für Familienfeiern werden, wenn da einige ungeimpft auftauchen. Was empfehlen Sie da? Eine klare Ansage im Vorfeld?

Ruster: Ja. Das muss man auch immer sagen, dass es hinter dem Thema, wenn es um diese Zerreißprobe geht, nicht nur um das medizinische Problem und Anliegen geht. Sondern immer die Beziehung oder das Verhältnis gefährdet ist. Wer setzt sich mit seiner Meinung durch. Das kann sehr oft ein Verhältnis nachhaltig zerrütten.

Aber wenn jemand tatsächlich ungeimpft einfach so zu Familienfeiern dazukommt, muss ich sagen, dass es auch gewisse Regeln gibt - zum Beispiel das Hausrecht. Die Gastgeber setzen den Maßstab und machen diesen vor der Feier bekannt. Die Gastgeber bestimmen die Hausregeln. Das ist immer so. Wenn in einem Haushalt gilt, dass man die Schuhe vor der Tür auszieht - ob man das jetzt selbst so gewohnt ist und auch zu Hause macht ist ganz egal - man richtet sich nach seinen Gastgebern.

DOMRADIO.DE: Ich habe schon ein paar Mal erlebt, dass es beim Geburtstagskaffee auf einmal hieß: Bitte nicht das Thema Corona anschneiden, dann war es das mit dem schönen Nachmittag. Totschweigen ist in diesem Fall auch nicht die Lösung, oder?

Ruster: Nein, das ist es nicht. In dem Fall ist es vielleicht auch so, dass man da die Gastgeber respektiert. Wenn die es vorher versäumt haben mit ihren Freunden und ihrer Familie Klartext zu reden, und sie immer noch einen Dissens befürchten, womöglich einen richtig schweren Konflikt, dann ist natürlich der Geburtstagsnachmittag nicht der richtige Ort dafür.

Man kann dann auch den Gastgeber zurückfragen, wie er oder sie es selbst mit der Regel hält. Bist du geimpft? Ich möchte mich nicht selbst gefährden, deswegen hätte ich gern von dir dazu eine Auskunft. Das ist zum Beispiel auch in Ordnung, dass man für sich gut sorgt. Man kann dann entscheiden. Ist derjenige, der dann auch zu erwarten ist, von dem du befürchtest, dass es zu einem Konflikt kommt, geimpft oder nicht. Und dann muss ich selbst entscheiden, ob ich mich zu dieser Gesellschaft geselle oder nicht.

DOMRADIO.DE: Tatsächlich sind ja Einstellungen zu Corona mehr als einfach nur Meinungsverschiedenheiten. Schließlich geht es im Extremfall um Leben und Tod. Wie können wir da Differenzen auf eine gute Weise besprechen, ohne dass wir gleich abgleiten in Vorwürfe oder Unterstellungen?

Ruster: Da hängt schon auch ein starkes Gefühl drin, Sie sprechen von Leben und Tod. Aber dahinter steht eben auch - und das müssen wir uns immer vor Augen führen - die Frage, ob wir nach der Infektion mit diesen betreffenden Menschen noch etwas zu tun haben wollen oder nicht. Oder ist es gerade ein willkommener Anlass, diese Beziehung aufzuräumen und zu kündigen. Das muss man sich vorher selbst fragen, wie viel Engagement und wie viel Anstrengung man in diese Auseinandersetzung legt.

Aber ansonsten gilt natürlich: Wenn ich die Beziehung mag, wenn ich den anderen mag, wenn ich wirklich nur den anderen gar nicht verstehe, dass ich eine Annäherung versuche. Aber oftmals ist es nach den zwei Jahren mittlerweile so verhagelt, dass bei manchen gar nichts mehr geht. Der Standpunkt scheint fest zementiert. Und dann muss man für sich gucken, wenn der Dissens bleibt, wie man damit umgeht.

Und das muss man ansprechen: Du bist da dieser Meinung und ich höre, wie wichtig dir das ist, ungeimpfte zu bleiben. Bei mir ist das genau andersherum, ich kann es mir gar nicht vorstellen. Wie sollen wir jetzt, solange die Infektion unser Leben bestimmt, miteinander die Beziehung gestalten? Sollen wir telefonieren, sollen wir uns draußen treffen? Ich möchte eigentlich auf dich nicht verzichten. Und wie ist das mit dir?

Da geht es um eine sogenannte Beziehungsklärung, dass besprochen wird, wie man mit diesem Dissens umgeht, den es immer zwischen Menschen gibt. Das ist sehr hochgekocht beim Thema Impfen, aber den gibt es auch auf vielen anderen Gebieten. Dass man auch mit seinen Freunden nicht in jeder Weise alle Bereiche, alle Meinungen, alle Werte teilt. Und wie gestaltet man trotz eines Dissens diese freundschaftliche Beziehung? Das ist die Frage, die dahintersteht. Was kann man dafür tun, dass die bleibt?

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Heidi Ruster / © Anja Sabel / Kirchenbote Osnabrück
Heidi Ruster / © Anja Sabel / Kirchenbote Osnabrück
Quelle:
DR