Friedensforscher ziehen ernüchternde Bilanz für Jahr 2023

"Welt taumelt von einer Krise in die nächste"

Deutsche Friedensforscher ziehen eine ernüchternde Bilanz für das vergangene Jahr. Dieses wird negativ in die Geschichte eingehen. Das liegt nicht nur an den Kriegen in Gaza und der Ukraine. Auch in Afrika schwelen viele Konflikte.

Autor/in:
Alexander Riedel
Symbolbild Menschen im Gaza-Streifen leiden unter Hunger / © Mohammed Talatene (dpa)
Symbolbild Menschen im Gaza-Streifen leiden unter Hunger / © Mohammed Talatene ( dpa )

Das vergangene Jahr war aus Sicht von deutschen Friedensforschern kein gutes.

Es werde negativ in die Geschichte eingehen als das Jahr, in dem die weltweiten Militärausgaben einen Höchststand erreicht hätten und es mehr Gewaltkonflikte als je zuvor gegeben habe, sagte Ursula Schröder vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg am Montag in Berlin bei der Vorstellung des diesjährigen "Friedensgutachtens" mehrerer Forschungsinstitute. Zugleich sei 2023 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen mit zahlreichen Klimaextremen gewesen.

Das Friedensgutachten wird jährlich vom Bonn International Centre for Conflict Studies, dem Leibniz-Institut Hessische Stiftung Frieden- und Konfliktforschung, dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und dem Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen herausgegeben.

Von einer Krise in die nächste

"Seit Jahren taumelt die Welt von einer Krise in die nächste", sagte Schröder weiter. Es gebe mehr Krieg und Gewalt, mehr Aufrüstung auf allen Seiten und mehr globale Konfrontation - und damit weniger Frieden.

Zwar dominierten die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine die Berichterstattung in den Medien, doch mehr als die Hälfte aller Gewaltkonflikte spiele sich in Afrika südlich der Sahara ab, erinnerte die Friedensforscherin. Deutschland sollte sich etwa in der Sahelzone weiter diplomatisch und entwicklungspolitisch engagieren und Leitlinien für den Umgang mit Putschisten und Autokratien entwickeln.

Ukraine, Butscha: Zwei ukrainische Soldaten gehen auf einer Straße, die übersät ist mit zerstörten russischen Militärfahrzeugen / © Rodrigo Abd (dpa)
Ukraine, Butscha: Zwei ukrainische Soldaten gehen auf einer Straße, die übersät ist mit zerstörten russischen Militärfahrzeugen / © Rodrigo Abd ( dpa )

Frieden sei in vielen Teilen der Welt in weite Ferne gerückt und Wege zum Frieden kaum erkennbar, beklagte Schröder. Demokratische Institutionen würden nachhaltig geschwächt, autoritäre und populistische Tendenzen nähmen zu. In der deutschen Politik vermisse man eine langfristige und weitsichtige Gestaltung mit Mut zur Transformation. Gerade wenn kurzfristige Erfolge unwahrscheinlich seien, müssten politische Strategien mit langem Atem entwickelt werden.

Plädoyer für politischen Prozess in Nahost

Mit Blick auf den Gazakrieg sei etwa allen Widerständen zum Trotz ein politischer Prozess nötig, sagte Schröder. Notwendige erste Schritte wären die sofortige Freilassung aller von der Hamas verschleppten israelischen Geiseln und ein humanitärer Waffenstillstand.

Langfristig sei es richtig, Palästina als Staat anzuerkennen. Dies sei eine diplomatische Karte, die die Bundesregierung spielen solle, um einen künftigen Friedensprozess voranzutreiben. Eine Zwei-Staaten-Lösung solle nicht erst Ergebnis eines finalen Friedensabkommens sein.

Palästinenser gehen in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen an zerstörten Gebäuden vorbei / © Abed Rahim Khatib (dpa)
Palästinenser gehen in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen an zerstörten Gebäuden vorbei / © Abed Rahim Khatib ( dpa )

Zugleich verurteilen die Friedensforscher in ihrem Gutachten den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023, aber auch das militärische Vorgehen Israels im Anschluss als völkerrechtswidrig.

Die Bundesregierung müsse darauf hinwirken, dass Entscheidungen internationaler Gerichte befolgt würden. Zudem sollten bis zum Ende des Kriegs weder Klein- noch Leichtwaffen oder Munition, die im Gazastreifen eingesetzt werden könnten, nach Israel exportiert werden, fordern die Forscher.

Forscher: Druck auf Russland aufrechterhalten

In Bezug auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sehen die Friedensforscher weiterhin die Notwendigkeit, die Ukraine militärisch zu unterstützen. Es sei nötig, den Druck auf Russland aufrechtzuerhalten, da sich Moskau kaum auf ernsthafte Verhandlungen einlassen werde, wenn es davon ausgehe, den Krieg gewinnen zu können.

Eine geplante Friedenskonferenz in der Schweiz am kommenden Wochenende sehen die Forscher als Chance. Ein Ergebnis müsse sein, Friedensverhandlungen überhaupt denkbar erscheinen zu lassen. "Es braucht einen Fahrplan für einen späteren Verhandlungsprozess", so Schröder.

Quelle:
KNA