Seine letzten Amtsjahre hatte er sich ruhiger vorgestellt. Dass ihm 2010 der Vorsitz des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nach dem überraschenden Rücktritt von Margot Käßmann praktisch zwangsläufig zufiel, war in der Lebensplanung Nikolaus Schneiders nicht vorgesehen. Doch er griff beherzt zu und führte das Schiff der EKD wieder in ruhigere Gewässer.
Dann musste er sich noch einmal radikal umstellen: Um sich für seine krebserkrankte Frau Anne mehr Zeit zu nehmen, legte er sein Amt an der EKD-Spitze 2014 vorzeitig nieder. An diesem Sonntag wird der frühere rheinische Präses 70 Jahre alt.
Bedächtig und ausgleichend
Anders als seine umtriebigen, manchmal polarisierenden Vorgänger Käßmann und Wolfgang Huber wirkt Schneider eher bedächtig und ausgleichend. Doch scheute er keineswegs Konflikte, weder nach außen noch nach innen. So setzte er sich überraschend für eine breite Diskussion über die Präimplantationsdiagnostik (PID) ein, obwohl die Beschlusslage in der EKD für ein Verbot eigentlich seit 2003 klar war.
Ausschlaggebend für Schneiders Überlegungen - mit denen er sich letztlich im Rat der EKD nicht durchsetzen konnte - waren seelsorgliche Motive: Er äußerte Sympathie "mit den Paaren, die in der PID die ersehnte Möglichkeit erkennen, trotz der Erbkrankheiten, an denen sie leiden, zu einem gesunden Kind zu gelangen".
Charakteristisch für Schneider sind dabei sein Blick auf das konkrete Leben statt auf die abstrakte Norm sowie seine Zuwendung zu den einzelnen Menschen. Auch in seinen leitenden Ämtern - als Superintendent des Kirchenkreises Moers seit 1987, als Vizepräses (seit 1997) und schließlich als Präses (seit 2003) der Evangelischen Kirche im Rheinland - war er immer Pfarrer geblieben.
Bereits auf seiner 1977 angetretenen ersten Gemeindepfarrstelle in Duisburg-Rheinhausen erwarb er sich überregionale Bekanntheit und das Image eines sozialpolitisch engagierten Geistlichen. Der Kampf an der Seite der Belegschaft um den Erhalt der dortigen Hütte hat ihn nach Einschätzung vieler Weggefährten geprägt.
Verbindlich und diplomatisch
Doch der in Duisburg aufgewachsene Sohn eines Stahlarbeiters ist auch ein solider Theologe, der in Wuppertal, Göttingen und Münster studiert hat. Seine Positionen - etwa zum Verbot einer christlichen Judenmission - formulierte er pointiert, aber ohne verletzende Schärfe. Auch in der Ökumene trat Schneider verbindlich und diplomatisch auf und suchte das Gemeinsame.
Persönlich setzte er sich dafür ein, dass Papst Benedikt XVI. bei seinem Deutschlandbesuch 2011 in das Augustinerkloster in Erfurt als für den Reformator Martin Luther prägenden Ort kam. Nach der Predigt des Papstes, die viele als enttäuschend empfanden, ging Schneider zu einer brüderlichen Umarmung auf diesen zu. In den folgenden Wochen trat er gegen eine teils harsche Kritik für eine ausgewogene Bewertung der Begegnung ein.
Ein Mann des Dialogs
Schneider ist ein Mann des Dialogs. So gehört er nicht zu denen, die einer "Ökumene der Profile" das Wort reden. Vielmehr vertritt er eine "Ökumene der Gaben", bei der die unterschiedlichen Kirchen ihre jeweiligen Stärken in die Christenheit einbringen und voneinander lernen sollen.
Beim Katholikentag 2012 in Mannheim war er nicht nur auf dem Podium zu sehen, sondern auch im Publikum, wenn andere redeten, und in Gesprächen auf der "Kirchenmeile". Die Spitzenvertreter des Koordinierungsrates der Muslime lud er zu sich nach Hause zum Abendessen ein - auch das ein Beispiel für seinen kommunikativen Stil.
Umgang mit eigenen Lebenskrisen
Schneiders rheinische Landeskirche, mit rund 2,6 Millionen Mitgliedern die zweitgrößte in Deutschland, hatte ihren Reformprozess unter das Motto "missionarisch Volkskirche sein" gestellt - eine Formulierung, die auch ein persönliches Anliegen des Präses zum Ausdruck bringt: "Mission bewahrt die Volkskirche vor Unverbindlichkeit - Volkskirche bewahrt die Mission vor Enge und Realitätsverlust", brachte er es einmal auf den Punkt. In seiner Person bringt Schneider diese beiden Pole zusammen.
Zu seiner Glaubwürdigkeit trägt auch sein Umgang mit eigenen Lebenskrisen wie dem Tod der jüngsten seiner drei Töchter 2005 im Alter von 22 Jahren bei. Zusammen mit seiner Frau Anne verarbeitete er diese schmerzlichen Erfahrungen in einem Buch mit dem Titel: "Wenn das Leid, das wir tragen, den Weg uns weist".