Früherer SPD-Chef und Vizekanzler Müntefering wird 85

Das "schönste Amt neben dem Papst"

Franz Müntefering ist einer derjenigen, die auch nach vier Jahrzehnten Politik-Karriere nicht aufhören wollen, sich zu Wort zu melden und zu engagieren. "Ich bin bereit. Auch noch für die Nachspielzeit", sagt der Politiker.

Autor/in:
Christoph Arens
Franz Müntefering / © John Macdougall (dpa)

Im Herbst ließ der frühere SPD-Vorsitzende aufhorchen, als er sich in der Debatte um eine erneute Kandidatur von Olaf Scholz gegen ein automatisches Vorrecht des Kanzlers aussprach. Auch in Reimen, Aphorismen und mehr oder weniger geglückten Kurztexten zeigte Müntefering, dass er noch mitmischen will.

In einem im Januar 2024 erschienenen Buch - da hatte er gerade schwere Monate hinter sich, weil "das Herz aus dem Takt geraten war"- setzte er sich mit dem Tod, mit seinem Glauben und dem Sinn des Lebens auseinander. "Das Leben ist beeinflussbar. Warum machen wir nichts Besseres draus, statt es für absurd zu erklären?", so sein Credo in dem Buch, das den bezeichnenden Titel "Nimm das Leben, wie es ist, aber lass es nicht so" trägt.

Engagement für die Demokratie

Dafür hat der Sozialdemokrat aus dem Sauerland, der am 16. Januar 85 Jahre alt wird, in den vergangenen Jahren immer wieder geworben. Eingemisch hat er sich: Bundesarbeits- und Verkehrsminister, Vizekanzler, zweimal SPD-Parteivorsitzender, Fraktionsvorsitzender im Bundestag und Generalsekretär: Der im westfälischen Neheim geborene schlanke Mann mit dem federnden Gang arbeitete sich von der "Volksschule Sauerland" zum Vizekanzler hoch, wie er selber stolz betonte. Ein Macher-Typ, der bis zuletzt keinen Emails empfangen konnte und Interview-Fragen per Fax beantwortete.

SPD-Politiker Franz Müntefering / © Kay Nietfeld (dpa)

Acht Jahre Schule, dann kaufmännische Lehre und Arbeit als Industriekaufmann. "Mit 17 war ich ausgelernt, an der Stelle", erzählt er. Daneben die parteipolitische Ochsentour im katholischen, von der CDU dominierten Sauerland.

Vom Stadtrat in Sundern bis zum Vizekanzler in der Großen Koalition

Als SPD-Bundesgeschäftsführer, Generalsekretär und Parteivorsitzender organisierte der Mann, der sich selber als einen "Alleiner" beschreibt und Kumpelhaftigkeit ablehnt, für die SPD vier Bundestagswahlkämpfe, lenkte sie nach langen Kohl-Jahren in die rot-grüne Schröder-Regierung. Richtig daneben ging nur die Wahl 2009, danach musste er den Parteivorsitz abgeben - das "schönste Amt neben dem Papst", wie er sagte.

"Ich kann nur kurze Sätze"

"Ich kann nur kurze Sätze", kokettiert Müntefering mit der sprichwörtlichen Wortkargheit der Westfalen. Und doch übte er mit seiner prägnanten Wortwahl Macht aus: Aus Hedgefonds machte er "Heuschrecken". Seiner Partei hämmerte er ein: "Opposition ist Mist". Mit seinen kurzen Sätzen wurde er eine Kultfigur. "Fraktion gut, Partei gut, Glück auf". Dabei hatte er Mut zu unpopulären Entscheidungen - die Rente mit 67 setzte er gegen harsche Proteste durch.

Kreuz in einem Hospiz / © Gordon Welters (KNA)

Ein hohes Maß an Respekt erntete Müntefering auch beim politischen Gegner, weil er im November 2007 als Vizekanzler der Großen Koalition zurücktrat, um seine krebskranke Frau Ankepetra bis zu ihrem Tod am 31. Juli 2008 zu pflegen. Seitdem engagiert er sich für die Hospizarbeit, Palliativmedizin und Sterbebegleitung und nahm engagiert gegen aktive Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid Stellung.

Kritik an Kirche

Den Glauben an Gott und ein Leben nach dem Tod hat er nach eigenen Angaben verloren. Auch von der Kirche hat er sich distanziert. "Ich war gläubiger Katholik, bin so groß geworden", schreibt der aus einer Arbeiterfamilie stammende frühere Messdiener und Jugendgruppenleiter. "Inzwischen mag ich nicht mehr akzeptieren, dass die Kirche sich als Staat im Staat versteht und darstellt."

Seit seinem Ausstieg aus dem Parlament 2013 engagierte er sich ehrenamtlich: als Präsident des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB), als Chef der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen und als Vortragsredner in Sachen Sterbebegleitung und alternde Gesellschaft.

Das wichtigste für ein Altern in Würde sei, dass auch Senioren an der Gesellschaft teilhaben und teilnehmen könnten, sagt er. Im Schaukelstuhl sitzen, das reiche nicht. Das größte Problem seien die Einsamkeit älterer Menschen und ihr Verlust an Lebenssinn. "Sie müssen aktiv mitmischen können, Aufgaben und soziale Kontakte behalten, in der Familie, in Vereinen, in der Nachbarschaft oder in der Politik."