Jesus hat nicht sich selbst verkündet, sondern das Reich Gottes. Auf den ersten Blick erscheint das wie eine Selbstverständlichkeit. Doch tiefer betrachtet hat es weitreichende Konsequenzen. Jesus hat den Menschen nicht nur die Güte und die Menschenfreundlichkeit Gottes vermittelt, sondern er wollte die Welt verändern.
Die Seligpreisungen sind das Programm dieser Veränderung. Dabei geht es um Frieden und Gerechtigkeit, um eine neue Form menschlicher Gemeinschaft, in der die Armen und Ausgegrenzten im Zentrum stehen.
Besonders deutlich wird das in der ersten Seligpreisung: "Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes." (Lk 6,20). Wenn das Reich Gottes eine gute Nachricht für die Armen ist, dann muss es ihre prekäre Lebenssituation verbessern.
Wichtige Wachstumsgleichnisse
So verkündete Jesus das Reich Gottes in Worten und in Taten. Er heilte Kranke, trieb böse Geister aus und sättigte die Hungrigen. Er erklärte das Wesen des Reiches Gottes mit Gleichnissen: Es ist wie ein Schatz im Acker, wie eine wertvolle Perle, wie ein Samenkorn.
Besonders wichtig sind die Wachstumsgleichnisse: Wachstumsprozesse in der Natur verlaufen langsam. Um sie wahrzunehmen, braucht es einen geduldigen und kontemplativen Blick. So wächst das Reich Gottes langsam, aber stetig - und ist mitten unter uns.
Das Reich Gottes hat auch mit Politik und Wirtschaft zu tun. Johann Baptist Metz, der Begründer der neuen politischen Theologie, hat einmal zugespitzt formuliert: Das Reich Gottes ist nicht neutral gegenüber den Welthandelspreisen. Vom Reich Gottes können wir nicht glaubwürdig sprechen, ohne für Solidarität und Gerechtigkeit einzutreten. Der Glaube an Gott und das Bekenntnis zu ihm können nicht getrennt werden von der Sorge um den Zustand unserer Welt.
Mystik und Politik sind die zwei Seiten der gleichen Medaille. Wer fromm ist, muss auch politisch sein.
Das Reich Gottes ist weiter als die Kirche. Auch Nichtchristen können an seinem Aufbau mitwirken. Damit öffnet es ein Feld der interreligiösen Zusammenarbeit. Das gilt auch für die neue Enzyklika "Fratelli tutti" von Papst Franziskus über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft. Der Papst richtet sich mit diesem Schreiben nicht nur an die Katholiken, sondern an alle Menschen guten Willens.
Seit dem Zweiten Vatikanische Konzil erkennt die katholische Kirche an, dass Gott auch in den anderen Religionen handelt, und "sie lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist".
Auch Nicht-Katholiken als Inspirationsquellen
Als Inspirationsquellen nennt der Papst Nichtkatholiken wie den US-Bürgerrechtler Martin Luther King, den südafrikanischen Anglikaner Desmond Tutu und den Hindu Mahatma Gandhi. Ein wichtiger Dialogpartner ist für ihn der Großimam der Kairoer Al-Azhar-Universität, Ahmad Al-Tayyeb, dem er 2019 in Abu Dhabi begegnet ist. Dieser würdigte die Enzyklika mit den Worten, Franziskus gebe der Menschheit ihr Gewissen zurück.
Stellt sich der Papst damit in Widerspruch zum Missionsauftrag des Evangeliums, alle Menschen zu taufen und zu Jüngern und Jüngerinnen Jesu zu machen? Für die Christen fließen die menschliche Würde und die Geschwisterlichkeit aus der Quelle des Evangeliums Jesu Christi.
Doch in der großen Gerichtsrede im Matthäusevangelium wird nicht nach der Konfessions- oder Religionszugehörigkeit gefragt, sondern danach, wie wir uns den Bedürftigen und Notleidenden gegenüber verhalten haben. Wichtiger als Lippenbekenntnisse sind die Taten der Nächstenliebe. Wir sollen zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit suchen, dann wir uns alles andere dazugegeben - auch die Gemeinschaft unter den Konfessionen und Religionen.