Liturgiereform - wer die Bedeutung dieses Wortes für einen Katholiken um 1970 ermessen will, sollte einmal eine "Alte Messe" besuchen. So ungewöhnlich der vorkonziliare Ritus auf viele Kirchgänger heute wirkt, so überraschend muss damals die "neue Messe" auf einen Großteil der Gläubigen gewirkt haben.
Erste Änderungen in den 1960er Jahren
Basisdokument für die Reform war die Konstitution "Sacrosanctum Concilium", die das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) im Dezember 1963 mit überwältigender Mehrheit angenommen hatte. Erste Änderungen an der alten Liturgie wurden in der Konstitution "Inter Oecumenici" festgehalten, die im September 1964 herausgegeben und am ersten Fastensonntag 1965 rechtswirksam wurde. Sie erlaubte unter anderem den Gebrauch der Volkssprache in allen Teilen der Messe. Auch enthielt sie Vorgaben zur Gestaltung von Kirchen und Altären, die es den Priestern ermöglichen sollten, das Messopfer den Gläubigen zugewandt zu zelebrieren.
Endgültige Gestalt aber konnte die Reform erst mit einem neuen Messbuch annehmen. Im April 1969 der Öffentlichkeit vorgestellt, ist es seit dem ersten Adventssonntag desselben Jahres in Gebrauch. Seine Einführung jährt sich 2019 zum 50. Mal.
Drei-Jahres-Zyklus
Neu in diesem Messbuch war vor allem eine größere Vielfalt der in der Messe gelesenen Texte. Statt einer Jahr für Jahr identischen Leseordnung für die Sonntags- und Werktagsmessen gab es jetzt drei Lesejahre mit einer jeweils unterschiedlichen Auswahl an Bibeltexten. So sollte sichergestellt werden, dass die Gläubigen im Laufe eines Drei-Jahres-Zyklus weite Teile der Bibel im Gottesdienst zu hören bekommen. Weitere liturgische Texte, etwa das Tages- und Schlussgebet, wurden dieser neuen Leseordnung angepasst.
Die "bedeutendste Neuerung", so Paul VI. in der Apostolischen Konstitution "Missale Romanum", betraf aber das Eucharistische Hochgebet. Um "die verschiedenen Aspekte des Heilsmysteriums deutlicher werden zu lassen und zahlreichere Motive der Danksagung anzuführen", wurden die einleitenden Präfationen um zahlreiche neue Texte ergänzt. Der Hauptteil des Gebets, für den es bislang nur eine Textfassung gab, lag nun in vier Varianten vor, aus denen der Zelebrant wählen konnte. Nur die Einsetzungsworte Jesu aus seinem letzten Abendmahl mit den Aposteln sowie die abschließende "Doxologie" ("Durch ihn und mit ihm....") blieben in allen vier Texten gleich.
Zeitgemäße Überarbeitung
Neben den Messtexten für Sonn- und Feiertage wurden auch die Texte für Werktagsmessen, für Heiligenfeste, Votivmessen und besondere Anlässe "überprüft und erheblich verändert". So sollte sichergestellt werden, dass die "Orationen den neuen Bedürfnissen unserer Zeit entsprechen".
Allerdings waren die hinzugefügten Texte nur zu einem kleineren Teil tatsächlich Neuschöpfungen. Ein Großteil ging auf wiederentdeckte Quellen aus der Frühzeit der Kirche zurück. Auch die abwechslungsreichere Liturgie der Ostkirchen bot Anregungen. "Es ergab sich bei vielen der Wunsch, die (...) Reichtümer des Glaubens und der Frömmigkeit nicht länger im Dunkel der Bibliotheken verborgen zu halten, sondern ans Licht zu bringen, um Herz und Sinn der Christen zu erleuchten und zu nähren", formulierte Paul VI.
Um den Gläubigen den Zugang zum neuen Messbuch zur erleichtern, gab es eine weitere Neuerung: Den eigentlichen Messtexten wurde eine allgemeine Einführung vorangestellt. Nach einem einleitenden Kapitel zur Theologie der Eucharistiefeier enthält sie unter anderem Erläuterungen zur Struktur der Messe und ihrer Teile, Ausführungen zu den Aufgaben und Diensten in der Messe sowie Bestimmungen zur Gestaltung und Ausstattung des Kirchenraums.
"Missale Romanum"
Veröffentlicht wurde das "Missale Romanum" ganz traditionell in Latein; volkssprachliche Fassungen folgten später. In Deutschland etwa erschien das offizielle Messbuch erst 1975, davor behalf man sich mit sogenannten Studientexten.
Dieses Messbuch wird - in einer leicht korrigierten Ausgabe von 1988 - in Deutschland bis heute verwandt. Zwar hat Papst Johannes Paul II. 2002 eine revidierte Fassung des Missale auf Latein veröffentlicht. Auf eine offizielle deutsche Übersetzung dieser Revision aber konnten sich die deutschen Bischöfe sowie die zuständige vatikanische Kommission bislang nicht einigen. 2013 wurde das Vorhaben vorläufig ad acta gelegt.