"Wenn Menschen von draußen auf uns schauen, sollen sie auf den ersten Blick erkennen, dass wir nicht vom Gartenbauverein sind." Tom Kattwinkel spricht gerne Klartext, wenn es um sein kirchliches Ehrenamt geht. Schließlich sei das nicht irgendein x-beliebiges Hobby, sich in der Gemeinde zu engagieren. Dem 56-Jährigen liegt am Herzen, was er tut. Denn verortet ist dieses Engagement in seinem tiefen Glauben, der ihm Lebensgrund ist. "Mir geht es darum, mit meinem Verhalten zu zeigen, wie sich meine religiöse Überzeugung heute in der Praxis ausüben lässt. Und ich möchte den Menschen vermitteln, was es heißt, wenn sich Christen treffen. Was das Besondere daran, was ihr Profil ist und eben den Unterschied ausmacht."
Für Kattwinkel bedeutet das, immer auch die Grundvollzüge der Kirche – die Verkündigung, die Liturgie und den Dienst am Nächsten – im Blick zu haben. Konkret: beim Grillfest des Kirchenchores mit einem Gebet zu beginnen. Oder vor jeder PGR-Sitzung erst Messe miteinander zu feiern. "Das ist mir wichtig. Sonst fehlt etwas ganz Entscheidendes, wenn wir als Glaubensgemeinschaft zusammenkommen und gleich zur Tagesordnung übergehen", argumentiert Kattwinkel. "Wir können an der Kirche nur bauen, wenn wir selber Kirche sind." Und: Kirche höre auf, Kirche zu sein, wenn ihr Wesen nicht für andere sichtbar gelebt werde, findet er.
Nicht nur zusehen und die Dinge laufen lassen
Kattwinkel ist im oberbergischen Dieringhausen daheim und kandidiert am kommenden Wochenende zum vierten Mal in Folge für den Pfarrgemeinderat der Pfarreiengemeinschaft Oberberg-Mitte. Er sieht sich in der Verpflichtung, wie er sagt, seine persönlichen Charismen in der Kirche am Ort einzusetzen. "Auch wenn ich nicht so viel bewegen kann, wie ich mir wünschen würde, kann ich zumindest immer wieder etwas anstoßen und damit letztlich viel für die Menschen erreichen." Schließlich gehe es doch darum, dass sich etwas bewege in diesen turbulenten Zeiten und die vielen Gemeindeangebote trotz schwindender Ressourcen aufrecht erhalten blieben. "Wenn sich hier alle entspannt zurücklehnen würden, könnten wir als Kirche einpacken."
Einfach nur zusehen, die Dinge laufen lassen – das war Kattwinkels Sache noch nie. Als gelernter Fotograf und Grafiker hat er vor zwei Jahren den Internetauftritt der Gemeinde komplett neugestaltet. Außerdem fühlt er sich für die Frühschichten in der Advents- und Fastenzeit verantwortlich und für die jährlichen Ferienzeiten mit rund 50 Kindern, bei denen er und seine Frau seit einigen Jahren mithelfen. Auch bei der sogenannten "Katakombengruppe", einem Glaubensgesprächskreis, gehört er zum Orga-Team und hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg.
PGR ist für Planspiele und große Visionen der richtige Ort
Selbst im ländlichen Raum lebe man schon lange nicht mehr auf einer Insel der Glückseligkeit, schildert er. "Von alleine geht hier nichts." Also müsse ständig überlegt werden, wie das Wort von der lebendigen Gemeinde nicht zur leeren Formel werde. „Wenn alle streiken würden, weil ihnen gerade die kirchliche Großwetterlage nicht passt, könnte ein Großteil unserer Angebote nicht aufrecht erhalten werden." Daher gehöre er nicht zu denen, die den schwarzen Peter in Sachen Initiative anderen zuschieben würden. "Ich gebe mich erst zufrieden, wenn ich sehe, dass ein Vorhaben auch in der Praxis funktioniert. Für mich gehört ehrenamtliches Engagement nun mal ganz selbstverständlich dazu." Und zu sehen, dass etwas konkret Früchte trage, tue einfach immer gut. Das sei wie ein Motivationsschub. "Aber dafür muss man hinhören, wo der Schuh drückt und was sich die Menschen von der Kirche wünschen. Hier will ich mich kümmern und eine Plattform mitgestalten, die Menschen ermöglicht, ihren Glauben zu leben."
Nicht alles hänge schließlich immer nur am Pastor. In Zukunft müsse ohnehin vermehrt über Pfarrgrenzen hinaus gedacht werden. "Statt zum Beispiel an drei Kirchorten mäßig besuchte Sonntagsgottesdienste anzubieten, sorgt doch eine Messe jeweils an einem wechselnden Ort, diese dafür dann bis auf den letzten Platz besetzt, bei allen für ein tolles Gemeinschaftserlebnis." Für solche Planspiele, aber auch große Visionen sei der PGR genau der richtige Ort. "Nur wissen das leider die allerwenigsten." Dabei sei dieses Gremium das Forum, in dem die Weichen für eine Pastoral der Zukunft gestellt würden. "Diese Form der unverzichtbaren ehrenamtlichen Mitarbeit müssen wir auf Dauer nur noch sehr viel transparenter machen", so Kattwinkel.
Michael Schmidt: Die Kirche soll sich reformieren
"Mitgestalten statt austreten – das ist für mich der bessere Wegv, so hat es auch Michael Schmidt, Mitglied der Kölner Innenstadtgemeinde St. Severin, für sich entschieden. Der 64-Jährige nimmt nach 20 Jahren noch einmal einen neuen Anlauf für ein PGR-Mandat, "weil ich so nett gefragt worden binv, wie er amüsiert begründet. Damals, bei seiner ersten Kandidatur hatte er den Einzug in das Laiengremium seiner Heimatpfarrei um eine Stimme knapp verpasst. Trotzdem kein Grund für den Sonderschullehrer, sich schmollend oder gar frustriert zurückzuziehen. Im Gegenteil. "St. Severin ist eine ganz, ganz tolle Gemeinde. Hier ist vieles stimmig und sehr lebendig", schwärmt er. Vor allem fühle er sich in dieser Pfarrei auch seelsorglich gut aufgehoben, seit er vor 14 Jahren seine Frau verloren hat. "Da wurde ich hier richtig aufgefangen."
Seitdem hat sich Schmidt immer wieder dort nützlich gemacht, wo eine helfende Hand gerade gebraucht wurde: beim Ordner-Dienst, im Festausschuss oder beim Kontakt zur Jugend. "Es gibt viele spannende Aufgaben, aber als Vater von drei Söhnen interessiert mich am meisten, eine Brücke zwischen den Generationen zu bauen, damit auch den Jüngeren der Boden bereitet ist, um sich in der Kirche dauerhaft heimisch zu fühlen." Der Pastorale Zukunftsweg und der Synodale Weg – eben grundsätzlich die Umgestaltung von Kirche – seien ein wichtiges Anliegen, an dem er sich aus Überzeugung beteiligen wolle, sagt er. "Es tut sich gerade viel, muss es aber auch", findet der Pädagoge. "Die Kirche sollte sich reformieren, der Zeit anpassen. Dann würden auch viel mehr mitmachen", glaubt er.
Für junge Erwachsene ohne Kinder gibt es kaum Angebote
Eine von denen, die schon länger mit dabei sind, ist Clara Oepen. Schon mit 16 wurde die heute 20-Jährige als Jugendvertreterin in das Laiengremium gewählt. Nun ist sie mittlerweile Studentin und hat es sich mit einer erneuten Kandidatur für den PGR von St. Severin nicht leicht gemacht. Lange habe sie sich gefragt: Passe ich in Kirche noch rein und will ich überhaupt dazugehören? Zumal ihr zunehmend die Argumente ausgingen, wenn sie angesichts der berechtigten Kritik an Kirche deren Positionen verteidigen solle, erzählt sie. Andererseits will sich die junge Frau auch gerne für die Belange der Jugendlichen einsetzen, die grundsätzlich wenig im Blick seien, wie sie beobachtet, und für die es außerhalb der Firmvorbereitung keine Angebote gäbe, wenn sie nicht von ihnen selbst auf die Beine gestellt würden, so Oepen. "Es wird geschätzt, wenn sich Jugendliche engagieren, und es stehen für unsere Projekte auch genügend finanzielle Mittel bereit, wofür ich überaus dankbar bin, aber ich vermisse doch sehr, dass sich die Gemeinde konkret Gedanken darüber macht, wie sie uns bei der Stange halten kann."
Sie würde auch mal gerne eine Veranstaltung speziell für junge Christen besuchen, ohne dabei selbst die Initiatorin sein zu müssen. "Ich möchte mich auch mal fallen lassen können und mit meinen Vorstellungen von Kirche ‚abgeholt’ werden, ohne gleich mit der Orga befasst zu sein. Es wäre eben schön, wenn auch bei uns einmal nachgefragt würde, was wir uns für uns selbst eigentlich wünschen und was wir brauchen.v Aber für junge Erwachsene ohne Kinder gäbe es faktisch so gut wie nichts – anders als für junge Familien. "Dazwischen klafft eine große Lücke", stellt Oepen enttäuscht fest. "Wir haben eine so offene und tolerante Gemeinde, die gerne auch mal etwas Neues ausprobiert und wo jeder seinen Platz finden kann, wenn er nur will. Ich sehe auch, dass viele Vorschläge und Ideen angenommen werden. Aber ich frage mich schon, was St. Severin konkret für meine Generation tun kann, wenn wir selbst gerade mal nicht aktiv werden." Gerade deshalb will sie in den nächsten vier Jahren noch einmal mitmachen und innerhalb des PGRs den Blick für die Bedürfnisse der jungen Gemeindemitglieder schärfen. "Hier sehe ich meinen ganz persönlichen Auftrag", sagt sie.
An der inhaltlichen Neuausrichtung der Kirche mitwirken
Ganze andere Herausforderungen sieht Norbert Stricker auf den Pfarrgemeinderat seiner Gemeinde St. Nikolaus/St. Joseph in Bensberg-Moitzfeld zukommen, in dem er nun schon seit 25 Jahren die Interessen von rund 8.000 Gemeindemitgliedern vertritt und für den er – fast rekordverdächtig – auch zum siebten Mal wieder kandidiert. Seit zwei Monaten haben die Gläubigen am Ort keinen eigenen Pfarrer mehr, was viele als Verlust empfinden und was sich absehbar so schnell auch nicht ändern wird. Gerade in dieser Umbruchsphase seine langjährige Mitarbeit aufzukündigen erscheint dem promovierten Ingenieur verantwortungslos. "Angesichts der gesamtkirchlichen Situation, die mehr als desolat ist, und der wenig aussichtsreichen Lage unserer Pfarreiengemeinschaft, dass diese Vakanz schon bald wieder mit einem neuen Pfarrer besetzt wird, könnte ich der Kirche auch den Rücken zudrehen und argumentieren, dass mich das alles nichts mehr angeht und auch das Gesamterscheinungsbild von Kirche gerade alles andere als überzeugt."
Aber kampflos aufgeben entspreche nicht seiner Haltung. "Vielmehr will ich nun erst recht an der inhaltlichen Neuausrichtung von Kirche mitwirken und meinen Beitrag dazu leisten, dass den Menschen ein Raum für das, wonach sie suchen, erhalten bleibt", begründet der 58-Jährige seine Ausdauer in diesem Ehrenamt. "Gemeinde bedeutet für mich Beheimatung, Lebenstradition und der Ort, wo ich meinen Glauben auf der Basis der Botschaft Jesu Christi leben und teilen kann. Aus dieser tiefen Verwurzelung und Verbundenheit beziehe ich bis heute meine Motivation für mein Engagement und meinen nach wie vor ungebrochenen Gestaltungswillen."
Norbert Stricker: Wir müssen Kirche komplett neu denken
Als er mit seiner jungen Familie vor 25 Jahren ins Bergische kam, wollte er an Gemeinde andocken. Seitdem hat sich Stricker zunächst für die Familienarbeit, später dann für die Ökumene am Ort stark gemacht, die erste Internetseite mit aufgebaut sowie das Amt des Lektors und das des Kommunionhelfers übernommen. Ein Engagement im Kreiskatholikenrat kam noch on top. Später rief er zusammen mit anderen Eltern, deren Kinder inzwischen ebenfalls flügge geworden waren, die Initiative "Sturmfreien Eltern" ins Leben, bei der es vor allem auch um einen geistlichen Austausch geht. "Dieser Kreis ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich aus einem gemeinsamen Wunsch auch ohne hauptamtliche Unterstützung lebendige Gemeinde entwickeln kann", so Stricker.
In den nächsten Jahren erwartet er tiefgreifende Veränderungen in seiner Gemeinde. In Zeiten, in denen Kirche für immer mehr Menschen an Relevanz verliere und mangels Priestern die traditionelle Ortsgemeinde nicht mehr aufrecht erhalten werden könne, wie er sagt, stelle sich zwangsläufig die Frage nach dem zukünftigen Bild von Gemeinde, woraus geradezu eine Notwendigkeit zur Gestaltung erwachse. "Wir müssen Kirche komplett neu denken, weil die alten Modelle nicht mehr tragen", gibt sich das langjährige PGR-Mitglied überzeugt. Dafür sei ein Kristallisationskern erforderlich, der Denkprozesse anstoße. Hier sei der Pfarrgemeinderat ganz besonders gefordert. Und darin liege auch im Wesentlichen seine persönliche Motivation zu einer erneuten Kandidatur.
Wie zukünftig überhaupt Gemeindeleben aussehen könne, was zum Beispiel für Jugendliche und junge Erwachsene reizvoll sei, um sich der Kirche zugehörig zu fühlen, müsse einer der ganz entscheidenden Punkte auf der Agenda eines neuen Pfarrgemeinderates sein, betont Stricker. Man könne ja auch das halbvolle Glas sehen, meint er. "Keinen Pfarrer zu haben ist sicher nichts, was sich eine Gemeinde wirklich wünscht. Andererseits haben wir gerade auch einen großen Freiraum, kreativ zu sein. Und das sollten wir als Chance begreifen!"
Beatrice Tomasetti