Gastkommentar von Wolfgang Picken zum Synodalen Weg

Mehr Theologie und weniger Teleologie

An fünf Orten haben sich am Freitag die Delegierten des Synodalen Weges getroffen, um über die Zukunft der Kirche in Deutschland zu diskutieren. Ein Kommentar des Bonner Stadtdechanten.

Mappen mit dem Logo "Der Synodale Weg" / © Andreas Oertzen (KNA)
Mappen mit dem Logo "Der Synodale Weg" / © Andreas Oertzen ( KNA )

Frisch von der Regionalkonferenz des Synodalen Weges in Frankfurt zurückgekehrt, stellt sich die Frage, wie ich die Zusammenkunft empfunden habe und in das Gesamt kirchlicher Veränderungsprozesse einordnen würde. Zunächst ist zu sagen, dass die kleinere Runde der Teilnehmer eine andere Gesprächskultur und inhaltliche Auseinandersetzung ermöglicht hat. Die über 200 Delegierten waren Dank Corona auf verschiedene Konferenzen mit jeweils 40 Personen aufgeteilt worden. Verständlich, dass am Ende des Konferenztages die Aufforderung, auch zukünftig bei Vollversammlungen ähnlich, nämlich in kleineren Runden zu arbeiten, große Zustimmung gefunden hat.

Besprochen wurden erste Textentwürfe aus den Foren, die sich mit “Diensten und Ämtern von Frauen in der Kirche“ und mit der “katholischen Sexuallehre“ befassen. Beides Themen, in denen Klärung und Entwicklung nötig erscheinen und die von vielen mit der Glaubwürdigkeit der Kirche in Verbindung gebracht werden.

Die Foren präsentierten Vorschläge, die sich im Rahmen der geltenden Theologie und Rechtsordnung realisieren lassen und auch bereits mancherorts geübte Praxis sind. Nehmen wir hier die Beteiligung von Frauen bei Leitungsämtern in den Diözesen oder dort den respektvollen Umgang mit Menschen gleichgeschlechtlicher Orientierung. Hier ergab sich weitgehendes Einvernehmen und wenig Gesprächsbedarf, wobei die verlässliche Implementierung solcher Veränderungen in der Praxis sich nicht überall einfach gestalten dürfte und Zeit in Ansprüche nehmen wird.

Erwartungsgemäß deutlich wurden die unterschiedlichen Positionen, wenn es um das Grundsätzlichere ging und eine Abkehr oder Weiterentwicklung von lehramtlicher Theologie, Dogmatik und Morallehre zur Sprache kamen. Mit Recht wurde darauf abgestellt, dass der akute Glaubwürdigkeitsverlust nicht zuletzt durch den Missbrauchsskandal und der Auszug vieler Menschen, darunter zunehmend auch engagierter Katholiken aus ihrer Kirche, Anlass sein muss, das Selbstverständnis und die Lehre der Kirche zu hinterfragen. Verdächtig schnell aber wurde in den Argumentationen der Anlass zur unmittelbaren Begründung für Reformen. Weil die Mehrheit vieles nicht mehr versteht und akzeptiert, weil die moderne Wirklichkeit einer demokratischen Kultur soweit von der geltenden Lehre der Kirche entfernt ist, sich also im Konkreten niemand mehr für die katholische Sexualmoral interessiert und die Nichtzulassung von Frauen zu den Weiheämtern sich nicht mit der Idee der Gleichberechtigung der Geschlechter versöhnen lässt, muss es zu einer Angleichung kirchlicher Leitsätze an die Koordinaten des modernen Lebensentwurfs kommen. Klingt logisch, auch für die Mehrheit der Delegierten des synodalen Weges, weil wir im säkularen Raum so Veränderungen begründen und umsetzen: Über das Prinzip des Mehrheitswillens und die Normativität des Faktischen.

Dass die kirchliche Lehre nach dem Verständnis des 2. Vatikanischen Konzils zwar davon spricht, dass sich im Gefühl der Gläubigen der Geist Gottes artikulieren kann, hat aber nicht die Auswirkung auf die dogmatische Konstitution des Konzils “Die Verbum“ gehabt, dass man den Protest der Gläubigen oder den Willen des Gottesvolkes zu einem Maßstab für die Kirchliche Lehre gemacht hätte. Ein Lehrsatz der Kirche muss eindeutig sowohl aus der Schrift, der Tradition und dem Lehramt abgeleitet werden können. Das heißt: Des Volkes Stimme, der an sich ehrbare Wunsch nach mehr Glaubwürdigkeit oder Zeitgemäßheit, auch die Feststellung offensichtlichen Fehler in der Anwendung von Glaubenssätzen oder im moralischen Leben der Kirche reichen als Argumentation für die Veränderung von Lehrsätzen nicht aus.

Ganz abgesehen davon gilt, dass in der Katholischen Kirche grundlegende Veränderungen mehr als das Mehrheitsvotum einer Ortskirche verlangen. Manche blenden das bereits aus, wenn sie im Plenum des Synodalen Weges von der Deutschen Nationalkirche sprechen oder in einem Forum eine neue Ekklesiologie für die ganze Kirche entwerfen wollen und damit der Möglichkeit deutscher Alleingänge den Weg zu bahnen scheinen.

Im Ergebnis wirkten die theologischen Argumentationslinien der vorgelegten Papiere konturenlos und wenig konsistent. Wenn man von Deutschland aus weitgehende Reformen anstoßen möchte und die Impulse in die Weltkirche Wirkung erzeugen sollen, müssen sie sich mehr der theologischen Systematik bedienen und weniger offenkundig zielbestimmt, also teleologisch sein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das in manchen Reformthemen möglich wäre und Erfolg haben könnte. Aber dem muss mehr theologische Gründlichkeit, mehr seriöse Rückbindung an die Heilige Schrift, mehr Würdigung der Tradition der Kirche und in gewisser Hinsicht auch mehr Respekt vor dem Lehramt vorausgehen. Die einseitige Auswahl von Schriftstellen, die Ausblendung dessen, was die Tradition hervorgebracht hat und die Zitation von Papstworten und aus kirchlichen Dokumenten je nach Gefälligkeit wird zur Folge haben, dass Voten und Impulse implodieren, die Enttäuschung größer ist als vorher, und Chancen vertan werden.

Wolfgang Picken

Über den Autor: Dr. Wolfgang Picken ist Stadtdechant von Bonn. Seine Gedanken veröffentlicht er regelmäßig im Podcast "Spitzen aus Kirche und Politik".

 

 

Die Kölner Delegation auf dem Regionalforum in Frankfurt / © Jochen Reichwein (SW)
Die Kölner Delegation auf dem Regionalforum in Frankfurt / © Jochen Reichwein ( SW )
Quelle:
DR