Es kommt nicht alle Tage vor, dass einem Imam in einer Kirche das Wort erteilt wird. Und es dürfte noch seltener sein, dass dabei Applaus gespendet wird. Am Sonntag, bei der Gedenkfeier für die Opfer des Messerangriffs von Aschaffenburg, ist es so weit. In der voll besetzten Stiftskirche warnt Imam Zischan Mehmood vor "Spaltern und Scharfmachern" und sagt: Der Respekt vor den Opfern verbiete es, derartige Taten für Wahlkampfzwecke zu instrumentalisieren. Da klatschen viele der geladenen Gäste.

Der Geistliche leitet die örtliche muslimische Ahmadiyya-Gemeinde. "Nicht nur der Täter hatte einen Migrationshintergrund", sagt der Imam. Und dass der Islam lehre, dass die gesamte Menschheit eine Familie sei.
Blumen, Kerzen, Kuscheltiere
Auch vier Tage nach der schrecklichen Tat steht die kleine Stadt im äußersten Nordwesten Bayerns unter Schock. Nicht nur am Tatort, auch an anderen Stellen befinden sich improvisierte Gedenkstätten mit Blumen, Kerzen und Kuscheltieren.

Mehrfach haben sich seit Mittwoch Tausende Bürgerinnen und Bürger versammelt, um ihrer Anteilnahme Ausdruck zu verleihen. Auch am Sonntag verfolgen etliche auf dem Vorplatz der Stiftskirche die Gedenkfeier auf einer Leinwand.
"Herz statt Hetze"
Oberbürgermeister Jürgen Herzing (SPD) dankt in seiner Ansprache für diese Zeichen des Zusammenhalts. Als ein solches will er auch das Agieren von Gegendemonstranten verstanden wissen, die sich am Freitag dem thüringischen AfD-Spitzenpolitiker Björn Höcke und dessen Gefolgschaft in den Weg gestellt haben, um ihn am Besuch des Tatorts zu hindern. Auf einem der Banner sei zu lesen gewesen: "Herz statt Hetze". Das sei auch sein Appell und sein Wunsch, betont der OB.

Und dann erinnert er noch an eine andere Begebenheit während einer Trauerversammlung in den zurückliegenden Tagen: Da sei ein elfjähriges afghanisches Mädchen spontan ans Mikrofon getreten. Mit angsterfüllter Stimme habe es sich für die Tat entschuldigt und gesagt: "Ich bin nicht böse, die Afghanen sind nicht böse, es sind nur wenige davon." Das "hat uns alle erschüttert und fast alle zu Tränen gerührt", sagt Herzing.
Fünf Minuten läuten alle Glocken
Nach seiner Rede läuten für fünf Minuten die Glocken aller Kirchen Aschaffenburgs. Es ist 11.45 Uhr - genau die Zeit, in der sich am 22. Januar das Unfassbare ereignete. Dann spricht Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
"Heute ist das ganze Land in Trauer vereint", sagt er. Gemeinsam mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat er am Morgen im Park Schöntal jeweils einen Kranz niedergelegt. Der CSU-Chef sagt auch: "Das Gute und das Böse sind keine Frage von Herkunft, Nationalität, Ethnie oder Glaube." Alle Kinder dieser Welt hätten Schutz und Liebe verdient. Deshalb dürfe diese Tat nicht dazu führen, "dass Hass von einigen unsere gesamte Gesellschaft erfasst".
Söder nicht im Wahlkampfmodus
Der Ministerpräsident ist heute nicht im Wahlkampfmodus unterwegs. Die heftige Debatte um eine schärfere Migrationspolitik, an der er sich seit Mittwoch rege beteiligt hat, setzt er in der Kirche nicht fort. Stattdessen stellt er den selbstlosen Einsatz des 41-jährigen Passanten heraus, der sich bei dem Angriff zwischen den Täter und die Kindergartengruppe warf und dabei selbst getötet wurde.

"Wie oft beklagen wir uns, dass es zu wenig Zivilcourage gibt, wie oft ärgern wir uns, wenn wir Taten sehen, dass alle nur zu- oder weggeschaut haben?", sagt Söder. Und er kündigt an, dass der Mann posthum mit der Bayerischen Rettungsmedaille geehrt wird - "weil er ein Vorbild ist".
Der Familienvater habe darauf vertraut, "dass sein Einsatz nicht sinnlos ist, sondern Leben rettet", hat Würzburgs katholischer Bischof Franz Jung zuvor im Gottesdienst gepredigt. Damit sei er "ein Licht in der Finsternis, das noch weit über sein Lebensopfer hinaus leuchtet."