domradio.de: Ist es übertrieben, zu behaupten, dass Edith Stein eine Brückenbauerin war, zwischen Ost und West, zwischen Christen und Juden?
Pater Stefan Dartmann SJ: Sie ist es geworden durch die Person, die sie ist. Sie hat es aber auch bewusst auf sich genommen und ich glaube, sie sieht sich sehr gerne auch in ihrer jetzigen Position als Patronin Europas, als eine solche Brückenbauerin.
domradio.de: Das starke Engagement Edith Steins für die Emanzipation der Frauen in Gesellschaft und Kirche ist dagegen etwas aus dem Blickpunkt geraten. War sie eine Frauenrechtlerin der damaligen Zeit?
P. Dartmann: Ja, das war sie. Im deutschen Kontext muss man das so sagen. Sie hat sich schon früh für das Frauenstimmrecht eingesetzt. Sie hat als Philosophin die Frage der Integration von Frauen in das außerhäusliche Berufsleben thematisiert, hat viele Vorträge darüber gehalten, hat sich auch über das Engagement der Frauen in der Kirche Gedanken gemacht, den Diakonat der Frau erwogen und sah selber auch keine Schwierigkeiten, den Gedanken eines Priestertums der Frau weiterzuverfolgen.
Sie hat sicher eine große Bedeutung, wenn es um die Geschichte der Frauen und Frauenbewegung geht.
Für uns bei Renovabis bedeutet das, genau dieses Thema der Versklavung von Frauen in Europa aufzugreifen, also beispielsweise Frauenhandel und Prostitution. Das ist ein großes Problem im Osten Europas und betrifft uns in ihrem Geiste sozusagen mit.
domradio.de: Welche Bedeutung hat Edith Stein darüber hinaus für ein Osteuropa-Hilfswerk wie Renovabis?
P. Dartmann: Sie ist ja als Jüdin und Christin gestorben und da ist natürlich eine Thematik damit verbunden: die des Antisemitismus, die ganze Problematik des Holocaust, die uns in den Begegnungen von Ost und West bis heute begleitet.
Wenn am heutigen Tage ein großer Gottesdienst und ein ganzes Programm in Auschwitz stattfinden, ein Gebetsweg entlang der Rampe des Vernichtungslagers Birkenau, Kardinal Erdö feiert den Gottesdienst, er ist Primas Ungarns und gleichzeitig auch der Vorsitzende der Europäischen Bischofskonferenzen, Kardinal Meisner hält die Predigt, dann ist das ein Zeichen. Hier wird man dieser Verpflichtung gerecht, auch heute antisemitischen Tendenzen entgegenzutreten und dieses Erbe von Edith Stein, gut auf unsere Zeit hinzuverwalten.
domradio.de: Sie war eine mutige Frau, denn damals in der NS-Zeit hat sie Papst Pius XI. auch stark angegangen, er solle doch ein deutliches Wort gegen dieses Regime aussprechen. Ist das auch etwas Beispielhaftes?
P. Dartmann: Ja, ohne Zweifel. Mir fällt auf, dass bei den drei Frauen, die wir als europäische Patroninnen haben, also Katharina von Siena, Birgitta von Schweden und Edith Stein, Teresia Benedicta a Cruce, jeweils Frauen haben, die den Päpsten ins Gewissen geredet haben. Bei den Erstgenannten ging es um die Frage der Rückkehr aus Avignon, dass die Päpste zurückkehren nach Rom und hier ging es bei Schwester Teresia Benedicta darum, dass sie sagt, es wird nur schlimmer, wenn die Kirche länger schweigt.
domradio.de: Edith Stein hat sicherlich auch eine Bedeutung für die Evangelisierung, auch für die Neuevangelisierung. Das ist ihr Auftrag von Renovabis in den osteuropäischen Ländern. Wie steht sie da beispielhaft für Sie?
P. Dartmann: Sie ist ja eine Philosophin gewesen, die sich mit 15 Jahren zur Atheistin erklärt hat und sich, wie sie in ihren Aufzeichnungen schreibt, systematisch das Beten abgewöhnt hatte - obwohl sie jüdisch erzogen worden war. Sie hat dann durch Begegnung mit einer Witwe, aber auch durch Begegnungen mit Teresa von Avila wieder zum Glauben gefunden und dieser Weg, auf dem sie sich nichts geschenkt hat, auf dem sie nicht einfach Dinge ungeprüft übernahm, sondern überzeugt werden wollte, der ist, glaube ich, auch für heutige Menschen sehr nachvollziehbar. Und wenn wir bei Renovabis Ende dieses Monats einen großen Kongress mit fast 400 Teilnehmern aus ganz Ost-, Mittel- und Westeuropa zum Thema neue Evangelisation haben werden, dann ist Edith Stein dort sicher im Geiste mit dabei.
Das Interview führte Stephan Baur (domradio.de)
Hintergrund
Die katholische Heilige Edith Stein wurde in der Nacht vom 8. zum 9. August 1942 in den Gaskammern des NS-Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau ermordet. Anlässlich des 70. Todestag der Philosophin und Karmelitin, die den Ordensnamen Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz trug, fand in Auschwitz ein Gottesdienst statt . Die Predigt hielt der Kölner Erzbischof, Joachim Kardinal Meisner. Hauptzelebrant war der ungarische Erzbischof Péter Kardinal Erdo, der Präsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen.
Stein, die als Jüdin in Breslau geboren wurde, hatte sich später der Philosophie und katholischen Glaubensfragen zugewandt. Nach ihrer katholischen Taufe 1922 trat sie elf Jahre später in den Kölner Karmeliterorden ein. Stein gehörte zur Elite des deutschen Geisteslebens, sie engagierte sich gegen die Judenverfolgung und steht für das Schicksal des deutschen Assimilations-Judentums. 1998 sprach Johannes Paul II. sie heilig.
Gedenkfeier für Edith Stein in Auschwitz-Birkenau
Patronin Europas und Frauenrechtlerin
Mit einem Gottesdienst ist Edith Stein anlässlich ihres 70. Todestages im ehemaligen NS-Vernichtungslager gedacht worden. Es predigte Joachim Kardinal Meisner. Im domradio.de-Interview würdigt Renovabis-Hauptgeschäftsführer Pater Stefan Dartmann die Heilige als eine Brückenbauerin und Frauenrechtlerin. Stein habe sich über das Engagement der Frauen in der Kirche Gedanken gemacht.
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