Kirchen warnen zu Weihnachten vor Spaltung der Gesellschaft

Gefährliche Überzeugungskraft des Postfaktischen

Vertreter der beiden großen Kirchen in Deutschland haben zu Weihnachten zum gesellschaftlichen Zusammenhalt aufgerufen. Im Kölner Dom rief Kardinal Woelki dazu auf, Gott aufzunehmen und sich von ihm zu tatkräftiger Liebe bewegen zu lassen.

Weihnachten in Köln / © Ochlast (DR)
Weihnachten in Köln / © Ochlast ( DR )

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki hat dazu aufgerufen, auch zu Weihnachten Armut und Not nicht aus dem Blick zu verlieren. Gott stelle den Menschen die Armen vor Augen, damit sie aufhörten, aus der Krippe ein Idyll und aus dem Kreuz ein Schmuckstück zu machen, sagte der Kardinal am Sonntag im Kölner Dom. Woelki erinnerte dabei unter anderem an die Toten von Aleppo und aus dem Mittelmeer sowie an Hungernde und Sterbende überall in der Welt.

"Weihnachten ist mehr als nur ein Gefühl, mehr als nur eine schöne Stimmung, mehr als nur ein buntes, fröhliches Weihnachtsgeschirr", betonte er. Gott sehe dem Elend und der Not nicht zu, sondern habe es als sein eigenes Schicksal selbst gewählt, sagte Woelki. "Wenn wir hier mitgehen, wird es durch uns heller und wärmer werden in der Welt", sagte er. Woelki verwies am ersten Weihnachtsfeiertag darauf, dass Gott durch Jesus Mensch geworden sei. "Das ist das Faktum schlechthin", von denen die Christen lebten. Gott habe sich klein und verletzlich gemacht wie ein Kind, gefroren, geweint, gelacht, getrauert und ein menschliches Leben gelebt, das auf den Tod zulaufe. Er sehe der Not nicht zu, sondern erleide sie selbst.

Woelki zeigte sich zudem betroffen darüber, dass immer größere Bevölkerungsschichten Tatsachen ignorierten und sogar öffentliche Lügen bereitwillig akzeptierten. Durch den Aufschwung der Sozialen Medien als Nachrichtenquelle und ein wachsendes Misstrauen gegenüber Fakten gewinne das "Konzept des Postfaktischen immer mehr an Überzeugungskraft", bedauerte der Kardinal im Gottesdienst am Ersten Weihnachtstag.

Vor dem Kölner Dom kontrollierten am Sonntagmorgen Polizisten die Taschen der Gottesdienstbesucher.

Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker hat an Weihnachten die Gewalt gegen Menschen verurteilt. Aus der Geburt des Gottessohnes gehe der Auftrag hervor, alles Menschliche zu verteidigen, wo ihm Gewalt angetan werde, sagte er in seiner Predigt am ersten Weihnachtstag im Paderborner Dom. "Gottes Menschwerdung verpflichtet zu einem menschlichen Umgang miteinander", sagte der Erzbischof.

In der Christmette an Heiligabend hatte Becker die Bedeutung von kleinen Anfängen betont. Angesichts der derzeitigen politischen Situation falle es schwer zu glauben, dass kleine Dinge viel bewirken könnten. Dennoch sei nicht jeder kleine Anfang zum Scheitern verurteilt.

Auch Weihnachten sei ein solch kleiner Beginn, hinter dem "der große Gott mit seiner ganzen Liebe" stehe, sagte Becker. Für die Menschen in Flüchtlingslagern, zerbombten Städten und Elendsvierteln sei ein solcher Anfang kein leichter, doch "leicht war es auch gewiss nicht für die bescheidene Familie von Bethlehem". Und doch habe diese Familie die Welt verändert und "das Leben unzähliger Menschen bis heute geprägt", so der Erzbischof.

Der Aachener Bischof Helmut Dieser hat zu mehr Austausch und Verständnis zwischen den Kulturen und Religionen aufgerufen. "Denn keine Kultur, keine Religion kann sich in der globalisierten Welt auf sich selbst abschließen und den offenen Austausch verweigern", sagte der katholische Theologe am ersten Weihnachtstag im Aachener Dom laut Redetext. Im Zeitalter des Internets führe das nur zur Unterdrückung und Verleugnung dessen, was ohnehin geschehe, und bringe Lüge, Unfreiheit und Gewalt hervor.

In jedem Land müsse es möglich sein, sich über andere Religionen zu informieren, auszutauschen, seine eigene Religion auszuüben und auch eine andere anzunehmen, forderte Dieser. "Wir können nicht in einer Welt friedlich zusammenleben, wenn wir das nicht lernen und uns gegenseitig ermöglichen", sagte er mit Blick auf die Debatte um ein angebliches Weihnachtsverbot an einer türkisch-deutschen Schule in Istanbul.

Der Streit über die Thematisierung des Weihnachtsfests im Unterricht am "Istanbul Lisesi" hatte am vergangenen Wochenende in Deutschland für heftige Kritik gesorgt. Das Auswärtige Amt hatte aber am Montag erklärt, es gebe kein Weihnachtsverbot und im Unterricht an der Schule, an der auch deutsche Lehrer tätig sind, könne selbstverständlich auch über deutsche Weihnachtsbräuche gesprochen werden.

Münsters Bischof Felix Genn beklagt kriegerische und terroristische Gewalt. "Besessen von irgendeiner Idee" würden Menschen jäh in den Tod gerissen, sagte er am Sonntag bei der Weihnachtsmesse im Dom zu Münster. Dabei denke er an die Geschehnisse in Aleppo oder Berlin. Wenn die Gewalt mit Gott verbunden werde, "ist Gott eindeutig missbraucht".

"Wie ist die Würde des Menschen mit Füßen getreten worden im Laufe der Geschichte", sagte der Bischof laut Redemanuskript. Wenn sich Menschen sich von Fremden abschotteten, zu Gewalt und Zwang verleiten sowie von Neid und Konkurrenzdenken bestimmen ließen, widerspreche dies der menschlichen Würde. Gott wolle aber, "dass wir uns unserer Würde gemäß verhalten". Deshalb sei Weihnachten hochpolitisch und sehr gesellschaftskritisch.

Der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, betonte, dass sich mit der weihnachtlichen Botschaft von Liebe und Frieden Hass und Gewalt überwinden ließen. Der Anschlag von Berlin habe die Menschen mitten ins Herz getroffen, sagte der Bischof in seiner Predigt im Rottenburger Dom. Er betonte, dass jede Form von Hass und Gewalt dem Bild Gottes vom Menschen widerspreche.

"Ebenso unfassbar wie Attentate islamistischer Terroristen ist für mich der Hass von Extremisten hierzulande, der jenen entgegenschlägt, die aus den Krisenregionen fliehen und die auf unser Mitgefühl angewiesen sind", sagte Fürst.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, bezeichnete Weihnachten als "jubelnde Freudenbotschaft", die den vielen Schreckensnachrichten entgegenstehe. Mit seiner biblischen Botschaft treffe Weihnachten mitten ins Leben, auch weil es das Leid der Menschen nicht ausblende, sagte der bayerische Landesbischof am ersten Weihnachtsfeiertag in der Münchner Matthäuskirche.

Die weihnachtliche Botschaft mache deutlich, dass die Zukunft kein dunkles Loch sei, weil Gott die Menschen nicht verlassen habe, führte Bedford-Strohm laut Redemanuskript aus. Die Menschen könnten deshalb zuversichtlich sein, dass die islamistischen Fanatiker, denen Worte wie "Mitgefühl" fremd seien, oder rechtsradikale Ideologen, die menschliche Kälte ausstrahlten, nicht das letzte Wort hätten.

Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck kritisierte Fake-News und mahnte eine auf Fakten basierende und an der Wahrheit orientierte Kommunikation an. Er verwies im Essener Dom besonders auf Menschen, die das Wort "Lügenpresse" in gefährlicher Weise nutzten. Gute Kommunikation brauche "Echoräume von Vertrauen und positiver Kritik".

Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger zeigte sich besorgt über die sprachliche Verrohung im Internet. Er frage sich manchmal, "wohin das führen soll", sagte Burger im Freiburger Münster. Doch an Weihnachten könne der "Sieg der Liebe Gottes" gefeiert werden.

Der Berliner Erzbischof Heiner Koch sagte, in der Krippe von Bethlehem verbinde sich Gott mit der Erbärmlichkeit des Menschen: "Im Stall bleibt er bei den Obdachlosen, auf der Flucht geht Gott an der Seite aller Flüchtenden, mit den Gefolterten lässt er sich blutig schlagen." Weihnachten sei für Christen eine Aufforderung zum Widerstand, "wo die unbedingte Würde eines Menschen gefährdet oder geschändet ist".

Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige rief Christen zum Bekenntnis ihres Glaubens auf. "Haben wir den Mut, unsere religiösen Überzeugungen und Gefühle nicht schamhaft zu verbergen", sagte Feige.

Der Bischof von Dresden-Meißen, Heinrich Timmerevers, bat darum, "dass wir uns nicht verwirren lassen, blinde Menschenverachtung nicht mit Menschenverachtung und Hass nicht mit Hass beantworten". Auch dürfe man nicht in die "vernehmbaren Hetzparolen" einstimmen. Wer Weihnachten feiere, bezeuge damit, dass die christliche Botschaft stärker sei als Terror, Angst und Hass.

Einen Trost sieht der Bischof von Görlitz, Wolfgang Ipolt, darin, dass Gott "sich nicht scheut, in diese unheile Welt einzutreten". Zugleich wolle Gott die Menschen mit seinem Kommen zum Mittun bei der Rettung der Welt gewinnen.

Der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr erklärte, Jesus sei in die Welt gekommen, um die Menschen "zu einer Zivilisation der Gerechtigkeit und des Friedens zu befähigen". Der Weihnachtsfriede bedeute "nicht nur Abwesenheit von Krieg oder gerechten Ausgleich der Interessen, sondern behutsamen Umgang mit der Verletzlichkeit des Anderen und die Bereitschaft, Vergebung zu erbitten und zu gewähren".

Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße warnte vor negativer Stimmungsmache, die auf Lüge, Verwässerung und Beschönigung aufbaut. Zwar seien persönliche Gefühle und Emotionen gut und wichtig, sagte er in seiner Weihnachtspredigt. "Nur dürfen wir uns von ihnen allein nicht bestimmen lassen." Das Christentum setze auf Fakten und Wahrheiten. "Jesus Christus ist keine Legende oder abstrakte Idee, sondern eine konkrete Person, ein Mensch."

Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode appellierte an die Christen, in Zeiten des Chaos die Hoffnung nicht zu verlieren. Selbst in dieser Situation stehe Gott an ihrer Seite, sagte er im Osnabrücker Dom. "Wie sonst könnten wir menschlich bestehen angesichts der unerträglichen Grausamkeiten in Aleppo, Mossul, Paris, Nizza und Berlin und an vielen anderen Orten der Welt."

Bischof Norbert Trelle aus Hildesheim kritisierte das lauter werdende "Fürchtet Euch" der "Unglückspropheten". Dem setze Weihnachten den Ruf der Engel entgegen: "Fürchtet Euch nicht, auf fremde Menschen zuzugehen. Fürchtet Euch nicht, einzutreten für die Würde und das Lebensrecht jedes Einzelnen. Fürchtet Euch nicht, dem anderen zuzuhören, um zu erfahren, was er zu sagen hat."

Ängste der Bevölkerung ernst nehmen, aber dem Schüren von Angst entgegentreten - darauf kommt es für den Mainzer Weihbischof Udo Markus Bentz in der durch Terrorakte gezeichneten Weihnachtszeit an. Das Böse, zu dem der Mensch fähig sei, zeige sich in immer neuen Fratzen, doch "als weihnachtliche Menschen glauben wir fest: Gottes 'Fürchte dich nicht!' ist jetzt wichtiger denn je", sagte Bentz im Mainzer Dom.

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick nahm das Schicksal der Kinder weltweit in den Blick. Im Heinrichsdom in Bamberg erinnerte er an kinderreiche Familien in Deutschland, in denen viele Mädchen und Jungen "bettelarm" seien. Kinderreichtum und Armut gehörten leider Gottes oft zusammen. Dies müsse unbedingt abgestellt werden.

Nach den Worten des Augsburger Bischofs Konrad Zdarsa darf Weihnachten nicht als rührseliges Idyll verstanden werden. Wer Weihnachten als Verdrängung der Realität, als weltflüchtige Harmonie abtue, "der kann angesichts dessen, was uns täglich um die Ohren fliegt, wirklich nur verzweifeln", schreibt Zdarsa in der "Katholischen SonntagsZeitung". Das Fest müsse vielmehr als als tröstendes Trotzdem verstanden werden.

In Regensburg betonte Bischof Rudolf Voderholzer, dass Hass und Terror kein Argument gegen Weihnachten seien. Vielmehr werde nun sichtbar, "wie notwendig wir Weihnachten brauchen". Die wichtigsten Dinge wie Gesundheit, Liebe, Zuneigung und auch den Frieden gebe es nur geschenkt.

Im Kind von Bethlehem hätten die Menschen einen "göttlichen Bruder", betonte der Bischof von Passau, Stefan Oster. Jesus mache deutlich, dass man dem Fremden, dem Flüchtling, dem Leidenden und dem Ausgestoßenen liebevoll begegnen könne und auch den Gewalttätern nicht mit Hass begegnen solle. Der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann beklagte, dass ein zunehmend marktorientiertes Denken auf immer mehr Aspekte des Lebens übergreife. Doch nicht das Gesetz des Marktes dürfe das Denken und Handeln bestimmen, sondern die Liebe Gottes.

Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke sagte, dass Gott Mensch geworden sei, um in die dunklen und schäbigen Zonen der Welt zu gehen. Er komme zu den Sündern, Armen und Kranken sowie zu den vom Leben Bestraften. Dabei nehme er auch die Ablehnung der Menschen in Kauf.

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann warnte vor Populisten, die Angst, Aggression oder Hass schürten und so versuchten, die eigene Wahrheit durchzusetzen. In der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion komme es oft nicht mehr so sehr auf Fakten an; entscheidend sei offenbar die gefühlte Wahrheit, sagte Ackermann im Trierer Dom. Hingegen sei die Wahrheit Gottes eine "Wahrheit, die uns umwirbt, die uns anzieht". Sie komme den Menschen entgegen im Kind von Bethlehem, das die Arme "nach uns" ausstrecke.

Gegen Nationalismus, Abgrenzung und Fremdenhass wandte sich der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann. "Ich bin davon überzeugt, dass es noch nie so wichtig war, dass Europa sich seiner gemeinsamen Verantwortung in der Welt und für die Welt bewusst wird", sagte der Bischof im Speyerer Dom. Ein Zerfall "in kleinkarierte, angstbesessene Nationalismen" bringe keine Lösung, sondern wäre ein weiteres "folgenschweres Versagen".

Brutalität, Terror und Gewalt sind für den Limburger Bischof Georg Bätzing nicht Teil von Religion. Sie stünden vielmehr im krassen Widerspruch zur Botschaft von Weihnachten, sagte er in der Christmette. "Recht haben wir mit unserem Empfinden, dass da etwas nicht stimmt, wenn Menschen leiden; wenn sie sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen, wenn sie aufeinander losgehen wie die Tiere", sagte der Bischof. Es liege etwas im Argen, wenn in einer zivilisierten und wohlhabenden Gesellschaft die Armut wachse.

Der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen rief die Christen auf, die Menschwerdung Gottes zu bezeugen und so die Welt zu verändern. Mit Jesu Geburt beginne die Rettung der Welt, betonte der Bischof im Fuldaer Dom. Im Vertrauen darauf, dass mit Jesus Christus der Heiland und Retter der Welt geboren worden sei, könne man aber auch in diesem Jahr zueinander sagen: "Frohe und gesegnete Weihnachten".

Einen Überblick über die Predigten in den Christmetten finden Sie hier.

 

 


Erzbischof Becker (EPB)
Erzbischof Becker / ( EPB )

Einführung von Aachens neuem Bischof Helmut Dieser / © Henning Kaiser (dpa)
Einführung von Aachens neuem Bischof Helmut Dieser / © Henning Kaiser ( dpa )

Bischof Felix Genn / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Felix Genn / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR , KNA , epd