Gefängnispastoral auf Lettisch 

Geschützte Räume im Gebet

Heraus aus der Routine des immer gleichen Gefängnisalltags, hinein in andere Gedankenwelten: Mit ihren spirituellen Angeboten geben die Dominikanerinnen von Bethanien Insassinnen im einzigen Frauengefängnis Lettlands neue Perspektiven.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Ein kleiner Altar ist das Zentrum des Gebetsraumes im Frauengefängnis Riga / © Marius Thöne (Bonifatiuswerk)
Ein kleiner Altar ist das Zentrum des Gebetsraumes im Frauengefängnis Riga / © Marius Thöne ( Bonifatiuswerk )

Beiba ist 59 Jahre alt – sechs davon sitzt sie mittlerweile in der Justizvollzugsanstalt Ilguciema am Stadtrand von Riga ein. Sie sei wegen "eines Vergehens im Job" hier, sagt sie; weiter ins Detail gehen will Beiba nicht, erzählt aber gleich, wie wichtig ihr Glaube und Gebet sind. Die resolute Frau mit dem blonden Pagenkopf ist orthodoxe Christin und kümmert sich hier im Knast um die kleine orthodoxe Kapelle Mit ihrer Zellengenossin verstehe sie sich über Konfessionsgrenzen hinweg, meint Beiba, die sei ihrerseits für die katholische Kapelle zuständig. Gemeinsam stricken sie abends warme Wollsocken für die Ukraine und waren auch schon zusammen auf Pilgerfahrt in Aglona, dem katholischen Marienwallfahrtsort des Landes. "Ich habe meinen Popen gefragt, ob das in Ordnung geht, und er hat ‚ja‘ gesagt." Vor Corona war das noch und begleitet wurden Beiba und einige andere Frauen auf dem frommen Freigang von Dominikanerinnen.

Ansprechpartnerin im Frauengefängnis

Schwester Hannah (links) vom Orden der Dominikanerinnen von Bethanien und Daina Strelevica kümmern sich um die Gefangenen / © Marius Thöne (Bonifatiuswerk)
Schwester Hannah (links) vom Orden der Dominikanerinnen von Bethanien und Daina Strelevica kümmern sich um die Gefangenen / © Marius Thöne ( Bonifatiuswerk )

"Drei Tage die Gefängnismauern hinter sich lassen und zu Fuß zum heiligen Ort laufen, das ist schon etwas Besonderes für die Frauen", sagt Schwester Hannah-Rita von der Gemeinschaft der Dominikanerinnen von Bethanien. Die Rheinländerin lebt seit zehn Jahren in Lettland und geht seitdem nicht nur regelmäßig auf Wallfahrt ins "lettische Lourdes", sondern auch als Ansprechpartnerin im Frauengefängnis ein und aus. Während ihre Mitschwestern Tanztherapie und Kleingruppenarbeit anbieten, lädt Hannah-Rita selbst regelmäßig zu Gebetsabenden ein. Nach der Zwangspause durch die Pandemie fahren die Schwestern ihre Aktivitäten mit den Frauen jetzt langsam wieder hoch. Gerade das spirituelle Beisammensein habe vielen gefehlt, meint Schwester Hannah-Rita. Schließlich leben die Häftlinge hier oft zu sechs und mehr Personen in einer Zelle zusammen und sind ständigem Stress ausgesetzt.

Religion und Kirche in Lettland

Von den rund 1,98 Millionen Letten bekannten sich Ende 2016 nach der neuesten Statistik des Justizministeriums in Riga 423.000 zur katholischen Kirche; das sind rund 21,4 Prozent. 2015 hatte die Kirche 415.000 Mitglieder gemeldet.

Die evangelisch-lutherische Kirche meldete rund 700.000 Mitglieder, was einem Anteil von etwa 35 Prozent entspricht. Der orthodoxen Kirche gehörten 370.000 Letten an (18,7 Prozent). Der Anteil der Juden, Muslime und Angehörigen anderer Religionen lag unter 2 Prozent; knapp jeder vierte gehörte keiner Religion an.

Die lettische Hauptstadt Riga / © Grisha Bruev (shutterstock)
Die lettische Hauptstadt Riga / © Grisha Bruev ( shutterstock )

"Um diesen Stress abzubauen, hilft es, wenn du Techniken an der Hand hast, um ganz bei dir zu sein", so die Ordensfrau. Deshalb findet sie gerade im Gefängnis kontemplatives Gebet so sinnvoll. Außerdem versteht sie die Gebetsabende als geschützten Raum, wo keine sich cool geben muss, sondern – ganz im Gegenteil – ihre Herzensanliegen offen zur Sprache bringen kann. Oft sind das Sorgen um Familienangehörige, um Ehemänner und alternde Eltern, um Kinder und Enkelkinder. Wie quälend gerade auch Gewissensfragen werden können, weiß Beiba aus eigener Erfahrung: "Immer wieder geht dir durch den Kopf, was du getan hast. Du sitzt da mit deiner Wahrheit und kriegst sie nicht mit der Wahrheit der anderen überein. Das ist schwer anzunehmen.  Was hilft, sind Gebete – und Gott hilft auch."

Glaube hat sich vertieft

Beiba bleiben noch etwa drei Monate hinter Gittern. Wenn sie dann zurück in die Freiheit, zurück zu ihrer Familie darf, wird sie gleich drei Ausbildungen abgeschlossen haben: zur Floristin, zur Friseurin und zur Schneiderin. Durch die dunklen Zeiten der Haft aber hat sie etwas anderes getragen: "Ich war vorher gläubig und ich bin es auch hier drinnen geblieben. Für mich hat sich mein Glaube eher noch vertieft.

Dass in der JVA Ilguciema längst nicht alle Frauen so fromm ihre Strafe verbüßen wie die temperamentvolle Beiba, ist natürlich auch Schwester Hannah-Rita klar. Natürlich weiß sie, dass einige in erster Linie deshalb an den Gebetsabenden teilnehmen, um der Enge der Zelle zu entfliehen. Aber immer wieder treten der ein oder anderen Insassin während der Stille Tränen in die die Augen. Immer wieder erzählen Teilnehmerinnen, wie ihnen warm ums Herz wird, wenn sie zum Fürbittgebet eine Kerze entzünden. Das sind die Momente, in denen existenzielle Gespräche möglich werden – und sich hoffentlich neue Perspektiven auftun. Und apropos Perspektiven: Für die erste Zeit nach der Entlassung bieten Hannah-Rita und ihre Mitschwestern in ihrem Kloster "Zimmer für Frauen in Krisensituationen". Damit die frisch Entlassenen eine Meldeadresse haben – und sparen können für die Kaution der ersten eigenen Wohnung nach dem Gefängnis. 

Quelle:
DR