Gefahr der Abspaltung einer ukrainischen Nationalkirche von Moskau vom Tisch - vorerst

Kein Schreckgespenst mehr

Demonstrativ feierte der Moskauer Patriarch Alexij II. in Kiew den Abschlussgottesdienst zum 1020. Jubiläum der Taufe der Rus. Doch die prunkvollen Feierlichkeiten können nicht über eine Sorge Moskaus hinwegtäuschen.

Autor/in:
Christian Jahn
 (DR)

Die Bildung einer nationalen ukrainisch-orthodoxen Kirche, unabhängig von Moskau, scheint spätestens seit diesem Wochenende kein fiktives Schreckgespenst mehr zu sein.

Mit den Feiern wurde an die Bekehrung des damaligen Großreichs Rus durch Großfürst Wladimir I. zum orthodoxen Glauben im Jahr 988 erinnert. Im Gold bestickten Gewand präsentierte Alexij vor dem Kiewer Petscherski Kloster Macht und Herrlichkeit des Moskauer Patriarchats.

Politische Führung in Kiew fördert das Projekt
Der Bruch blieb in Kiew allerdings aus. Bartholomäus I., Patriarch von Konstantinopel und Ehrenoberhaupt aller orthodoxen Christen, verweigerte einer nationalen ukrainisch-orthodoxen Kirche seinen Segen. Dennoch: Die Kirchen, die sich auf das Kirchenrecht stützen, halten die mögliche Abspaltung einer National-Kirche in der Ukraine für eine ernste Bedrohung.

Vor allem von der politischen Führung in Kiew wird das Projekt mit Nachdruck gefördert. Noch vor der Ankunft des Moskauer Patriarchen hatte Ukraine-Präsident Viktor Juschtschenko Patriarch Bartholomäus I. von Konstantinopel öffentlich um den Segen für eine National-Kirche gebeten. Dass dieser ablehnte, kann die Russische Orthodoxe Kirche nicht wirklich beruhigen.

Äußerlich gaben sich die russisch-orthodoxen Repräsentanten gelassen: Die Feierlichkeiten haben gezeigt, dass die Mehrheit der orthodoxen Gläubigen in der Ukraine für die Einheit der Kirche ist, erklärte der Sprecher des Moskauer Patriarchats, Michail Prokopenko. Die kirchliche Landschaft in der Ukraine ist zersplittert: Allein drei verschiedene orthodoxe Kirchen gibt es.

Neben der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats gibt es noch die ukrainische autokephale orthodoxe Kirche und eine ukrainisch-orthodoxe Kirche um den selbst ernannten Patriarchen Filaret von Kiew. Um diesen herum will Juschtschenko die Nationalkirche aufbauen.

Die Verfechter einer Abspaltung könnten sich bald rächen
Verlässliche Zahlen, wie viele Gläubige zu jeder einzelnen der drei orthodoxen Kirchen in der Ukraine gehören, gibt es nicht, erklärt die Journalistin und Kirchenkennerin Jekaterina Schtschentkina. Von einer Mehrheit der Gläubigen unter dem Dach des Moskauer Patriarchats könne aber schwerlich die Rede sein.

Schtschetkina hält die Bildung einer Nationalkirche durchaus für möglich. Als Gläubige sei es ihr egal, ob die Kirche in Kiew nun Moskau oder Konstantinopel untergeordnet sei, politisch jedoch nicht. Das Moskauer Patriarchat wird vom Kreml gelenkt, so eine Kirche in der Ukraine will ich nicht.

Dass derartige Standpunkte in der Ukraine verbreitet sein könnten, fürchten offenbar viele in Repräsentanten der russisch-orthodoxen Kirche. Metropolit Kyrill, "Außenminister" des Moskauer Patriarchats, warnte: Die Spannungen seien noch längst nicht beseitigt. Die Verfechter einer Abspaltung, die nun unterlegen sind, könnten sich bald rächen.

Lesen Sie hier den kritischen Kommentar von Paul Echinger, dem Dekan des deutschen Dekanates der Ukrainischen Orthodoxen Kirche - Patriarchat Kiev.