"Geist" bezeichnet in der Kirche nicht nur eine der drei Personen Gottes. "Geist" lässt sich auch produzieren, und zwar nach uraltem, in Klöstern streng gehütetem Geheimwissen. In Regensburg gibt es eine solche "Geistfabrik" am Alten Kornmarkt seit nunmehr 300 Jahren.
1721 erfand dort Pater Ulrich Eberskirch ein "extraordinäres Schlagwasser". Der Koblenzer war schon pharmazeutisch vorgebildet, als er Karmelit wurde, und zwar in Köln, das für diese Geschichte noch eine Rolle spielen wird.
Bei Touristen sehr beliebt
Ordenseigenen Quellen zufolge hatte Eberskirch als Apotheker-Geselle in Paris das "L'Eau des Carmes" kennengelernt. Auf dieser Basis entwickelte er jenes Destillat, das bis heute als "Echt Regensburger Karmelitengeist" von Touristen an der Klosterpforte von Sankt Joseph gern erworben wird. Teils schon seit Generationen treue Abnehmer verteilen sich über den ganzen deutschen Sprachraum.
Zwölf Kräuter und Gewürze werden benötigt, es dominiert Melisse, dazu Zimt, Zitrone und Engelwurz, das Ganze gelöst in 75-prozentigem Alkohol, was eine sorgsame Dosierung erfordert. Am besten auf Zucker oder im Tee eingenommen, soll das Hausmittel bei Grippe, Blähungen, Schlaflosigkeit und anderen Wehwehchen wirksam sein. Wen die Wade zwickt, der reibt sich damit äußerlich ein.
In die Herstellung sind nur zwei Ordensmänner eingeweiht, und das je zur Hälfte: Der eine kennt die Kräutermischung, der andere den Brennvorgang. Das Duo muss unter Eid versprechen, nichts zu verraten. Die beiden wohnen nicht im Regensburger Konvent. Sie kommen nur ab und an in die Fabrik, wenn je nach Bedarf gebrannt wird.
Der Karmelitengeist brachte dem Kloster in wenigen Jahrzehnten ein Vermögen ein. Das hat der Kölner Rechtsanwalt Helmut Heckelmann für eine 2014 an der Universität Regensburg eingereichte Doktorarbeit recherchiert.
Fabrik fiel wieder ins Kloster zurück
Selbst die Säkularisation konnte den Erfolg des Elixiers nicht stoppen. Zwar wurde das Regensburger Kloster 1811 aufgelöst, alle Brüder mussten gehen - nicht aber die beiden, die um die Rezeptur wussten. Sie wurden verpflichtet, ihre Arbeit fortzusetzen, nunmehr im "Königlich Bayrischen Melissengeist-Institut". Pater Avertan Riedl und Bruder Candidus Walcher hielten durch und gaben ihr Wissen nicht preis, bis die Fabrik nach Jahrzehnten ans wiedererrichtete Karmelitenkloster zurückfiel.
Die Geheimniskrämerei war auch Nachahmern geschuldet, die das Etikett abkupferten und ihre Brände in die gleichen Flaschen abfüllten. Gegen den unlauteren Wettbewerb konnten die Karmeliten sich nicht immer wehren. Einen förmlichen Markenschutz gab es damals nicht. So erlangten auch andere "Geistbrenner" Konzessionen für "aechten Melissen- oder Karmelitengeist".
Dem Geist der Aufklärung verpflichtete Staatsbeamte in Schwaben hielten den Extrakt für "ganz entbehrlich". Sie wollten den Vertrieb von Heilmitteln nur noch Ärzten und Apothekern gestatten, konnten sich damit aber nicht durchsetzen. 1812 wurde allerdings die Beigabe von Gebrauchszetteln für solche Universaltinkturen als "medizinischer Unfug" gebrandmarkt und in Bayern verboten, ausgenommen die zum Export bestimmten Abfüllungen. Damit nach Köln.
Dort war der Regensburger Karmelitengeist alsbald sehr beliebt. Das machte sich eine ehemalige Ordensfrau namens Maria Clementine Martin 1826 zunutze. Mit der "Kölnisch Wasser- und Melissengeistfabrik" legte sie den Grundstein für eine Firma, die sich unter dem Namen "Klosterfrau" zu einem Imperium entwickeln sollte.
Mit allen Wassern gewaschen
Die Ex-Nonne war mit allen Wassern gewaschen. Zur Absatzförderung ihres Erzeugnisses kopierte sie den Beipackzettel des Regensburger Karmelitengeistes. Zugleich schwärzte sie dessen offizielle Vertriebspartner am Rhein bei der Polizei an - wegen der beigelegten Zettel. Die Konkurrenz wurde mit einem Verkaufsverbot belegt, während die Produktpiratin die Protektion höchster Kreise genoss. Dass ihr zuvor in Münster wegen Quacksalberei verboten worden war, einen heilkundlichen Beruf auszuüben, konnte ihr nichts anhaben.
In Regensburg gäbe es allen Grund, auf diesen Coup neidisch zu sein. Aber: "Neid ist ja eine Todsünde", wehrt Prior Elias Haas ab. "Clementine war halt eine Geschäftsfrau, die schauen musste, wo sie bleibt." Für seinen Orden ist der Karmelitengeist heute keine Ertragsquelle mehr. "Früher hat die Fabrik das Kloster finanziert, inzwischen ist es umgekehrt", bedauert der Pater.
Wegen verschärfter EU-Vorschriften darf das hochprozentige Elixier nicht mehr als Arznei angeboten werden, sondern nur noch als Spirituose. Das hat dem Vertrieb nicht gut getan. Das Jubiläum ist womöglich die letzte Marketing-Chance für den Geist aus der 70-Milliliter-Flasche.