Gelockertes Stammzellgesetz in Kraft getreten - Konrad Schily im Interview

"Bei Fragen der der Menschenwürde gibt es keine Kompromisse"

Forscher in Deutschland können künftig mehr embryonale menschliche Stammzellen importieren als bislang. Einen Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt trat das novellierte Stammzellgesetz am Donnerstag in Kraft. Am selben Tag teilte das Robert-Koch-Institut (RKI) eine Importgenehmigung für humane embryonale Stammzellen mit. Der FDP-Abgordnete Konrad Schily hatte sich gegen die Novellierung eingesetzt. Im Interview nennt er seine Beweggründe.

 (DR)

domradio: Der gesetzliche Stichtag beim Import embryonaler Stammzellen liegt nun bei Mai 2007 statt auf Anfang 2002. Sie selbst waren gegen diese Ausweitung der Stichtagsregelung.
Schily: Das Parlament hat einen Kompromiss gemacht, diese Entscheidung bedeutet, dass jetzt weitere Embryonen verbraucht werden können. Ich habe im Bundestag gesagt, in dieser Frage gibt es keine Kompromisse, in Fragen der der Menschenwürde gibt es keine Kompromisse. Aber die Mehrheit hat sich zu einem Kompromiss entschieden, und das ist jetzt die gesetzliche Lage.

domradio: Die Wissenschaft atmet auf, weil sie das alte Gesetz als Fortschrittsbremse erlebt hat. Sie sind auch Wissenschaftler, aber sie sehen diese Neuerung unter dem ethischen Aspekt kritisch. Inwiefern?
Schily: Im Grundgesetz steht "Wissenschaft und Kunst sind frei", dieses entbindet aber nicht von der Treue zur Verfassung und unsere Verfassung beginnt mit dem berühmten Satz des Schutzes der Menschenwürde. Damit ist meines Erachtens der Embryo von vorneherein geschützt. Und wenn jetzt die Wissenschaftler aufatmen, nun auch da gibt es sehr konträre Meinungen, auch da sind sich Wissenschaftler durchaus uneinig, ob man nicht mit erwachsenen Stammzellen, also adulten, viel besser arbeiten und forschen kann als mit den embryonalen.

domradio: Viele betonen, dass mit dieser Forschung vielen geholfen werden könne. Ist das für sie kein Argument?
Schily: Es gibt in der Medizin den Satz: "Operation erfolgreich, Patient tot." Bisher haben die embryonalen Stammzellforscher noch nicht zeigen können in den letzten Jahren, dass sie wirklich erfolgreich waren. Ich denke, ein Fortschritt, der auf Kosten der Menschenwürde erreicht wird, auf Kosten der Natur, ist kein Fortschritt.

domradio: Nun gibt es ja Stimmen, die davon ausgehen, dass die embryonale Stammzellenforschung sowieso bald überholt sein wird. Wie sehen sie das?
Schily: Das ist gut möglich, weil die Forschungsstrecken in den adulten Stammzellen sehr erfolgreich sind, es liegen nun eine ganze Reihe von aussichtsreichen Veröffentlichungen vor. Das wird nicht sofort umzusetzen sein, ist aber sehr viel aussichtsreicher als die embryonale Stammzellforschung.

domradio: Die katholische Kirche hatte sich immer wieder strikt gegen weitere Forschung an embryonalen Stammzellen in Deutschland gewandt. Aber die Wissenschaft hat sich als stärker erwiesen. Die Kritiker sind gegenüber der Forschung gescheitert. Ist der Einsatz in ethischen Fragen oder konkret in dieser ethischen Frage damit sinnlos?
Schily: Nein, niemals. die Diskussion muss weitergehen und wenn wir diese Diskussion um die Menschenwürde nicht aufrechterhalten, werden wir sie verlieren. Ich glaube, dass diese Diskussion vieles angestoßen und viel Bewusstsein geschaffen hat, auch in breiteren Kreisen über Menschenwürde nachzudenken und nicht nur im Parlament, sondern auch in den Medien. Die Entscheidung greift sehr tief in unsere Gesellschaft ein und man muss sich schon fragen, was ist die Schöpfung, und was ist sie wert.