Er schaut den Betrachter direkt an: der das Kreuz tragende Christus auf einem der Gemälde von Hans Multscher aus dem 15. Jahrhundert. Um ihn herum sind nur Menschen mit grimmigen, missgünstigen Blicken zu erkennen, sogar drei Kinder zu seinen Füßen verspotten den Mann aus Nazareth, dessen irdischer Weg sich dem Ende nähert.
Bei dem Audiotour-Projekt "Klingende Bilder", das ab Mittwoch in der Berliner Gemäldegalerie zu erleben ist, hört die Bildbetrachtung damit nicht auf. Ein Klick auf das Ausstellungs-Smartphone genügt und der Bach-Choral "Wer hat dich so geschlagen" erklingt, wodurch das Geheimnis des Bildes nun auch musikalisch gedeutet wird. Es ist geradezu ein Synästhesie-Erlebnis, eine Verschmelzung von zwei Sinneswahrnehmungen, welche die Ausstellungsmacher ermöglichen. Neben der Berliner Gemäldegalerie sind das der RIAS Kammerchor und der Deutschlandfunk Kultur.
Die Kunstwerke beginnen "auf neue Art zu leben"
"Bei dieser Ausstellung beginnen die Kunstwerke auf neue Art zu leben, während die geistliche Musik durch die gleichzeitige
Betrachtung biblischer Darstellungen konkreter wird», erläuterte die Direktorin der Gemäldegalerie, Dagmar Hirschfelder, am Dienstag vor Journalisten die beabsichtigte Ausstellungswirkung. Die Künste würden sich auf diese Weise gegenseitig befruchten. Dazu kann man bei der Audiotour tiefere Erläuterungen zu Kunst und Musik von Kultur-Experten hören.
Zwölf Gemälde werden gezeigt, darunter befinden sich Werke von Hieronymus Bosch, Jan van Eyck und Dierick Bouts. Die Musik der "Klingenden Bilder" stammt unter anderem von Johann Sebastian Bach, Henryk Gorecki und Anton Bruckner.
Man erkennt es an den Namen: Es ging den Veranstaltern nicht darum, Bilder und Musikstücke aus der gleichen Epoche zu verknüpfen. Wenn man zum Beispiel eine böhmische Darstellung der "Kreuzigung Christi" aus dem frühen 14. Jahrhundert betrachtet und das damit verknüpfte Musikstück "Jesu Christe, frater noster" aus dem Jahre 1986 des polnischen Komponisten Henryk Gorecki (1933-2010) hört, verschmelzen die Jahrhunderte. Zeiten und Orte verbinden sich in dem Geschehen rund um Christus.
Sachliche Konzentration auf die Ästhetik und den biblischen Stoff
Ein anderer Effekt passt dazu: Dadurch, dass sich die Erläuterungen und Beschreibungen der Kunstwerke ganz sachlich auf die Ästhetik und den biblischen Stoff konzentrieren, gewinnt Jesu Leiden in Bild und Musik etwas überzeitlich Erhabenes - ohne frömmelnde Bigotterie, ohne Anbiederung an neueste Moden. Die Distanz zum theologisch-klerikalen Raum scheint dem Erlöser gut zu tun, wie das Zusammenspiel von Musik und Bildern untereinander. Dass dabei statt der klassischen 14 Stationen des Kreuzwegs nur zwölf Stationen zu sehen sind, fällt nicht weiter ins Gewicht. Ebenso wenig, dass die ausgewählten Bilder nicht die Chronologie der Passion wiedergeben.
10.000 Nutzer haben seit dem Dezember des vergangenen Jahres auf ein ähnliches Angebot der Kooperationspartner zur Weihnachtsgeschichte zurückgegriffen. Nun zur Passion werden doppelt so viele Gemälde gezeigt. Wird das auch die Nutzerzahl verdoppeln? Bemerkenswert ist es in jedem Fall, dass die Ausstellungsmacher, die sich inzwischen Gedanken über weitere thematische Audiotouren machen, dem Kirchenjahr einen solchen Stellenwert geben.
Gerade für Menschen mit eingeschränkter Mobilität ist es ein guter Service, dass die Audiotour nicht nur in der Berliner Gemäldegalerie verfügbar ist. Sie ist auch online über das Smartphone und die Website www.klingende-bilder.de (www.klingende-bilder.de) zugänglich.