Wie anfällig ist die Kirche für den Populismus?

"Gemeinden werden zunehmend zu identitären Räumen"

Sind engagierte Kirchgänger besonders anfällig für autoritäres Denken? Laut dem Autor Arnd Henze sei die Kirche gerade in der Vergangenheit populistischen und rechten Einflüssen erlegen. Er schlägt vor: Mischt euch stärker ein!

Gotteslob / © Jörg Loeffke (KNA)
Gotteslob / © Jörg Loeffke ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie sind Mitglied der evangelischen Kirche. Sie fragen kritisch nach dem Umgang mit dem autoritären Erbe der evangelischen Kirche und werfen einen Blick in die Kirchengemeinden. Was passt Ihnen da nicht?

Arnd Henze (Buchautor und Fernsehkorrespondent im ARD Hauptstadtstudio​): Mir passt sehr viel an meiner Kirche, aber sie steht genauso in diesem globalen Stress der Demokratie wie jede andere gesellschaftliche Gruppe. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass gerade engagierte Kirchgänger – evangelische wie katholische – besonders anfällig für autoritäres Denken und Ressentiments gegen Minderheiten sind.

Ich habe mich auf Spurensuche begeben, um herauszufinden, woran das liegt. Was macht uns besonders anfällig? Aber auch umgekehrt: Wo sind unsere Ressourcen, die wir vielleicht zu wenig in dieser Verteidigung der Demokratie einbringen?

DOMRADIO.DE: Sie diskutieren in Ihrem Buch, dass sich Gemeinden zum Rückzugsraum gegen sozialen und kulturellen Wandel entwickeln. Was ist Ihnen bei Ihrer Spurensuche aufgefallen?

Henze: Es gibt einen spezifisch protestantischen Stallgeruch, da gehören bestimmte Traditionen dazu. Am besten wurden schon die Eltern und Großeltern in der Gemeinde getauft, getraut und konfirmiert. Das schafft einen Inner Circle, der es für Außenstehende sehr schwer macht, dazu zu kommen. Meist bilden sich konzentrische Kreise darum. Da wird natürlich noch ein Gesellschaftsbild des vorigen Jahrhunderts tradiert. Das macht es aber schwer, sich für den gesellschaftlichen Wandel zu öffnen.

In einer wachsenden interkulturellen Gesellschaft kann das möglicherweise gerade für die attraktiv sein, die einen Raum suchen, in dem man – ich sag mal – so "richtig deutsch" sein kann. Da werden die Kirchen eher Teil des Problems als Teil der Lösung.

DOMRADIO.DE: Findet man diese Räume heute noch?

Henze: Immer mehr. Durch das Schrumpfen der Gemeinden bleiben vor allen Dingen die weg, die Veränderung bringen und die Gemeinden erneuern könnten. Die Gemeinde wird zunehmend ein identitärer Raum, wo man das geradezu idealisiert und pflegt.

DOMRADIO.DE: Viele sind der Ansicht die evangelische Kirche ist weit entfernt von populistischen und rechten Einflüssen. Sie sagen, das ist eben nicht so!

Henze: Es gibt unglaublich viel Engagement in den Gemeinden. Wir haben es in der Flüchtlingsfrage gesehen, jetzt sehen wir es bei Demonstrationen gegen Rechtspopulisten und Nazis. Am Wochenende gab es eine große Demonstration in Pforzheim, bei der die Kirchen aktiv eine Rolle gespielt haben und diese vorbereitet und mitgestaltet haben. Aber es gibt eben auch andere Gemeinden.

Wir müssen uns klarmachen, dass die Zuwendung zur Demokratie unserer evangelischen Kirchengeschichte ein Geschehen der letzten 50 Jahre ist. Auch in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg haben die Kirchenführer und viele Gemeinden noch aktiv gegen das Grundgesetz gearbeitet. Wir feiern in dieser Woche 70 Jahre Grundgesetz. Da muss man ehrlicherweise sagen, die Kirchen haben zunächst gegen die freiheitliche Demokratie des Grundgesetzes gearbeitet, statt sie am Anfang mitzugestalten.

Das war ein Prozess der 60er Jahre, dass die Kirche in der Demokratie angekommen ist. Das heißt, es ist keine Selbstverständlichkeit. Wenn wir uns jetzt in der Komfortzone der Demokratie eingerichtet haben, befinden wir uns nach wie vor auf dünnem Eis. Darin liegen wahnsinnige Chancen, wir sollten es aber nicht für selbstverständlich halten.

DOMRADIO.DE: Wie bekommt die Kirche die Kurve?

Henze: Sie hat sie ja gekriegt. In den 1960er Jahren wehte zunächst einmal durch die gesellschaftlichen Veränderungen ein neuer Geist in den Gemeinden und Kirchen. Es gab plötzlich Demokratie in den Synoden, es bildeten sich neue Gruppen und es entstanden neue Gottesdienstformen. Die Kirche ist in der Friedensbewegung und in der Umweltschutzbewegung ein ganz aktiver Teil geworden.

Nur wie gesagt, das ist nicht selbstverständlich und es reicht nicht aus einfach zu sagen, wir sind jetzt in der Demokratie. Der Bundespräsident hat gesagt: "Aus guten Demokraten müssen kämpferische Demokraten werden." Und diese kämpferische Haltung für die Demokratie, sowohl nach innen wie nach außen, die wünsche ich mir noch viel mehr.

DOMRADIO.DE: Sie sagen, um die Demokratie zu stützen, sollte sich die evangelische Kirche stärker in politische Debatten einmischen. Wo lässt die Kirche noch ganz besonders Aktivität vermissen?

Henze: Es geht mir nicht um eine Politisierung der Kirche – im Gegenteil. Die Politisierung von Religion erleben wir im Moment in den USA, wo sich Trump vor allen Dingen auf protestantische Wähler stützen kann. Ebenso Präsident Bolsonaro, der durch die Freikirchen zum Präsidenten gewählt worden ist. Um Gottes willen, bitte keine Politisierung der Kirche!

Aber gerade die Gemeinden könnten doch ein Raum sein, wo in einer Gesellschaft, die zunehmend auseinanderbricht, Räume geschaffen werden. Dort kann man Menschen, die nicht mehr miteinander reden, zusammenbringen. Das heißt "Fridays for future" müsste man nicht nur loben, hätscheln und tätscheln, sondern sie mit den örtlichen Bundestagsabgeordneten und der ganzen Gemeinde zusammenbringen.

Oder zum Beispiel, was das bezahlbare Wohnen in vielen Städten betrifft: Warum sollten die Gemeindehäuser nicht ein Forum sein, wo die Realität der Menschen zum Thema wird? Das gabt es mit dem Dellbrücker Forum in Köln über 20 Jahre lang. Im Durchschnitt kamen 250 Menschen, Gemeindemitglieder wie Außenstehende. Gesprächsforen schaffen und Menschen wieder zusammenbringen, dass ist das, was eine Demokratie zusammenhält.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Quelle:
DR