DOMRADIO.DE: Was ist das für eine Abteikirche in Tholey?
Jan Hendrik Stens (Kunsthistoriker und Theologe): Die Abtei ist sehr alt. Sie befindet sich im Saarland und wird im siebten Jahrhundert zum ersten Mal erwähnt. Sie gilt damit als ältestes Kloster auf deutschem Boden.
Die heutige Abteikirche wurde allerdings im 13. Jahrhundert erbaut. Sie zählt zu den ganz frühen gotischen Kirchen in Deutschland. Sie weist auch Elemente aus dem romanischen Vorgängerbau auf, etwa den wuchtigen Westturm.
Wie viele Kirchen hat die Kirche in Tholey eine wechselvolle Geschichte durchlebt - Zerstörungen, Kriege und Brände. Heute ist es ein eher kleines Kloster, in dem noch elf Mönche leben. Aber ein Kloster mit einer großen Tradition.
DOMRADIO.DE: Diese Kirche wird jetzt restauriert und bekommt auch neue Fenster. Wie sahen denn die Fenster aus, die vorher drin waren?
Stens: Die bisherigen Fenster sind nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Sie wurden von Robert Köck entworfen, der damals als Pater Bonifatius Mönch des Klosters war. Köck hat sich biblische Motive aus dem Buch Exodus und aus der Apokalypse zum Vorbild genommen und hat die Fenster eher abstrakt gestaltet. Der Betrachter musste eine entsprechende katechetische Kenntnis haben, um dieses Werk zu verstehen.
Bei der Restaurierung der Abteikirche stellte sich dann heraus, dass die Fenster durch Korrosion sehr stark beschädigt sind. Man hat sich aber gegen eine Restaurierung entschieden und für eine neue Verglasung nach einem völlig neuen Konzept.
DOMRADIO.DE: Ein neues Konzept, ein neuer Künstler. Ich versuche mal das Bild zu beschreiben, das du mitgebracht hast: Meine erste Idee war, es sieht aus Wachs auf Pergamentpapier, das man mit einem Bügeleisen glatt gebügelt hat. Schön verlaufende Farben. Sehen so die Fenster von Herrn Richter aus?
Stens: Nein, überhaupt nicht. Man muss vorweg sagen: Es werden nicht alle 37 Fenster von Gerhard Richter gestaltet, sondern nur drei, aber drei prominente. Es sind die Apsis-Fenster, auf die man schaut, wenn man im Mittelschiff steht und in den Chorraum blickt. Die restlichen Fenster werden von Mahbuba Maqsoodi, einer afghanischen Künstlerin aus München, gestaltet.
Im Vergleich zu Köln sehen die Richter-Fenster in Tholey ganz anders aus. Es gibt aber eine Gemeinsamkeit: Richter greift auf Vorhandenes zurück. In Köln hat er auf die Farbpalette aller anderen Fenster im Dom zurückgegriffen. In Tholey greift er auf ein altes eigenes Werk aus dem Jahr 1990 zurück - nämlich auf ein abstraktes Ölgemälde. Das ist das, was wir hier vorliegen haben und was du, Uta, gerade so schön beschrieben hast. Er hat das allerdings bearbeitet. Durch schneiden und spiegeln sind symmetrische Formen entstanden. Man kann sich das wie bei einem Kaleidoskop vorstellen, mit dem Kinder früher gerne spielten.
Es sind dieselben Farben, weil sie aus demselben Werk entnommen sind. Aber das Werk ist bearbeitet und dadurch wirken die Fenster wesentlich mehr geordnet als das ursprüngliche Bild. Das ist das Interessante. Im Gegensatz zur alten Köck-Verglasung, die die Fensteröffnungen nicht als Begrenzung verstanden, sondern sie gestalterisch überlaufen hat, hält sich Gerhard Richter an die Architektur. Die Fensteröffnungen und das Maßwerk geben den Rahmen für sein Kunstwerk. Deshalb sieht es auf den ersten Blick eher konservativ oder klassisch aus. Aber wenn man genau hinschaut, sind diese Formen durchaus nicht klassisch, sondern abstrakt und dennoch symmetrisch geordnet. Richter selbst hat sie als orientalisch bezeichnet. Es ist ein bisschen so wie auf Omas Perserteppich. Man kann mit Fantasie etwas erkennen, aber was genau, das bleibt dem Betrachter überlassen.
Der Kunstbeauftragte aus dem Konvent hat es so zum Ausdruck gebracht: Es sind die drei Fenster, vor denen das Wichtigste in dieser Kirche geschieht, nämlich die Eucharistiefeier, wo Jesus Christus sakramental gegenwärtig ist. Wie kann man Gottes Gegenwart zeigen? Traditionelle Bilder eines alten Manns mit Rauschebart wollte man vermeiden, denn figürliche Darstellungen Gottes sind ohnehin schwierig wegen des zweites Gebots "Du sollst dir kein Bild von Gott machen". Somit stieß der Richter-Entwurf mit abstrakten Formen, die auf etwas größeres verweisen, auf offene Ohren oder Augen.
Und da wir es mit einer gotischen Kirche zu tun haben, wo Harmonie und Proportion, Mathematik und Geometrie eine größere Rolle spielen, sind diese durch Schnitt und Spiegelung entstandenen Formen ideal. Noch dazu kommt mit den Richterfenstern sehr viel Farbe in die Abteikirche. Die alten Apsis-Fenster waren eher grau dominiert.
DOMRADIO.DE: Sag noch kurz, wie kam Gerhard Richter darauf, die Fenster in Tholey zu entwerfen?
Stens: Ganz einfach: Die Mönche der Abtei haben über einen Kontaktmann bei Gerhard Richter angefragt und er hat sich bereiterklärt, für diese drei Fenster die Entwürfe zu liefern. Er hat aber auch gleichzeitig gesagt, dass es sein letztes großes Werk sei. Dieses letzte große Werk von Gerhard Richter wird dann ab dem kommenden Jahr in der Abteikirche in Toley zu sehen sein.
Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.