Wer den Weg zur Benediktinerabtei im saarländischen Tholey einschlägt, nimmt zuerst das große Metallgerüst rund um die Abteikirche wahr. Alle 37 Fenster fehlen, die Leerstellen sind etwa mit Plastik, Pappe oder Folie provisorisch gefüllt.
An der Ostseite der Kirche, an der Stelle der Chorfenster, hängen am Mittwoch für einen Tag drei große Transparente. Sie präsentieren die Entwürfe des Künstlers Gerhard Richter für drei Kirchenfenster, die zurzeit in der Münchner Glaswerkstatt Gustav van Treeck gefertigt werden. Die Vorlage zeigt abstrakte Muster in blau-roten und rot-gelben Tönen. Richter schenkte der Abtei die Entwürfe. Warum Richter, dessen Arbeiten weltweit zu den teuersten lebender Künstler gehören, ausgerechnet den Auftrag für ein vergleichsweise kleines Kloster mit zwölf Mönchen im Saarland übernahm, bleibt auch am Mittwoch Spekulation. Möglicherweise reizte ihn die historische Bedeutung der Abtei, die viele für das älteste Kloster auf deutschem Boden halten und das im Jahr 634 erstmals urkundlich erwähnt wird.
Suchender Agnostiker
Andererseits scheint der 87 Jahre alte Künstler eine Verbindung zur Kirche zu haben. Er bezeichnete sich selbst in der Vergangenheit als Suchenden und als Agnostiker "mit Hang zum Katholizismus" - trat allerdings als junger Mann aus der evangelischen Kirche aus. Zu seinen bekanntesten Werken zählt das 2007 gestaltete Fenster im Kölner Dom.
Für die Abtei sind die Richter-Fenster ein großes Geschenk, wie Abt Mauritius Choriol sagt. "Eine einfache Anfrage an Richter wurde entgegen jeder Wahrscheinlichkeit mit einem Ja beantwortet." Der Kontakt zum Künstler entstand über den Leiter der Musikfestspiele Saar, Bernhard Leonardy. Richter habe ihm auf den Anrufbeantworter gesprochen. Für ein solches Großprojekt, so die Antwort, sei er "zu belastet und einfach zu alt". Lust habe er aber schon, zitiert Leonardy den Künstler. Letztlich siegte offenbar die Lust am Gestalten.
Geteilt und gespiegelt
Anstatt leuchtend bunter Quadrate wie in Köln zeigen die Entwürfe in Tholey orientalisch wirkende abstrakte Motive, die vertikal und horizontal gespiegelt sind. Als Vorlage gilt Richters Werk mit der Nummer 724-4. Das Gemälde wurde vom Künstler digital bearbeitet, zunächst geteilt und dann gespiegelt - und dieser Vorgang mehrfach wiederholt. Die Motive der Chorfenster stammen aus der 16 Mal gespiegelten Serie.
Im Kloster werden die Entwürfe auf ein mal zwei Meter große Milchglasscheiben gedruckt ausgestellt. Die frühgotische Abteikirche wird aktuell für etwa fünf Millionen Euro komplett renoviert und soll im Juni 2020 fertig sein. Wann die neuen Fenster eingebaut werden ist noch unklar und hängt auch davon ab, wie gut sich die Entwürfe in Glas umsetzen lassen. Die Chorfenster sollen jeweils etwa 18 Quadratmeter groß sein - 1,95 Meter breit und 9,3 Meter hoch. Jedes Fenster ist zweigeteilt in Lanzette und zeigt gespiegelt die gleichen Motive. Die Hälften bestehen aus je sieben rechteckigen Feldern, auf die ein Spitzbogen folgt. Sie werden von einem Dreipass abgeschlossen.
Eine Brücke in die Gesellschaft
Für den Abt bieten Richters Motive "zahlreiche Möglichkeiten der Ansprache". Die Kunst ermögliche es, auch Menschen zu erreichen, die wenig Zugang zu Kirche oder Glauben hätten. Zugleich sieht Choriol Anknüpfungspunkte zur Theologie: "Gott als Gipfel des Vollkommenen findet sich auch gerade in der Kunst", sagt er.
Ein ausdrücklicher Wunsch der Mönche war, dass Besucher die Fenster "ohne große Hürden" verstehen können. "Die Kirche hat einen Teil ihrer Sprechfähigkeit verloren", begründet Bauleiter Frater Wendelinus Naumann die Sicht der Benediktiner. Oft funktioniere die alte Bildsprache nicht, Besucher könnten Symbole vielfach nicht deuten. Die Richter-Fenster hingegen bauten eine Brücke in die Gesellschaft. "Kunst fordert heraus, Kunst polarisiert", erklärt der Mönch.
Auch aus theologischer Sicht sei es gut, dass die Fenster keine konkreten Motive zeigten, meint Frater Wendelinus mit Blick auf das Zweite Gebot, sich kein Bild von Gott zu machen: "Vor allem nicht als alter Mann mit Bart." Richters Motive auf Basis mathematischer Berechnungen seien eine stimmige Annäherung an göttliche Perfektion.