Geschichte Deutschlands kennt viele Migrationsbewegungen

"Mutter aller politischen Probleme"?

Migration hat schon immer starke Spuren in der deutschen Geschichte hinterlassen. Flüchtlinge und Arbeitsmigranten sorgten auch immer wieder für gesellschaftliche Konflikte, wie ein Blick zurück zeigt.

Autor/in:
Christoph Arens
Demonstrierende Gastarbeiter (KNA)
Demonstrierende Gastarbeiter / ( KNA )

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hält die Migrationsfrage für die "Mutter aller politischen Probleme". Viele Menschen verknüpften ihre sozialen Sorgen damit, sagte er am Donnerstag der "Rheinischen Post". Dabei war die Geschichte Deutschlands immer wieder durch Zu- und Abwanderungswellen mitgeprägt.

Schon das 1871 gegründete Deutsche Reich kannte ein Migrationsproblem: Seit den 1880er-Jahren wuchs der Bedarf an Arbeitskräften vor allem im Ruhrgebiet stark an. Bis 1910 stieg die Zahl der registrierten Ausländer von 206.000 auf knapp 1,3 Millionen, darunter vor allem Polen, die mit Misstrauen beobachtet wurden. Zugleich emigrierten Millionen Deutsche in die USA.

Erster Weltkrieg, Weimarer Republik und Migration

In der Folge des Ersten Weltkriegs beschäftigten Unternehmen und Behörden zunehmend ausländische Zwangsarbeiter; Experten gehen von rund einer Million Belgier und Russen aus. In der Weimarer Republik sank die Zahl der Arbeitsmigranten deutlich. Gleichzeitig gewann die Zuwanderung durch Flucht, Umsiedlung und Vertreibung erheblich an Bedeutung. So kamen nach den Gebietsabtretungen des Versailler Vertrags über eine Million Menschen in das gebeutelte Deutschland.

Die größten Migrationsbewegungen des 20. Jahrhunderts fanden zwischen 1933 bis 1945 statt: Hunderttausende Juden und politisch Verfolgte emigrierten. 10 bis 12 Millionen Ausländer wurden in der deutschen Kriegswirtschaft als Zwangsarbeiter eingesetzt. Nach dem Ende des Krieges mussten über zwölf Millionen deutsche Flüchtlinge und Vertriebene sowie ebenso viele "displaced persons", ehemalige Zwangsarbeiter und KZ-Insassen, eine neue Heimat finden. Die Integration der Heimatvertriebenen in das zerstörte und verkleinerte Deutschland schien zunächst kaum lösbar.

1950er-Jahre, die DDR und die Gastarbeiter

Ab den 1950er-Jahren entwickelten sich neue Zuwanderungsformen. Etwa 3,1 Millionen Menschen zogen bis zum Mauerbau 1961 von der DDR in die Bundesrepublik, etwa 500.000 migrierten von West nach Ost. In Westdeutschland war die Aufnahme der "DDR-Flüchtlinge" stets auch umstritten: Ihnen wurde unterstellt, aus egoistischen wirtschaftlichen Motiven zu kommen.

Von 1955 bis 1973 warben westdeutsche Unternehmen und Behörden zudem Millionen Gastarbeiter aus Mittelmeerländern an. Geplant war, dass sie nach einigen Jahren zurückkehren und neuen Arbeitskräften Platz machen sollten: So kamen bis zum Anwerbestopp 1973 rund 14 Millionen ausländische Arbeitskräfte in die Bundesrepublik, zugleich kehrten etwa 11 Millionen wieder zurück.

Kollaps der Sowjetunion

Ab den 1970er Jahren schloss auch die DDR mit "sozialistischen Bruderstaaten" Verträge über die Sendung von Arbeitskräften. Hauptherkunftsländer waren Kuba, Mosambik und Vietnam. Ihre Zahl stieg von durchschnittlich 11.000 zu Beginn der 1980er Jahre auf 190.000 ausländische Beschäftigte 1989.

Nachdem die Zuwanderung in den 1980er Jahren insgesamt gering war, stiegen die Zahlen mit dem Mauerfall wieder an. 1992 beantragten 438.191 Menschen Asyl, fast drei Viertel stammten aus Ost- und Südosteuropa. Den Hintergrund bildeten der Kollaps der Sowjetunion, Kriege auf dem Balkan und die Menschenrechtssituation in den kurdischen Gebieten der Türkei.

Asylkompromiss in den 1990er Jahren

Schnell wuchsen ausländerfeindliche Ressentiments, die in gewaltsamen Ausschreitungen etwa in Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen eskalierten. 1993 verabschiedete der Bundestag den sogenannten Asylkompromiss. Die Zahl der Asylbewerber ging danach stark zurück und sank bis 2008 auf 28.000. Von den Flüchtlingen aus Jugoslawien blieben nur wenige dauerhaft: Grund waren eine aktive Rückführungs- und strenge Abschiebungspolitik.

Seit 2006 allerdings stieg die Zahl der Zuwanderer wieder an. Die meisten von ihnen kommen aus EU-Mitgliedstaaten. Die Freizügigkeit für Arbeitnehmer ermöglicht es ihnen, ohne Visum einzureisen. Mit dem Bürgerkrieg in Syrien und zahlreichen Konflikten von Afghanistan bis Eritrea nahm zuletzt aber auch die Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber stark zu.

Zahlen aktuell

Laut Statistischem Jahrbuch 2017 lebten 2016 rund 18,6 Millionen Menschen mit einem Migrationshintergrund in Deutschland; fast 1,5 Millionen mehr als 2015. Damit stieg der Anteil der Bevölkerung mit ausländischen Wurzeln von 21 auf 22,5 Prozent. 9 Millionen von ihnen haben einen ausländischen Pass. 9,6 Millionen Menschen haben einen deutschen Pass, aber ausländische Vorfahren, oder sind als Aussiedler gekommen.

Europa ist weiterhin die wichtigste Herkunftsregion. Die Bedeutung anderer Erdteile ist jedoch gewachsen. Mittlerweile haben 2,3 Millionen Bürger ihre Wurzeln im Nahen und Mittleren Osten. Afrikanische Länder gewinnen ebenfalls an Bedeutung. Rund 740.000 Menschen sind afrikanischer Herkunft. Die Türkei bleibt vor Polen noch immer mit Abstand das wichtigste Herkunftsland.


Quelle:
KNA