DOMRADIO.DE: Von welchen Zahlen, von welchem Ausmaß ist in Kalifornien die Rede?
Klaus Prömpers (Journalist und USA-Kenner): Die Anwälte haben offengelegt, dass in dem 45 Millionen Einwohnerstarken Kalifornien bis Ende 2022 oder Anfang 2023 für die zwölf Diözesen, die es dort gibt, 3.000 neue Fälle gemeldet worden sind. Demzufolge können möglicherweise 3.000 neue Klagen auf die Diözesen zukommen.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet das für die einzelnen Diözesen?
Prömpers: Die müssen mit großen Forderungen rechnen, sowohl was Schmerzensgeld angeht, als auch was Therapieförderung angeht. Das gilt auch rückwirkend. Denn berechtigt sind nach dem neuen Gesetz von 2019 alle Missbrauchsopfer, die jünger als 40 Jahre sind. Das heißt, darunter fallen alle diese 3.000 Fälle.
Anders als in Deutschland beispielsweise können Schmerzensgeldforderungen oder Urteile gleich in die Millionenhöhe gehen. Das hieße, bis zu drei Millionen Dollar pro Fall und nicht wie bei uns 30.000 bis 40.000 Euro.
Das würde die Diözesen natürlich an den Rand ihrer finanziellen Möglichkeiten bringen. Vier von zwölf kalifornischen Diözesen haben bereits Insolvenz angemeldet oder werden demnächst Insolvenz anmelden müssen. Das geht jetzt wie eine Lawine übers Land.
DOMRADIO.DE: Bedeuten diese Insolvenzverfahren, dass das katholische Leben im schlimmsten Fall komplett zusammenbricht?
Prömpers: Wahrscheinlich nicht unbedingt komplett, weil die Kirchen ja nicht von einer Kirchensteuer im hiesigen Sinne leben, sondern von Spenden ihrer Mitglieder. So werden die Mitglieder jetzt auch beispielsweise vom Bischof von Oakland, Michael Baum, aufgefordert, wieder stärker zu spenden. Man werde Kirchen angesichts der 330 Fälle, mit denen sich die Diözese Oakland konfrontiert sieht, schließen und verkaufen müssen.
Sie hat Reserven von 100 bis 500 Millionen US-Dollar, aber das bringt sie dennoch an die Grenzen der Leistungsfähigkeit. Sie hat deswegen Insolvenz beantragt und der Bischof hat gesagt, man müsse nun zusammenrücken und neue Orte fürs Gemeindeleben finden. Da sind alle aufgefordert, gemeinsam etwas zu suchen, zu finden und das durch Spenden zu finanzieren.
DOMRADIO.DE: Sind denn die Betroffenen zufrieden mit den neu begonnenen Verfahren?
Prömpers: Generell ja. Die Diözesen sagen, sie werden nun mit den Behörden, den Staatsanwälten zusammenarbeiten und alles offenlegen. Aber einer der Sprecher der Betroffenen bezweifelt das, weil sie in der Praxis offensichtlich hier und da den Eindruck bekommen, dass die Diözesen immer noch ein wenig die Täter schützen wollen.
Das lässt sich nur sehr schwierig überprüfen. Es gibt seit 2002 den Grundsatz in der US-Kirche "Nulltoleranz gegen Missbrauchstäter". Das scheint sich aber noch nicht überall durchgesetzt zu haben.
DOMRADIO.DE: Ist denn mit den beispielsweise 330 Klagen im Bistum Oakland ein Ende der immer wieder aufkommenden Altfälle in Sicht. Wie schätzen Sie das ein?
Prömpers: Ein gänzliches Ende wird es nie geben, wie in allen strafrechtlich relevanten Geschichten wie Mord, Totschlag oder schwere Körperverletzung. Da wird es auch immer wieder mal Missbrauchsfälle geben. Aber ich glaube, es wird mittlerweile schon bei der Einstellung von Priesteramtskandidaten sehr viel stärker darauf geachtet, ob da irgendwelche Gefährdungen für die Zukunft vorliegen könnten.
Und es wird sowohl in der deutschen als auch in der amerikanischen Kirche sehr viel stärker darauf geachtet, dass Missbrauchstäter sofort aus dem Dienst entfernt werden und von allen Kindern und Jugendlichen ferngehalten werden, damit sich so etwas nicht wiederholen kann.
Da hat sich schon etwas verändert. Gerade in der US-Kirche, die seit 21 Jahren versucht, eine "Null-Toleranz"-Schiene zu fahren, was sich erst langsam durchsetzt.
Das Interview führte Elena Hong.