Journalist beurteilt die Missbrauchsstudie in Illinois

Kirche erntet Misstrauen

Im Bundesstaat Illinois sollen nach Angaben der Staatsanwalt fast 2.000 Kinder in den vergangenen Jahrzehnten von mehr als 450 Geistlichen missbraucht worden sein. Der Journalist und USA-Kenner Klaus Prömpers mit einer Einschätzung.

Symbolbild Kindesmissbrauch / © StockMediaSeller (shutterstock)
Symbolbild Kindesmissbrauch / © StockMediaSeller ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Schon seit den 1980er Jahren ist der Missbrauch durch Priester in den USA ein Thema. Warum sind die Zahlen in dem neuen staatlichen Bericht so viel höher als in den früheren kirchlichen Untersuchungen? 

Klaus Prömpers (DR)
Klaus Prömpers / ( DR )

Prömpers: Das ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass es eine generalstaatsanwaltschaftliche Ermittlung des Bundesstaates Illinois ist. Der umfasst insgesamt sechs Diözesen, unter anderem die Erzdiözese Chicago. Dass es jetzt 451 fundierte Vorwürfe gegen Priester und Ordensleute gibt, liegt daran, dass darunter 149 neue Personen, meist Ordenspriester und -brüder namentlich benannt worden sind, die in den bisher publizierten Untersuchungen nicht vorhanden waren.

Dazu sagt der Erzbischof von Chicago, Kardinal Blaise J. Cupich: "Wir haben das nicht zu verantworten, denn die Menschen liegen nicht in unserer Verantwortung. Wenn sie bei uns auffällig wurden, haben wir sie der Polizei und der Staatsanwaltschaft gemeldet und sie aus dem kirchlichen Dienst, in dem sie waren, rausgeschmissen und an ihren Orden zurückgegeben." 

DOMRADIO.DE: In Deutschland wird viel über Vertuschung gesprochen, über mangelnde Transparenz. Liegt da nicht der Verdacht nahe, dass die früheren kirchlichen Untersuchungen nicht genau genug hingeschaut haben? 

Prömpers: Der Verdacht liegt sehr nahe und wird auch unterstützt, beispielsweise von einem der Sprecher der Betroffenen, Mike McDonnell. Der sagte im Blick auf den veröffentlichten Bericht: "Der Report zeigt uns ganz deutlich, dass niemand besser über Missbrauch Bescheid wusste, als die Kirche. Aber niemand tat weniger dagegen, als eben die sechs Diözesen." 

DOMRADIO.DE: Ist das für die Betroffenen mehr als nur eine symbolische Aufklärung, weil viele Taten bereits verjährt sind? 

Klaus Prömpers

"Für die Opfer, die noch leben, ist es eine bewusste Anerkennung in der Öffentlichkeit, dass sie tatsächlich Opfer sind. Das wurde in der Vergangenheit sehr häufig nur schleifend behandelt."

Prömpers: Was die Täter angeht, ja. In den meisten Fällen sind sie mittlerweile gestorben, denn dieser Bericht guckt 70 Jahre zurück. Für die Opfer, die noch leben, ist es erstens eine bewusste Anerkennung in der Öffentlichkeit, dass sie tatsächlich Opfer sind. Das wurde in der Vergangenheit sehr häufig nur schleifend behandelt.

Und zweitens, falls nicht schon geschehen, gibt es Ihnen die Möglichkeit, auch Reparationen, also Schmerzensgeld-Zahlungen einzufordern. Die gehen in Amerika in ziemliche Höhen, an denen manche Diözesen in den letzten zehn Jahren bereits Konkurs gegangen sind. 

DOMRADIO.DE: Was bedeutet das aktuell für die sechs Diözesen im Bundesstaat Illinois? Drohen neue Pleiten? 

Prömpers: Ob da nun Pleiten drohen, kann man noch nicht absehen. Das hängt davon ab, wie viele der noch lebenden Opfer, die bisher noch nicht entschädigt worden sind, sich über die staatlichen Stellen oder über Anwälte an die Diözesen wenden, um Schmerzensgeld-Zahlungen zu fordern.

Man konnte das gerade wieder an einer anderen Diözese in Kalifornien studieren. Die hatte 2021 Konkurs angemeldet, hat dann Grundstücke verkauft und konnte so 29 Millionen Dollar aufbringen, um Opfer zu entschädigen. Das könnte hier auch zu erwarten sein, je nach dem wie viele lebende Opfer noch da sind, die solche Ansprüche erheben können und bisher nicht entschädigt worden sind. 

DOMRADIO.DE: Was bedeutet das für die Kirche in den USA? Seit den 1980er Jahren sind Missbrauchsfälle schon bekannt. Es kommen immer wieder neue Zahlen raus. Besteht die Gefahr, dass die Kirche irgendwann mal komplett an Relevanz für das Land verliert? 

Klaus Prömpers

"Aber gerade im Staate Illinois, wo man bisher davon ausging, dass 27 Prozent der Bewohner katholisch sind, trifft dieser veröffentlichte Bericht sicher ins Mark."

Prömpers: Diese Gefahr besteht auch mit anderen protestantischen Kirchen in den USA. In den letzten zehn bis 15 Jahren ist die Anzahl derjenigen, die sich bewusst als nichtgläubig bei Umfragen bezeichnen, sehr in die Höhe gegangen: bis zu 22 Prozent. Das trifft natürlich auch die katholische Kirche.

Aber gerade im Staate Illinois, wo man bisher davon ausging, dass 27 Prozent der Bewohner katholisch sind, trifft dieser veröffentlichte Bericht sicher ins Mark. Denn er verletzt erneut die Glaubwürdigkeit der Kirche. Auch wenn Kardinal Cupich betont, in seiner Erzdiözese Chicago sei bereits seit 1992 sorgfältig gearbeitet worden, und zwar so sorgfältig, dass jeder Verdachtsfall direkt an den Staatsanwalt gemeldet worden ist, um dort zu klären, ob ein Missbrauch vorliegt und wenn ja, in welchem Umfang.

Das Interview führte Mathias Peter.

Die katholische Kirche in den USA

Die römisch-katholische Kirche ist die größte Glaubensgemeinschaft der USA, denn die Protestanten teilen sich in verschiedene Konfessionen. Ein knappes Viertel der US-Amerikaner ist katholisch, die meisten Katholiken leben im Nordosten und im Südwesten. Genaue Zahlen sind schwierig, weil in den USA der Wechsel einer Konfession sehr häufig vorkommt.

Die katholische Kirche in den USA / © rawf8 (shutterstock)
Die katholische Kirche in den USA / © rawf8 ( shutterstock )
Quelle:
DR