DOMRADIO.DE: Warum ist die Imam-Ausbildung in Deutschland denn überhaupt so wichtig?
Dr. Christian Ströbele (Fachbereich Interreligiöser Dialog an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und Kuratoriumsmitglied des Islamkollegs Deutschlands): Ich finde, sie ist in der Tat hoch relevant für die Gesellschaft als Ganzes. Es geht übrigens nicht nur um Imame, es geht um religionskompetentes Betreuungspersonal im weiteren Sinne, also auch um Seelsorge, um soziale Arbeit zum Beispiel; also um Menschen mit ganz wichtigen Funktionen, die an den Verdichtungspunkten des Lebens arbeiten. Sie sind Brückenbauer, sie sind Kommunikatoren. Das ist natürlich hoch anspruchsvoll, eine professionelle Seelsorge, eine religiöse Pädagogik und lebensnahe Glaubenskommunikation zu leisten.
Ein Imam, der ganz woanders ausgebildet wurde, muss erst einmal vertraut werden mit der Sprache, mit den Lebenswelten in Deutschland. Und es gibt ganz hohen Bedarf nach mehr Konstanz und mehr Professionalisierung. Wir wissen das aus Erhebungen in den Moscheegemeinden, aus Studien zur Moscheepädagogik und zu den verschiedenen Feldern der Seelsorge und auch zu den deutschen Imamen und zum Beispiel zu den ausländischen Ausbildungsinhalten. Das gilt dann nochmal auf die verschiedenen wichtigen Zielgruppen hin: ganz wichtig sind mir zum Beispiel die Kinder und Jugendlichen. Die brauchen natürlich ein sprachfähiges Gegenüber für ihre Fragen.
Da gibt es in vielen Moscheegemeinden stark engagierte Ehrenamtliche, zum Beispiel in der Jugendarbeit oder in der Frauenarbeit und in der Dialog-Arbeit. Die sind ein riesiger Gewinn, auch für die Zusammenarbeit vor Ort. Aber sie sind natürlich oft Glücksfälle. Wir versuchen zum Beispiel in unserer Akademie die Idee voranzubringen, Muslime als Partner zu verstehen, um Gesellschaft gemeinsam zu gestalten. Und es geht natürlich besonders gut, wenn sie da gut ausgebildetes Personal vor Ort haben.
DOMRADIO.DE: Warum war es denn so schwierig, das Ganze auf den Weg zu bringen?
Ströbele: Ja, es hat lange gedauert. Es gab zum Beispiel dazu schon vor zwölf Jahren Gespräche in der Deutschen Islamkonferenz und auch da sagen manche, das war schon spät. Aber es ist natürlich auch ein kompliziertes Arrangement. Sie brauchen Vorbedingungen auf mehreren Feldern. Ich würde da drei nennen: Religionsverfassungsrecht, Religionspolitik und Wissenschaft.
Erstmal ist die religiöse Ausbildung die Sache der Religionsgemeinschaften. Aber nun sind die islamischen Institutionen in Deutschland ein vielfältiges Spektrum. Und wenn man es mal ein bisschen vereinfacht sagt, sind viele als Migrantenorganisationen gestartet. Die waren natürlich eher auf ihre Herkunftscommunities und deren vielfältige Anliegen fokussiert. Die Religionsausübung war ein Teil davon und ist dann stärker ins Zentrum gerückt - aber in unterschiedlichem Grade.
Ähnlich ist es mit den Prozessen, jetzt Strukturen aufzubauen und Professionalisierung voranzubringen. Und gerade dieses Islamkolleg versammelt jetzt eher die kleineren Organisationen. Das finde ich besonders erfreulich, dass das so gelungen ist.
Auf der anderen Seite, das ist jetzt das zweite Feld, steht natürlich der Staat. Sowas wie das Kolleg wäre ohne staatliche Förderung an der Stelle wohl gar nicht möglich gewesen. Der deutsche Staat ist in Religionsbelangen wohlwollend neutral. Und da ist es natürlich eine Gratwanderung, wenn der Staat so eine Förderung gewährt. Dazu braucht man ein gut ausgetüfteltes Konzept - ich finde, genau das haben wir hier jetzt. Und es braucht auch einen starken politischen Willen, die Beheimatung der Muslime in Deutschland voranzubringen.
Drittens braucht es diejenigen, die dann dieses Personal professionell ausbilden. Das wiederum braucht eine Rückbindung an die Wissenschaft, also an die islamische Theologie, besonders jetzt hier die Praktische Theologie zum Beispiel, aber auch Pädagogik und Soziale Arbeit. Gerade da ist in den letzten Jahren, seit es islamische Theologie an deutschen Hochschulen gibt, eine ganz beeindruckende Dynamik entstanden - auch im interreligiösen Gespräch übrigens.
Da mussten die muslimischen Kolleginnen und Kollegen überhaupt erst einmal daran arbeiten. Was wollen wir unter islamischer, praktischer Theologie verstehen? Das ist geschehen. Und jetzt gibt es praxisbezogene Studiengänge und zum Beispiel in Osnabrück auch einen Studiengang zu muslimischer Wohlfahrtspflege. Da sind jetzt also die Voraussetzungen gegeben.
DOMRADIO.DE: Vielleicht spekulieren wir mal ein bisschen: Was glauben Sie, wie groß wird die Akzeptanz in den deutschen Moscheegemeinden sein?
Ströbele: Ich glaube, dass das eine entscheidende Zukunftsfrage ist. Aber erstmal ist es jetzt so, dass wir hier den klaren Willen von mehreren muslimischen Organisationen zu diesem gemeinsamen Projekt haben, die jetzt hier kooperieren.
Und es gibt natürlich diesen hohen Bedarf in den Moscheegemeinden, in den verschiedenen Feldern der Seelsorge, auch in der Wohlfahrtsarbeit, da denke ich wird es jetzt nicht unbedingt um Akzeptanzprobleme gehen. Eher wird man vielleicht an vielen Orten offene Türen einrennen, wenn man sagt: Wir haben professionell ausgebildetes Personal, mit dem könnt ihr jetzt arbeiten. Perspektivisch geht es jetzt erstmal darum, bei weiteren Fragen weiterzukommen, die sich stellen. Also zum Beispiel Finanzierung, Fachaufsicht oder Dienstaufsicht.
Für den Moment geht es erstmal vielleicht weniger um Akzeptanzprobleme als um Resonanz und Resonanzchancen. Wir kennen das aus anderen Bereichen: Natürlich gibt es Rückwirkungen in andere Felder. Also hinein in die Institutionen, auch in die Familien, in die Gemeinden. Wenn jetzt versierte muslimische Lehrkräfte zum Beispiel vor Ort arbeiten oder versierte Seelsorgende; das bringt dann die Dinge voran. Und das hat dann Chancen auf vielen Ebenen, auch für die Zusammenarbeit jetzt in der Kommune oder zwischen den Religionen.
DOMRADIO.DE: Sie sagen schon das Stichwort: "Zwischen den Religionen" - warum sitzt ein Katholik im Kuratorium für dieses Islamkolleg?
Ströbele: Ich bin nicht der einzige Nicht-Muslim in diesen Islamkolleg-Gremien. Es sind mehrere Kolleginnen und Kollegen aus den benachbarten Fächern und Religionen einbezogen. Und das liegt, finde ich, in der Natur der Sache. Islamisches Glaubensleben findet natürlich in Kontexten statt, mit denen es in Beziehung steht. Und das gilt natürlich auch für die fachliche Arbeit zu diesen Themen. Da drückt sich, würde ich sagen, von vornherein ein dialogisches Herangehen aus. Und in meinem Fall deckt sich das natürlich auch mit meinen und unseren Anliegen an der Akademie.
Ich sagte es schon: Wir wollen mit Muslimen als Partnern gemeinsame Anliegen voranbringen, Gesellschaft gemeinsam gestalten. Wir koordinieren zum Beispiel das Theologische Forum "Christentum - Islam" als ein Forum für das theologische Fachgespräch. Da versuchen wir, gesellschaftliche Zukunftsfragen theologisch kooperativ anzugehen.
Da ist es natürlich ganz naheliegend, jetzt ein solches Projekt wie das Islamkolleg zu unterstützen. Das ist sicher ein Meilenstein, um die interreligiöse Zusammenarbeit und auch die gemeinsame Gestaltung des Zusammenlebens voranzubringen.
Das Interview führte Michelle Olion.