Aung San Suu Kyi hat ihr Schweigen zur Gewalt gegen die Rohingya gebrochen. In einer Rede in der Hauptstadt Naypyidaw verurteilte die Staatsrätin Myanmars Menschenrechtsverletzungen, relativierte aber zugleich die Not der muslimischen Minderheit. Es seien auch andere Gruppen wie Hindus betroffen, so die Friedensnobelpreisträgerin.
Unterdessen berichteten Rohingya-Vertreter einige tausend Kilometer südöstlich vor dem internationalen "Volkstribunal über Myanmar" in Kuala Lumpur grausame Details. Über Brandschatzungen in Rohingya-Dörfern, über Schüsse auf Zivilisten aus Kampfhubschraubern und über Vergewaltigungen von Rohingya-Frauen durch Soldaten der Armee Myanmars im Norden des Teilstaats Rakhine.
Viele Allgemeinplätze
Aung San Suu Kyi bot in ihrer 35 Minuten langen, auf Englisch gehaltenen Rede viele Allgemeinplätze wie die Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen in Rakhine oder die Beteuerung, sie fühle mit allen Betroffenen. Konkret war indes die Einladung an die internationale Gemeinschaft, sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Dies hatten Regierung und Armee von Myanmar den Vereinten Nationen bislang verweigert. Kein einziges Mal benutzte die 72-Jährige in ihrer Rede das in Myanmar verpönte Wort "Rohingya". Sie sprach aber auch nicht von "Bengali", wie die Angehörigen der Minderheit in Myanmar offiziell genannt werden, sondern allgemein von Muslimen.
"Aung San Suu Kyi wiederholt die vom Militär vor Jahrzehnten eingeführten Narrative, derzufolge die Rohingya keine eigene religiös-ethnische Gruppe mit lange zurückreichenden Wurzeln in Myanmar, sondern illegale Einwanderer aus Bangladesch sind", sagt Maung Zarni. Der Rohingya-Forscher umriss kurz nach der Rede Suu Kyis am Dienstag vor den Richtern des Volkstribunals das Kernproblem des Konflikts: die Verweigerung der Staatsbürgerschaft für die Rohingya. Das sei die Grundlage für das, was UN-Generalsekretär Antonio Gutteres vor kurzem "ethnische Säuberung" genannt habe, so der aus einer alten Militärfamilie stammende Birmane.
Vertreibung schon Ende der 70er
Die erste "Säuberungswelle" habe am 12. Februar 1978 begonnen, dem jährlich gefeierten "Tag der Union". Maung Zarni sagt mit eindringlicher Stimme: "Mit dem 'Tag der Union' als Beginn der Vertreibung machte die Junta klar, dass die Rohingya keinen Platz in diesem Land haben." 280.000 Rohingya flohen damals nach Bangladesch.
220.000 musste Birma später zurücknehmen, nachdem Bangladesch gedroht hatte, die Rohingya zu bewaffnen. "Die Folge war das Staatsbürgergesetz von 1982, wodurch die Rohingya praktisch zu staatenlosen und damit rechtlosen Menschen wurden", so der Experte. Aufgrund weiterer Vertreibungen flohen bis zum Herbst 2016 rund 400.000 Rohingya nach Bangladesch. Zwischen Oktober 2016 und Anfang 2017 flohen weitere 80.000 vor der Militärgewalt. Und seit dem 25. August flüchteten noch einmal 400.000 ins Nachbarland.
Viele ohne Ausweis - und ohne Perspektive
In ihrer Rede stellte Aung San Suu Kyi den Flüchtlingen nun eine Rückkehroption in Aussicht - wenn sie nachweisen können, dass sie in Rakhine gelebt haben. Der betroffene Tin Soe reagiert empört. Das sei ein schwieriges Unterfangen für Menschen, denen vor Jahren von den Behörden die Ausweispapiere entzogen worden seien. "Die meisten Flüchtlinge sind nur mit dem, was sie am Leib hatten, vor der brutalen Gewalt der Armee geflüchtet. Sie haben keine Papiere", sagte der in Bangladesch lebende Chefredakteur der Rohingya-Nachrichtenagentur Kaladan Press Network am Rande des Tribunals in Kuala Lumpur.
UN-Generalsekretär Guterres hatte am Montag gemahnt, die Rede Suu Kyis sei die "letzte Chance" zur Beilegung des Konflikts in Rakhine. Diese Chance habe sie vertan, meint der Bürgerrechtler Khin Zaw Win. Sie habe "kein einziges der grundlegenden Probleme angesprochen", sagte der Direktor des unabhängigen Tampadipa-Instituts zur Stärkung der Zivilgesellschaft in Rangun. "Wenn ich Journalist wäre, würde ich mein Geld zurückverlangen", sagte er mit Blick auf die vielen Medienvertreter, die wegen Suu Kyis Rede nach Naypyidaw gereist waren.