Gewaltsame Proteste nach Lynchmord in Nordnigeria

Gouverneur verhängt Ausgangssperre

Der Tod einer Studentin erschüttert Nigeria. Ein Mob schlug die junge Frau zu Tode und verbrannte anschließend die Leiche. Angeblich soll sie Gotteslästerung begangen haben.

Autor/in:
Katrin Gänsler
Luftaufnahme des Lagers Jere in Nigeria / © Chinedu Asadu/AP (dpa)
Luftaufnahme des Lagers Jere in Nigeria / © Chinedu Asadu/AP ( dpa )

Nach dem gewaltsamen Tod einer Studentin bleibt die Situation in der Stadt Sokoto im Nordwesten Nigerias so angespannt, dass Gouverneur Aminu Tambuwal eine vorerst 24-stündige Ausgangssperre verhängt hat. Am Samstag protestierten vor allem junge Männer im Zentrum der Stadt, zogen vor den Palast von Sultan Sa'ad Abubakar, dem obersten Meinungsführer der muslimischen Gemeinschaft, und zündeten in der Nähe Autoreifen an. Mit ihren Protesten, die anfangs friedlich waren, wollten sie erreichen, dass zwei junge Männer aus dem Gefängnis entlassen werden.

Katholische Kirchen angegriffen

Die Diözese Sokoto bestätigte, dass auch zwei katholische Kirchen angegriffen und beschädigt wurden - Fenster seien zerstört, in einer Kirche ein Feuer gelegt worden. Auch ein Pfarrsekretariat, ein Gemeindebus und ein im Bau befindliches Krankenhaus seien beschädigt worden. Polizeikräfte hätten schnell eingegriffen und schlimmeres verhindert, betonte der Bischof von Sokoto, Matthew Hassan Kukah. Er widersprach zugleich Berichten, seine Bischofsresidenz sei ebenfalls Ziel von Angreifern geworden. Im Bistum wurden für die Zeit der Ausgangssperre alle Gottesdienste ausgesetzt.

Nigeria in Zahlen und Fakten

Nigeria ist der bevölkerungsreichste Staat Afrikas. Was dort passiert, hat oft Auswirkungen auf den ganzen Kontinent und darüber hinaus. 

Es besteht zu etwa gleichen Teilen aus Muslimen und Christen. Der Norden ist stark islamisch geprägt; in zahlreichen Bundesstaaten gilt das islamische Recht, die Scharia. Im Süden leben überwiegend Christen.

In Nigeria versorgt Malteser International Geflüchtete unter anderem mit sauberem Trinkwasser / © Emily Kinskey (Malteser International)
In Nigeria versorgt Malteser International Geflüchtete unter anderem mit sauberem Trinkwasser / © Emily Kinskey ( Malteser International )

Die beiden Männer, um die es geht, waren am Freitag im Zusammenhang mit dem Lynchmord an der Studentin Deborah Samuel verhaftet worden.

In einer WhatsApp-Gruppe soll sie ihre Kommilitonen aufgefordert haben, in dieser keine religiösen Kommentar zu posten. Stattdessen sei der Chat für den Austausch über Hausarbeiten und Prüfungen geschaffen worden. Diese und vorhergehende Nachrichten waren von einigen Gruppenmitgliedern als Beleidigung des Propheten Mohammed verstanden worden und brachten eine Reihe von Personen derart in Rage, dass sie am Donnerstagmorgen auf dem Gelände des Shehu-Shagari-College für Erziehung nach ihr suchten. Der Leitung gelang es nicht, sie vor dem Mob zu schützen.

Geschlagen und mit Steinen beworfen

Ein Video, das in den Sozialen Medien kursiert, soll zeigen, wie die Studentin geschlagen und mit Steinen beworfen wurde. Als sie schließlich leblos am Boden liegt, werden drei Autoreifen auf sie geworfen. In dem verwackelten Handy-Video sind Personen zu hören, die laut "Allahu Akbar" (Gott ist groß) rufen. Verifizieren lässt sich das Video bislang nicht.

Unterdessen wurde die Tat im ganzen Land scharf verurteilt. Ein Sprecher von Präsident Muhammadu Buhari nannte sie "besorgniserregend". Niemand im Land dürfe das Gesetz selbst in die Hand nehmen. Sokotos Bischof Kukah forderte, dass die mutmaßlichen Täter wie Kriminelle behandelt werden. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte, dass Straflosigkeit zu steigender Mob-Gewalt geführt habe. Solche Vorfälle müssten unverzüglich, unabhängig und wirksam untersucht werden.

In Nigeria (220 Millionen Einwohner) leben etwa gleich viele Christen und Muslime. Letztere sind im Norden, wo in zwölf Bundesstaaten auch die Scharia gilt, in der Mehrheit. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, damit keine Religion die Mehrheit für sich beanspruchen kann. Politische Parteien achten beispielsweise darauf, Kandidatenteams für Wahlen gleichmäßig zu besetzen.

Mehrfache ähnliche Ausschreitungen

Seit Mitte der 1980er Jahre kam es in Nigeria wegen mutmaßlicher Gotteslästerung mehrfach zu schweren Ausschreitungen. 2002 starben bei den sogenannten Miss-World-Ausschreitungen in der Stadt Kaduna mehr als 200 Menschen. Die Veranstaltung, die in der gut zwei Autostunden entfernten Hauptstadt Abuja stattfinden sollte, stand bereits im Vorfeld in der Kritik, weil der Fastenmonat Ramadan war.

Als eine Journalistin der Tageszeitung "This Day" schrieb "was würde Mohammed denken? Ehrlich gesagt hätte er sich wahrscheinlich eine von ihnen ausgesucht", verärgerte das Teile der muslimischen Bevölkerung so sehr, dass es drei Tage lang zu schweren Straßenkämpfen kam. Gegen die Journalistin wurde ein Todesurteil verhängt. Sie konnte rechtzeitig fliehen.

Dass ausgerechnet in Kaduna die Gewalt eskalierte, lag auch daran, dass in der Stadt anders als anderswo im Norden eine etwa gleich große Anzahl an Christen und Muslimen lebte. Schon zwei Jahre zuvor war es aufgrund der Einführung der Scharia zu schweren Ausschreitungen mit mehr als 1.000 Toten gekommen.

Auch Gerichte verhängen Blasphemie-Urteile. Im April wurde ein bekennender Atheist, der seit 2020 in Haft ist, zu einer 24-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Ein im Jahr 2020 verhängtes Todesurteil gegen einen Sänger wurde mittlerweile wieder aufgehoben. Er soll Liedzeilen, in denen er angeblich Prophet Mohammed beleidigte, in einer WhatsApp-Gruppe geteilt haben.

Quelle:
KNA