Theologe: Kirche sollte Systemrelevanz in Frage stellen

"Gott ist mehr als notwendig"

Der Wiener Theologe Ulrich Körtner erkennt in der Debatte um die Systemrelevanz der Kirche eine Chance. Die Kirche solle sich fragen, ob Systemrelevanz zu ihren primären Aufgaben gehöre.

Ist Kirche systemrelevant? (shutterstock)

"Statt sich gegen den Verlust an Systemrelevanz zu stemmen oder ihn kulturpessimistisch zu beklagen, sollten sich die Kirchen fragen, ob Systemrelevanz überhaupt zu ihrem Wesenskern gehört, wenn jetzt selbst Schlachthöfe mit menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen behaupten, systemrelevant zu sein", schreibt der Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien in einem Gastbeitrag der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag).

"Mehr als Kapitalismuskritik und Betroffenheitsrhetorik"

Nach biblischem Zeugnis sei es nicht die primäre Aufgabe der Kirche, bestehende gesellschaftliche Systeme zu stabilisieren. Nach Körtners Ansicht schon gar nicht, wenn die Systeme die Menschenrechte missachten, das Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich verschärfen und die Ausbeutung von Mensch und Natur vorantreiben.

"Das systemkritische Potenzial der christlichen Hoffnung auf das Reich Gottes, um dessen Kommen Sonntag für Sonntag im Vaterunser gebetet wird, ist daher auch nicht auf wohlfeile Kapitalismuskritik und kirchliche Betroffenheitsrhetorik zu reduzieren", so der Theologe.

"Der Glaube ist kein Muss"

Im Verlust an Systemrelevanz liege für Kirche und Theologie eine Chance. Der Glaube sei kein Muss, er bleibe aber eine Option, wie auch Gott nicht notwendig sei, sondern mehr als notwendig und "unseren Wirklichkeitssinn gerade dadurch schärft, dass er uns mit Möglichkeitssinn begabt".


Quelle:
KNA