Zisterziensermönch über das Klosterleben in Corona-Zeiten

"Gott ist trotzdem da"

Im Brandenburger Zisterzienserkloster Neuzelle im Bistum Görlitz leben sechs Mönche und Kater Heinz. Zisterziensermönch Pater Kilian Müller berichtet über das Leben und Beten im Kloster Neuzelle in Zeiten von Corona. 

Mönche des Klosters Neuzelle / © Rocco Thiede (privat)
Mönche des Klosters Neuzelle / © Rocco Thiede ( privat )

DOMRADIO: Was hat sich seit Corona bei Ihnen im brandenburgischen Kloster Neuzelle verändert, Pater Kilian?

Pater Kilian (Kloster Neuzelle): Der Schulunterricht und auch das pfarrliche Leben ruhen momentan. Sicher geht es uns wie den meisten Menschen: Die ersten zwei, drei Tage nimmt man die Ruhe erstmal dankbar an. Danach merkt man plötzlich, was man sonst für selbstverständlich ansieht und nun vermisst.

DOMRADIO: Wie geht Klosterleben bei einer Pandemie?

Pater Kilian: Der große Unterschied zum Normalbetrieb liegt darin, dass wir bei unseren Gebetszeiten und Gottesdiensten nun keinerlei Teilnehmer mehr einlassen dürfen. Das ist vor allem dann traurig, wenn normalerweise die Neuzeller Kirche gut gefüllt wäre – zu den Heiligen Messen am Sonntagvormittag, oder auch unter der Woche zur Komplet, dem letzten Chorgebet des Tages, zu dem auch unter der Woche regelmäßig 10 bis 20 Teilnehmer in die Kirche kommen. 

Pater Kilian / © Rocco Thiede (privat)
Pater Kilian / © Rocco Thiede ( privat )

Ansonsten halten wir aber unseren klösterlichen Tagesablauf genauso ein wie vorher – das ist der Vorteil daran, dass bei uns Arbeits- und Privatleben eine Einheit bilden, wir also in einer familiären Struktur vor Ort leben, beten und arbeiten.

DOMRADIO: Wie viele Brüder leben aktuell im 2018 gegründeten Priorat Kloster Neuzelle?

Pater Kilian: Wir sind weiterhin sechs Mönche, plus Kater Heinz. Mehr Platz ist leider nicht…

DOMRADIO: Wie bisher feiern Sie die tägliche Messe und Stundengebete?

Pater Kilian: Da wir ja eine häusliche Gemeinschaft sind, ist im Gebet und bei der Heiligen Messe eigentlich alles weiter wie bisher, nur dass wir jetzt tatsächlich dabei in Klausur sind. Zu den täglichen Gebetszeiten gehen wir auch weiterhin jeweils in die Stiftskirche, angefangen mit den Vigilien um 5.00 Uhr morgens bis zum täglichen Rosenkranz (19.15 Uhr) und der Komplet (19.45 Uhr) am Abend.

DOMRADIO: Technisch haben Sie auch aufgerüstet?

Pater Kilian: An konkreten neuen Angeboten versuchen wir nun die Gläubigen unter anderem zu stützen durch einen täglichen livestream. Aus der Stiftskirche übertragen wir täglich um 19.15 Uhr zum Rosenkranz und anschließend (ca. 19.45 Uhr) die Komplet. An Sonntagen wird um 17.00 Uhr eine Heilige Messe übertragen – unter www.youtube.de/ZisterzienserNeuzelle, und auch über die sozialen Medien sind wir täglich mit vielen Menschen verbunden.

DOMRADIO: Welchen Einfluss hat die Coronakrise auf Ihre Klausur und das mönchische Zusammenleben?

Pater Kilian: Die Situation fordert uns heraus, nach Wegen zu suchen, auch unserem pastoralen Auftrag gerecht zu werden. Ich selber habe wegen der aktuellen Entwicklungen die Konventexerzitien, die ich bei den Borromäerinnen in St. Carolus in Görlitz halten sollte, abgebrochen und bin vorzeitig nach Neuzelle zurückgekehrt. 

An den letzten beiden Exerzitientagen habe ich mit den Schwestern die Heilige Messe in einer provisorischen Kapelle in deren Klausur gefeiert. Besonders die ältesten unter den Schwestern, so schien mir, fühlten sich erinnert an die Umstände, in denen während oder nach dem Zweiten Weltkrieg die Heilige Messe gefeiert werden musste – auch wenn das natürlich insgesamt ganz andere Umstände waren.

DOMRADIO: Sie haben sich für die Gläubigen etwas besonderes einfallen lassen …

Pater Kilian: Hier in Neuzelle und Eisenhüttenstadt sind wir mit dem Allerheiligsten Sakrament in der Monstranz durch die Straßen gefahren und haben mit dem Eucharistischen Herrn auch jedes der Dörfer besucht, die zur Pfarrei gehören. Dort haben wir jeweils von einem Punkt aus alle Häuser, Gärten, Felder, den Wald, die Tiere und vor allem alle Menschen gesegnet, die dort leben und für sie alle um Schutz und Gesundheit gebetet.

DOMRADIO: Wie können Sie darüber hinaus anderen Menschen in dieser Ausnahmesituation helfen?

Pater Kilian: Ein wichtiger Punkt scheint mir dabei die Botschaft der "stabilitas loci", also der zuverlässigen, örtlichen Stabilität eines Klosters zu sein. Im Namen Gottes sind wir einfach da, singen im gleichen Rhythmus das Chorgebet und feiern die Eucharistie. Darauf kann man sich verlassen und sich zu den jeweiligen Zeiten in Gedanken und eine dann, wenn die Türen momentan verschlossen sind. 

So eine Krise darf abgesehen davon auch den Glauben an die sakramentale Gegenwart Gottes in der Welt nicht erschüttern – so schmerzlich und vielleicht in manchen Punkten auch unverhältnismäßig man diese Einschränkungen jetzt empfinden mag.

Gerade war die "Amazonas-Synode" noch in aller Munde, und jetzt sind auch wir Europäer im Blick auf Einzelaspekte des kirchlichen Lebens ganz unerwartet hineingenommen in die Lebenswirklichkeit hunderttausender Katholiken jeden Alters und Geschlechtes auf der ganzen Welt, die nur alle paar Monate an einer Heiligen Messe teilnehmen können. 

Gerade diese haben aber oft einen festen und lebendigen – leidgeprüften – Glauben. Wenn nun in dieser bedrängten Situation der Glaube unmittelbar zusammenbricht, sagt uns das doch vor allem etwas über die Stärke oder Schwäche unseres eigenen Glaubens.

DOMRADIO: Viele Menschen wollen wissen WARUM?

Pater Kilian: Abgesehen davon kann keiner von uns diese Pandemie einfach mit einem Schlag beenden, daher ist der Weg des christlichen Glaubens der, dass wir diese Situation zunächst versuchen anzunehmen und statt "Warum?" lieber fragen "Wozu?", d.h. in welcher Weise könnte die gegebene Situation fruchtbar werden? 

Wo ist selbst im Schlechten, Schmerzhaften dieser Pandemie das Gute zu entdecken, das mir im Lichte des Glaubens erlaubt, ihr einen Sinn zu entlocken? Dann erst kann ich Gott vertrauensvoll bitten, sich mitten in diese Situation hinein zu verherrlichen.

DOMRADIO: Welche Vorbilder können helfen?

Pater Kilian: Leidvolle Zeiten rufen also immer zum Wachstum im Glauben auf. Hilfreich können hier die Lebenszeugnisse vieler Frauen und Männer aus den letzten 2000 Jahren sein, die auf beeindruckende Weise mitten im Leiden einen tiefen Zugang zu Gott gefunden haben. Die Apostel sind die ersten, ihnen folgen die Märtyrer der Christenverfolgungen der frühen Kirche. 

Blick auf die Klosteranlage Neuzelle / © Patrick Pleul (dpa)
Blick auf die Klosteranlage Neuzelle / © Patrick Pleul ( dpa )

Aber es gibt auch in unserer Zeit so manches bewegende Zeugnis dafür, wie beispielsweise den Lebensweg des 2002 verstorbenen vietnamesischen Kardinals François Xavier Nguyên Van Thuân. All das sind konkrete Beispiele, wie Menschen mit leidvollen Situationen umgegangen und darin dem lebendigen Gott begegnet sind und ihn bezeugt haben. Und dann merkt man: Es ist schlimm, es ist Leid – aber Gott ist trotzdem da, Er hat es sich nicht anders überlegt mit mir und seiner Schöpfung.

DOMRADIO: Gibt es für Ordensleute spezielle Anweisungen oder Ausnahmereglungen?

Pater Kilian: Grundsätzlich sind wir weiterhin dem Abt von Heiligenkreuz unterstellt. Durch unsere pastorale Arbeit in der Pfarrseelsorge sind wir aber diesbezüglich dem Bischof von Görlitz und seiner Weisung zugeordnet. Mit beiden sind wir im guten Austausch. 

Was sichergestellt sein muss, ist dass wir in pastoralen Notfällen auch bei einer Ausgangssperre bestimmte Sonderrechte haben. Keiner von uns will und wird sich zu leicht davon abhalten lassen, im Notfall zu den Sterbenden zu gehen und sie nach Möglichkeit mit den entsprechenden Sakramenten zu versorgen – selbst, wenn dabei immer auch die Gefahr der Infektion besteht. 

Was wir im Auftrag des Herrn zu bringen haben, übersteigt aber die Grenzen des irdischen Lebens, und ich hoffe, dass jeder von uns Mönchen und Priestern im Ernstfall mit Glauben und Klugheit dazu imstande ist, dem Gebot Gottes mehr zu gehorchen als den Geboten von Menschen, selbst wenn das für einen selbst ein Risiko darstellt.

DOMRADIO: Welche Empfehlungen gibt Ihr Abt Maximilian aus dem Mutterkloster Heiligenkreuz?

Pater Kilian: In Österreich waren die Bestimmungen und Restriktionen des öffentlichen Lebens von Anfang an deutlich schärfer als in Deutschland. Wir sind mit Abt Maximilian und auch den Mitbrüdern regelmäßig in Kontakt, aber es ist schon sehr ungewohnt und ein seltsames Gefühl, dass wir derzeit nicht ohne Weiteres "heim" in unser Mutterkloster reisen könnten. 

Der Abt hat dringend appelliert, dass wir die Vorsorgemaßnahmen, aber auch unseren geistlichen Auftrag zum Gebet für die gesamte Menschheit, die Leidenden und diejenigen, die in der medizinischen Versorgung und der Verwaltung gefordert sind, in dieser schweren Zeit ernst nehmen.

DOMRADIO: Es gibt einen Rundbrief des Generalabtes aus Rom. Was sind die wichtigsten Botschaften daraus?

Pater Kilian: Unser Generalabt Mauro-Giuseppe Lepori hat allen Zisterzienserinnen und Zisterziensern weltweit einen wie immer geistlich gehaltvollen und väterlichen Brief übersandt, der über www.ocist.org auch öffentlich verfügbar ist. Ihm geht es darum, dass wir durch unsere monastische Berufung in dieser durch die Pandemie verursachten "großen, weltumfassenden Abstinenz" erst recht Sinngeber für die Menschen sein können und sollen. 

Das durch die Präventionsmaßnahmen verordnete Innehalten bietet auch uns die Möglichkeit zur Bekehrung, hin zum Wesentlichen, zu Gott: "Haltet inne und erkennt, dass ich Gott bin", heißt es im Psalm 45. Der Generalabt erinnert uns: "Freiheit heißt nicht, immer und überall auswählen können, was man will. Freiheit ist die Gnade wählen zu können, was unserem Herzen Erfüllung zu schenken vermag, selbst wenn uns alles weggenommen wird." 

In dieser Situation ist also unser solidarisches Gebet für die ganze Welt, ist unser Glaube und unser Zeugnis als Nonnen und Mönche zutiefst gefragt und bedeutungsvoll – und davon sind wir fest überzeugt, auch hier in Neuzelle!

DOMRADIO: Stichwort. Ökumene. Wie reagieren Ihre evangelischen Nachbarn?

Pater Kilian: Wir haben weiterhin ein sehr gutes und wechselseitig hilfsbereites Miteinander. Der evangelische Pfarrer wohnt ja direkt gegenüber vom katholischen Pfarrhaus, also gibt es immer wieder Gelegenheit zum Gespräch und auch zu struktureller Nachbarschaftshilfe, zum Beispiel bei der Nutzung von Räumlichkeiten. In den kommenden Wochen wollen wir auch die ein oder andere ökumenische Andacht per livestream ins Internet übertragen.

DOMRADIO: Haben Sie besondere Gebetsempfehlungen für die Leser?

Blick auf das Kloster Neuzelle / © Gregor Krumpholz (KNA)
Blick auf das Kloster Neuzelle / © Gregor Krumpholz ( KNA )

Pater Kilian: Das kommt ganz auf die persönlichen Vorlieben an. Für die einen ist es eine Chance, die vertrauten Gebete wie das Vaterunser oder den Rosenkranz neu zu entdecken, um im Vertrauen zu wachsen oder auch gemeinsam mit der Familie zu beten. Als Mönche sind wir natürlich "Fans" der Psalmen, die als "Spiegel der Seele" Situationen tiefer Verlassenheit aufgreifen, aber genauso Jubel oder Vertrauen ausdrücken, wie der den meisten bekannte Psalm 23 vom guten Hirten. 

Ebenso gut ist das Singen, gerade dann, wenn die Sorge oder Angst einen zu überrollen scheint. "Wer (gut) singt, betet doppelt", schreibt der heilige Augustinus. Und wer vielleicht nicht so gut singt, betet immer noch mindestens 1,5fach…

DOMRADIO: Abschließend gefragt: Wie ist der Stand zum geplanten Klosterneubau?

Pater Kilian: Leider sind bisher noch keine Verträge geschlossen, wir ringen noch um Regelungen über das Grundstück. Da ist es für die Landesstiftung Stift Neuzelle einerseits wichtig, dass das Gelände nur dann veräußert wird, wenn das Klosterprojekt auch realisiert wird. Für uns ist das Grundstück andererseits wertlos, wenn wir dort nicht bauen können. Also braucht es eine saubere juristische Regelung, die die beiderseitigen Interessen berücksichtigt. 

Auch hier ist durch das Corona-Virus manches etwas verlangsamt worden. Die neue Landesregierung hat sich bisher aber positiv und engagiert gezeigt und wir Neuzeller Mönche, aber auch der Abt und das Kapitel in Heiligenkreuz, sind noch immer hoffnungsvoll, dass es gelingt.

Das Interview führte Rocco Thiede.

Hinweis: Vom Autor erschien 2018 das gebundene Buch: "Die Mönche kommen ….Neuzelle - Wiederbesiedlung eines Klosters" (Benno Verlag Leipzig, 178 Seiten mit vielen Farbfotos zum Preis von 14,95 Euro).

Kloster Neuzelle

Blick auf die Klosteranlage Neuzelle / © Patrick Pleul (dpa)
Blick auf die Klosteranlage Neuzelle / © Patrick Pleul ( dpa )

Das Kloster Neuzelle bei Frankfurt/Oder ist eine der wenigen vollständig erhaltenen mittelalterlichen Klosteranlagen in Europa und über 750 Jahre alt. Auf dem Gelände des historischen Zisterzienserklosters Neuzelle südlich von Frankfurt/Oder hat sich 2018 eine Gemeinschaft von derzeit sechs Zisterziensermönchen angesiedelt, die mit dem österreichischen Kloster Heiligenkreuz verbunden ist. 

Quelle:
DR