DOMRADIO.DE: Wie groß war die Enttäuschung nach dem Wahlausgang um den CDU-Parteivorsitz?
Jens Spahn (Bundesgesundheitsminister und CDU-Politiker): Ich bin angetreten, um zu gewinnen. Wir Menschen finden es doch eigentlich immer schöner zu gewinnen als zu verlieren. Gleichzeitig habe ich ja die Umfragen gesehen und konnte die Stimmung lesen. Da war ich irgendwie auch schon darauf vorbereitet.
Trotzdem war es mir wichtig, dieses Angebot, diese Kandidatur, zu machen, auch aus der jüngeren Generation heraus in Verantwortung zu gehen und meine Themen zu setzen. Das ist in diesem Verfahren auch ganz gut gelungen. Insgesamt hat das der Partei gut getan. Deswegen bin ich da auch mit mir im Reinen.
DOMRADIO.DE: Sie sagen von sich selbst, dass Sie überzeugter Katholik sind. Hilft Ihnen denn der Glaube in solchen Situationen der Enttäuschung?
Spahn: Ja. Das macht mich jedenfalls gelassener in allen Lebenslagen, auch wenn man mal einen kleinen Fehler macht oder einen Versprecher hat. Wir Menschen haben Stärken und Schwächen. Wir machen Fehler. Wir lassen uns manchmal in Versuchung führen. Da zu wissen, immer bei jemandem aufgehoben zu sein und auch als solcher mit den Schwächen angenommen zu sein, beruhigt dann schon. Für mich ist das Katholisch-Sein gerade in Verbindung mit Politik vor allem eine Haltungsfrage, die auch innere Ruhe gibt.
DOMRADIO.DE: Fühlen Sie sich in Ihrer Kirche denn aufgehoben, wenn Ihre Kirche Homosexualität zum Beispiel als Sünde bezeichnet und damit ja Ihr eigenes, persönliches Lebensmodell ablehnt und verurteilt?
Spahn: Auch das kenne ich schon seit ein paar Jahren. Ich sage mir immer: Der liebe Gott wird sich etwas dabei gedacht haben, dass ich so bin wie ich bin. Das ist für mich der entscheidende Teil, sozusagen mit mir, meinem Glauben und meinem Gott im Reinen zu sein.
Was ich da an Äußerungen dieser Tage von der katholischen Kirche, zum Teil auch vom Papst, wieder lese, nehme ich zur Kenntnis. Manchmal wundere ich mich auch. Aber ich habe auch keine Lust mehr, mich darüber aufzuregen.
DOMRADIO.DE: Bei welchen politischen Themen lassen Sie sich von ihrem Glauben leiten? Finden Sie da konkrete Beispiele?
Spahn: Es gibt selten Punkte, wo es wirklich sehr konkret wird. Ich finde, einen Hartz-IV-Satz kann ich nicht aus dem Glauben ableiten. Also, wie hoch der sein soll. Ob fünf Euro mehr oder weniger.
Aber wenn es um Lebensschutz geht - das sind natürlich Themen, die mich auch im Gesundheitsministerium beschäftigen - dann wird es doch auch sehr, sehr grundsätzlich. Und da bin ich dann auch Katholik.
Ich finde nicht, dass wir als Menschen definieren sollten, wann Leben beginnt und wie Leben lebenswert ist. Jedes Leben hat sein Recht und seine Würde und ist es wert, gelebt zu werden. Wir sollten auch nicht irgendwie dahin kommen - siehe Sterbehilfe -, zu definieren, wann Leben nicht mehr lebenswert ist. In dem Moment, wo der Mensch sich anmaßt, das definieren zu wollen, spielt er Gott. Da entsteht ganz schnell eine Schieflage.
DOMRADIO.DE: Das heißt, da holen Sie die Überzeugung aus Ihrem Glauben mit hinein in die Politik. Sie haben trotzdem vor einiger Zeit einen Artikel geschrieben, in dem Sie Bischöfe kritisieren, die sich zu Sachfragen der Tagespolitik äußern. Warum?
Spahn: Weil ich finde, manchmal müssen die Amtskirche und die offiziellen Vertreter auch aufpassen, dass es noch um Kirche geht und nicht, dass es ein weiterer Sozialverband ist. Die Caritas macht ihre Arbeit und auch viele andere katholische Verbände. Ich bin selbst sehr engagiert in der KJG (Katholische Junge Gemeinde, Anm. d. Red.) und im BDKJ (Bund der Deutschen Katholischen Jugend, Anm. d. Red.) gewesen. Aber wenn es um Kirche geht, um Seelsorge und um Glauben, dann ist das doch der entscheidende Bestandteil.
Mir geht es doch vor allem auch darum, Trost zu finden. Die Fragen "warum", "woher" und "wohin" sind doch die Kernfragen von Glauben und nicht die Frage, wie hoch der Hartz-IV-Satz ist. Die ist wichtig, aber die ist aus meiner Sicht jedenfalls nicht zuerst eine Frage, die von Bischöfen kommentiert werden muss. Oder die Frage, wie wir bestimmte politische Alltagsfragen auflösen, bis durchaus hin zu manchen Debatten von Migration oder Sicherheitspolitik. Wenn man zu oft auch in Alltagspolitik verwickelt ist, dann ist es irgendwann, glaube ich, auch schwerer, im wahrsten Sinne des Wortes glaubwürdig und glaubhaft in sehr grundsätzlichen Fragen wahrnehmbar Position zu beziehen.
Das Interview führte Verena Tröster.