"Um unsere Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und in unserem Glauben zu verharren, müssen wir regelmäßig beten, die Bibel lesen und die Kirche besuchen", predigt ein künstliche Stimme in der evangelischen Sankt Paul Kirche in Fürth. Die darauffolgenden Worte sind kaum zu verstehen - zu laut ist das Lachen der Gläubigen.
Sie sind am Freitagvormittag von Nürnberg ins benachbarte Fürth gekommen, um auf dem Evangelischen Kirchentag Teil einer deutschlandweiten Premiere zu sein: Es war der erste Gottesdienst, der nicht von einem Priester oder einer Pfarrerin, sondern von Künstlicher Intelligenz (KI) gestaltet wurde. Und bereits vor Beginn spiegelte ein Schild mit der Aufschrift "Kirche überfüllt" das Interesse an dem Vorhaben wider.
Über einen QR-Code konnten die Gläubigen vorab den Satz "Wenn ich daran denke, dass ich gleich von einer KI durch einen Gottesdienst geführt werde, dann..." vervollständigen. Und prompt ploppen auf einer großen Leinwand im Altarraum Fetzen wie "... dann macht mir das Angst" auf.
Nicht ohne menschliche Hilfe
Ganz ohne menschliche Hilfe ging es jedoch nicht, denn die Technik wurde von den Veranstaltern mit einigen wenigen Arbeitsanweisungen gefüttert. Sie sollte einen kompletten Gottesdienst abhalten - inklusive Predigt und musikalischer Gestaltung. Außerdem wurde sie mit Stichwörtern wie "Evangelischer Kirchentag in Nürnberg und Fürth" sowie dem Motto "Jetzt ist die Zeit" trainiert.
Ein Moderator gibt das Startkommando, und dann geht es los. Fröhliche Musik mit Streichinstrumenten erfüllt den Raum. Musiker werden jedoch vergebens gesucht, denn zu sehen ist nur eine große Leinwand. Auf ihr erscheint eine junge Frau mit einer computergenerierten Stimme: "Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen."
Da das Motto des Kirchentags "Jetzt ist die Zeit" laute, könne Psalm 90 passend sein, findet der Avatar. Die KI will hierfür die Gläubigen in zwei Gruppen teilen, ohne auf Stereotype zurückzugreifen. Deshalb schlägt sie vor: Diejenigen, die in den ersten sechs Monaten des Jahres Geburtstag haben, lesen den Text auf der rechten Seite der Leinwand ab, und andersrum. Nach kurzem Gelächter und anfänglicher Verwirrung, setzen die Besucherinnen und Besucher mit ein.
Gemeinsames Gebet
Im Laufe des Gottesdienstes erscheinen weitere Menschen auf der Leinwand, die dazu einladen, gemeinsam zu beten. Von einer männlichen Stimme wird etwa der biblische Text "Alles hat seine Zeit" vorgetragen - in Windeseile und mit der immerselben kalten Betonung.
"Geboren werden hat seine Zeit, Sterben hat seine Zeit; Pflanzen hat seine Zeit, Ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; Töten hat seine Zeit, Heilen hat seine Zeit", tönt es aus den Lautsprechern.
Wirklich besinnliche Stimmung kommt dabei nicht auf. Viele sind damit beschäftigt, auf dem Handydisplay die Leinwand einzufangen. Andere scheinen sichtlich anstrengt bei dem Versuch, innezuhalten. Im Eiltempo geht es also weiter: Vom Glaubensbekenntnis - bei dem die Besucherinnen und Besucher vor nichts als der Leinwand stehen - bis zur Predigt. Sie handelt von den Chancen und Gefahren der KI sowie von der ethischen Verantwortung, die sich daraus ergibt.
Gewöhnungsbedürftig
"Es hat schon eine Zeit gedauert, bis man sich an die Stimme gewöhnt hat", meint eine Frau nach dem Gottesdienst, der mit dem Segen und einem etwas zu schnellen Vater Unser endet.
Mitreißen ließen sich von der Premiere also nur wenige: "Unglaublich langweilig", resümiert eine Besucherin. Sie habe in der 15-minütigen Predigt abgeschaltet, so wie sie das auch "in nicht so schönen Gottesdiensten" tue. Andere fanden sie zu langatmig, "fast wie im echten Leben". Doch auch nachdenkliche Stimmen sind zu hören: Die KI biete einmal mehr Anlass, sich als Kirche selbstkritisch zu reflektieren. Viele Dinge, die heute noch von Menschen gemacht würden, fielen in Zukunft weg, zeigt sich ein Mann überzeugt. Auch wenn derzeit noch das Heilige fehle. "Die KI ist in vielem einfach schneller, sie schreibt die Predigt eben um kurz vor zehn."