"Ich habe den Eindruck, dass die religiöse Dimension des Gottesdienstes in eine moralische Dimension verengt wird", sagte der Ostkirchenexperte im epd-Interview mit Stephan Cezanne. In vielen Gottesdiensten stehe ein "moralischer Optimismus" im Zentrum, ein Appell zum ethischen Handeln: "Das aber ist mir zu wenig."
Der Gottesdienst sei in den letzten Jahrzehnten auch in den Kirchen immer mehr zu einer "Randerscheinung geworden, jedenfalls zu einer Veranstaltung, die ihren Charakter stark geändert hat". Viele Pfarrerinnen und Pfarrer hätten geradezu Angst vor dem Sakralen, dem Heiligen, fügte der emeritierte Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hinzu. Anstatt Wege zur Begegnung mit dem göttlichen Mysterium zu öffnen, böten viele Gemeinden nur noch gut gemeinte Kulturveranstaltungen an.
Transzendenz und Jenseitigkeit
"Die religiöse Kategorie des Ehrfürchtigen wird zurückgefahren", sagte Thöle. Stattdessen wolle man den Gottesdienst als "machbares Ereignis gestalten". Informative, dekorative und emotionale Elemente stünden im Vordergrund. Doch Gottesdienst sei ein "religiöser Verwandlungsraum, in dem etwas passieren kann, wenn ich mich darauf einlasse". Dazu gehöre auch das Bewusstmachen von Transzendenz und Jenseitigkeit.
Festhalten an Traditionen
Man wolle an "Versatzstücken einer Tradition festhalten, die anscheinend den Menschen früher mehr bedeutet haben", sagte Thöle, der jüngst das Buch "Geheiligt werde dein Name - Christliche Gottesdienste zwischen Anbetung und Anbiederung" (Tectum-Verlag) veröffentlicht hat: "Darum versuchen die Predigten erklärungslastig zu retten, was am Christentum aufbewahrenswert scheint." Das religiöse Erbe solle "nicht-religiös an den Mann oder die Frau gebracht werden". So werde der Gottesdienst zum religionspädagogischen Geschehen: "Ich sage euch, was andere Menschen über Gott gedacht haben."
Schulstunde statt Gottesdienst
Viele Verantwortliche in den Kirchen vertrauten nicht mehr darauf, dass die ursprünglichen religiösen Formen Tragkraft haben, "auch ohne, dass sie erklärt oder verändert werden", fügte der 1950 geborene Thöle hinzu. Die "ursprüngliche Krankheit" sei, dass seit dem 19. Jahrhundert der protestantische Gottesdienst primär als "pädagogische Veranstaltung", quasi als "Schulstunde" verstanden werde.
Abendmahl immer seltener
Thöle bezeichnete es als Tragik, dass Protestanten kaum noch Abendmahl feiern, meist nur alle vier Wochen. Dieser Verlust des Abendmahls sei auch ökumenisch eine Tragödie. Damit werde der Dialog mit Kirchen erschwert, die jeden Sonntag Eucharistie feiern, wie etwa die katholische oder die Ostkirchen: "Das Sakramentale ist das Verbindlichere zwischen den Kirchen. Zeichenhaftigkeit ist immer verbindlicher als das gesprochene Wort."