In Großbritannien werden alle Corona-Maßnahmen aufgehoben

Waghalsig oder wunderbar?

Während die Corona-Inzidenzen in Deutschland in die Höhe schnellen, hebt Großbritannien die Corona-Maßnahmen auf. Hat das Königreich die Pandemie besiegt? Die Lockerungen tun den Menschen gut, sagt Pfarrer Andreas Blum.

London vor der Corona-Pandemie / © LiTsai (shutterstock)
London vor der Corona-Pandemie / © LiTsai ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Großbritannien war mit Dänemark ja schon unter den ersten Ländern in Europa, in denen Omikron zur vorherrschenden Variante in der Pandemie wurde. Wie sieht es aktuell in Ihrer Stadt aus und wie geht es den Deutschen in Großbritannien?

Pfarrer Andreas Blum / © N.N. (privat)
Pfarrer Andreas Blum / © N.N. ( privat )

Andreas Blum (Gemeindepfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in London): Wir schauen im Moment sehr entspannt auf die Lage. Sämtliche Einschränkungen, die bisher gegolten haben, sind aufgehoben worden. Selbst eine Maskenpflicht ist nicht mehr gesetzlich vorgeschrieben. An manchen Orten, wie zum Beispiel bei uns in der Kirche, empfehlen wir sie noch als Rücksichtnahme auf andere. Aber ansonsten ist vieles wieder möglich, alles ist geöffnet und es fühlt sich fast schon wieder wie ein normales Leben an.

DOMRADIO.DE: Unvorstellbar, wenn man hier in Deutschland sitzt. Von der neuen Freiheit spürt man nämlich hier bei uns noch nicht viel. Die Diskussion über Lockerung stehen aber zumindest jetzt im Raum. Großbritannien und Dänemark haben sich ja dagegen von beinahe allen Corona-Maßnahmen verabschiedet. Vor gut eineinhalb Wochen sind die Masken gefallen in England. Auch wenn es dort immer noch jeden Tag Zehntausende neue Fälle gibt, sind die Briten damit auf einem Weg aus der Pandemie. Was meinen Sie?

Blum: Das Entscheidende ist ja, dass die Fälle nicht im Krankenhaus landen oder sogar mit dem Tod enden, wenn man sich die aktuellen Zahlen gerade anschaut. Gestern hatten wir noch 45 Fälle in ganz Großbritannien als Todesfälle im Krankenhaus, die mit Covid in Verbindung standen. Die eingelieferten Fälle gehen zurück. 50 Prozent aller Krankenhausfälle hier in London zum Beispiel sind gar nicht wegen Covid im Krankenhaus, sondern wegen irgendetwas anderem. Dann stellt man zufällig fest, dass sie auch Covid haben.

Deutschsprachige katholische Gemeinden London/Ham

Die deutschsprachigen kathollischen Gemeinden in London und Ham sind Teil eines großen Verbundes von über 120 römisch-katholischen Auslandsgemeinden, die weltweit Gottesdienst und Seelsorge in deutscher Sprache anbieten.

Die Beziehungen untereinander und zu Gott in allen ihren bunten Facetten, den glaubenden und zweifelnden, den fröhlichen und traurigen, den nachdenklichen und feiernden, machen die Gemeinde aus – das hört nicht an der Kirchentür auf.

Holzkreuz in der Hand / © PKStockphoto (shutterstock)

Das heißt, der Verlauf dieser Omikron-Variante entpuppt sich also als so mild, dass die Regierung eigentlich ein gutes Händchen bewiesen hat, Anfang Dezember die Entwicklung abzuwarten, bevor man wieder einen Lockdown oder strengere Maßnahmen verhängt. Denn auch hier gab es Wissenschaftler, die prognostizierten, wir würden bis zu 6.000 Tote am Tag in London bekommen, was vielleicht auch ein bisschen erklärt, warum der Bürgermeister von London dann hier den Katastrophenfall ausgerufen hat.

London: Menschenleerer Picadilly Circus / © William Perugini (shutterstock)
London: Menschenleerer Picadilly Circus / © William Perugini ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie sind für die deutschen Katholiken in London zuständig. Wie reagieren Sie denn in Ihrer Gemeinde? Gibt es für Aktivitäten, für Gottesdienste und Zusammentreffen jetzt auch gar keine Beschränkungen und Maßnahmen mehr? Wie läuft das Gemeindeleben gerade ab?

Blum: Offiziell gibt es keine Einschränkungen mehr und wir versuchen natürlich auch, das Gemeindeleben wieder hochzufahren. Das heißt, wir hatten zum Beispiel die Sternsingeraktion. Die Kinder sind auch in die Haushalte gegangen. Wir haben sämtliche Gottesdienste wieder. Wir hatten einen Neujahrsempfang am vergangenen Sonntag und da wurde noch mal deutlich, wie sehr die Menschen auch dieses Zusammenkommen vermisst haben. Denn die Covid-Infektionen und die gesundheitlichen Statistiken, das ist die eine Sache.

Was in diesen Statistiken aber eben nicht vorkommt, sind die ganzen Begleiterscheinungen. Also, wie ergeht es den Kindern und den Jugendlichen in den Schulen, in ihrem Freizeitverhalten? Wie geht es den Senioren im Pflegeheim oder im Krankenhaus und auch ganz normalen Familien, deren soziale Kontakte so eingeschränkt waren, dass da auch einiges im Argen liegt?

Dann tun natürlich solche Veranstaltungen wirklich gut, auch der Gesundheit. Wir hatten auch jetzt schon ein Benefizkonzert in der Kirche.

DOMRADIO.DE: Liegt die Entspannung der Lage vielleicht auch an der hohen Impfquote, gerade in der Risikogruppe? Oder worauf führen Sie das jetzt zurück?

Andreas Blum (Gemeindepfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in London)

"Da war England immer Vorreiter und das zahlt sich natürlich jetzt aus."

Blum: Da ist man sich im Prinzip einig. England hat ja von Anfang an sehr stark vorgelegt, ich glaube sogar europaweit vorgelegt, was die Impfungen angeht. Hier wurde auch den ganzen Sommer durch geimpft und doppelt geimpft und dann geboostert. Da war England immer Vorreiter und das zahlt sich  jetzt aus.

DOMRADIO.DE: Auch für geimpfte Reisende, die auf die Insel wollen, gibt es ja bald Erleichterung. Vollständig Geimpfte brauchen auch keinen Test mehr. Nur bei Ungeimpften ist der Test zur Einreise beziehungsweise auch nach der Ankunft im Land weiter nötig. Erleichtert das das Leben auch für die bei Ihnen lebenden Deutschen und auch bei den Touristen?

Eine Frau schmeißt eine Maske in den Mülleimer / © Ladanifer (shutterstock)
Eine Frau schmeißt eine Maske in den Mülleimer / © Ladanifer ( shutterstock )

Blum: Weihnachten hatten wir das große Problem, dass Deutschland kurzfristig 14 Tage Quarantäne für sämtliche Einreisen aus dem Vereinigten Königreich verhing. Das hat vielen den Weihnachtsurlaub oder die Heimreise natürlich verhagelt. Hier in England werden jetzt sogar sämtliche Tests bei der Einreise abgeschafft. Das heißt, wenn man nach England kommen möchte, muss man keinen Test mehr vorher kaufen oder hier machen. Zum Beispiel auch für uns als Gemeinde, die wir ein Gästehaus betreiben, das Winfried Haus, ist das ein Zeichen, dass wir hoffentlich auch wirtschaftlich in eine entspannteren Situation kommen und ein besseres Frühjahr haben werden.

Das Interview führte Michelle Olion.

Quelle:
DR
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