Großes Interesse an Vortrag von Ratzinger-Biograf

"Glauben als Glauben entdecken"

Der Journalist Peter Seewald hat das Erbe des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. verteidigt. Bei einem Vortrag am Montag in Köln würdigte er Joseph Ratzinger als großen Theologen und legte am Ende ein persönliches Bekenntnis ab.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Journalist und Buchautor Peter Seewald im vollbesetzten Hörsaal der KHKT / © Jan Hendrik Stens (DR)
Journalist und Buchautor Peter Seewald im vollbesetzten Hörsaal der KHKT / © Jan Hendrik Stens ( DR )

Es ist voll im großen Hörsaal der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT). Für die knapp 200 Besucher reichen die aufgestellten Stühle nicht aus. So nehmen einige oben auf der Empore Platz, sitzen seitlich auf den Heizkörpern oder nehmen mit einem Stehplatz im hinteren Bereich vorlieb. Die Stimmung ist international. Man hört Wortfetzen auf Deutsch, Italienisch und Englisch, sieht Jungpriester und Studenten von anderen Kontinenten.

Als "Öffentliche Einstimmung" auf die Fachtagung über das "sozialethische Erbe von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI." soll der Montagabend in der KHKT gelten. Dazu ist als Referent der Münchener Journalist und Buchautor Peter Seewald nach Köln eingeladen worden, zweifellos einer der prominentesten und besten Kenner Joseph Ratzingers. Vier Interviewbücher, zahllose Portraits und Biografien hat der Ex-Linke und mit Hilfe Ratzingers wieder Bekehrte über den einstigen Präfekten der Glaubenskongregation und danach ersten deutschen Papst seit über 500 Jahren geschrieben.

Begrüßung ohne Kardinal Woelki

Franz Meurer, Kölner Pfarrer und soziales Gewissen der Stadt / © Jan Hendrik Stens (DR)
Franz Meurer, Kölner Pfarrer und soziales Gewissen der Stadt / © Jan Hendrik Stens ( DR )

Das Publikum an diesem Abend dürfte zu einem Großteil aus Leuten bestehen, die sich sehr mit dem vor einem guten Jahr verstorbenen Papa emeritus verbunden fühlen. Mancher Priester bringt diese Verbundenheit durch entsprechende Kleidung in Soutane zum Ausdruck. Aber auch Hörer, die man an diesem Abend nicht unbedingt in der KHKT erwartet, haben den Weg nach Lindenthal im Schatten des Krieler Dömchens gefunden, darunter auch das soziale Gewissen der Stadt, Pfarrer Franz Meurer. "Mich interessiert das Thema", bekundet dieser und schreibt in der letzten Reihe sitzend fleißig mit.

Gleich mit einer Entschuldigung beginnt der Rektor der KHKT, Prof. Dr. Christoph Ohly, seine Begrüßung. Dass diese nicht – wie geplant – durch den Kölner Erzbischof geschehe und man nun mit ihm Vorlieb nehmen müsse, liege daran, dass Kardinal Woelki durch die Sitzung des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz verhindert sei. Ohly dankt für das große Interesse sowie die finanzielle Unterstützung der Tagung durch die Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung und eine weitere nicht genannte Stiftung.

Einladung gerne angenommen

Die Vorstellung des Referenten übernimmt schließlich Manuel Schlögl, Professor für Dogmatik und Ökumenischen Dialog an der KHKT. Er freue sich, mit Peter Seewald einen Landsmann aus Bayern vorstellen zu können, noch dazu einen, der in der Nähe seiner Geburtsstadt Passau aufgewachsen ist. Denn die Dreiflüssestadt nahe der österreichischen Grenze sei so katholisch, dass man dort entweder zum Heiligen oder zum Rebellen werde. Peter Seewald habe mit zweiterem begonnen und nähere sich nun ersterem.

Journalist und Buchautor Peter Seewald / © Jan Hendrik Stens (DR)
Journalist und Buchautor Peter Seewald / © Jan Hendrik Stens ( DR )

Der auf diese Weise zur Heiligkeit Berufene dankt seinen Vorrednern und gleichzeitig dem Umstand, dass ihm eine akademische Laufbahn versagt geblieben ist. Normalerweise halte er keine Vorträge vor so vielen Leuten, bekennt Peter Seewald und sieht sich dabei fast so zurückhaltend wie Joseph Ratzinger selbst. Doch dieses Mal habe er die Einladung nicht ausschlagen können, sondern gerne angenommen. Die KHKT sei ein Ort, an dem trotz aller Widrigkeiten in ihrer Entstehung der Heilige Geist wehe, bemerkt der gebürtige Bochumer mit Blick auf das große dreidimensionale Kunststoffkreuz, das im Saal hängt und durch die zirkulierende Luft immer wieder in Bewegung gerät und dadurch das Licht unterschiedlich reflektiert.

"Feindbild Ratzinger" von Küng verbreitet

Eine gute Stunde lang referiert Peter Seewald über das Erbe Joseph Ratzingers. Seine Ausführungen sind nicht rein chronologisch geordnet, sondern ähneln systematisch eher dem Drehbuch einer Filmdokumentation. Das Erbe des "größten Theologen, der jemals auf dem Stuhl Petri saß" – hierzu zitiert Seewald den tschechischen Religionsphilosophen Tomáš Halík –, dessen Werk bereits vor seinem Pontifikat groß und bedeutend gewesen sei, würde gerade in seiner Heimat Deutschland verkannt. Wenn Professoren an katholischen Fakultäten sich zu Wordings hinreißen ließen, dass die Wahl Ratzingers zum Papst falsch und seine größte Tat der Rücktritt gewesen sei, dann spreche das für sich.

Das "Feindbild Ratzinger" sei maßgeblich von Hans Küng verbreitet worden. Ein "Trauma von Tübingen" habe es nicht gegeben. Ratzinger sei nach der 68er-Revolte kein anderer gewesen als davor. Bestes Beispiel dafür sei die 1968 erschienene "Einführung in das Christentum".

Peter Seewald

"Den Preis für seine Souveränität bezahlte er mit dem Verzicht auf allgemeine Anerkennung."

Im Vorfeld seines ersten Treffens mit Joseph Ratzinger für ein Portrait im SZ-Magazin habe sich Seewald intensiv mit dem "Panzerkardinal" beschäftigt. Nach einiger Zeit sei ihm klargeworden, dass der Mann aus den bayerischen Bergen ein Solitär sei, eine eigene, nicht manipulierbare Persönlichkeit. "Den Preis für seine Souveränität bezahlte er mit dem Verzicht auf allgemeine Anerkennung." – Seewald habe die vielen DIN-A-4-Seiten mit den vorbereiteten Interview-Fragen in Stücke gerissen. "Vergiss alles, was du über diesen Mann gelesen hast, sagte eine innere Stimme. Mach dir selbst ein Bild."

Als der Referent vom Ort der ersten Begegnung mit Joseph Ratzinger erzählt, es war ein "schäbig eingerichtetes Empfangszimmer" im Palazzo der Glaubenskongregation, weicht er kurz vom Skript ab und fügt spontan hinzu, dass er nicht nachvollziehen könne, wie Kardinal Marx bezüglich des Vatikans von "Prunk und Protz" rede. Ratzinger habe im Hinblick auf Kleidung, Wohnung und Reisen "in der Bescheidenheit eines Mönchs" gelebt. "An einen Whisky als Absacker war bei diesem Mann nicht zu denken", bemerkte Seewald leicht ironisch.

Peter Seewald

"Der Kontrast zu einer säkularisierten Gesellschaft hätte nicht größer sein können."

Die Wahl Ratzingers zum Papst geschah wider Willen. Seine Konklave-Predigt, die im Nachhinein vielen als Bewerbungsrede galt, sollte eigentlich eine Abschiedsrede werden. Dennoch habe Benedikt wichtige Dinge angepackt. Ihm sei es um die Erneuerung und Festigung des Glaubens gegangen. Organisatorische Dinge habe er dafür hinten angestellt und auf leere Gesten und billige Effekte verzichtet. "Der Kontrast zu einer säkularisierten Gesellschaft hätte nicht größer sein können", so der Referent.

Vier Jahre lang sei das Pontifikat Benedikts dennoch von einem einzigen "Hosianna" begleitet worden, seine erste Enzyklika "Deus Caritas est" war ein Bestseller. Der Direktor des Vatikanischen Presseamtes Navarro-Valls habe Benedikt als "Medienphänomen" beschrieben. Man höre ihm trotz der Tatsache, dass er anspruchsvoll ist, zu.

Pontifikat Benedikts nicht fehlerfrei

Fehlerfrei sei das Pontifikats jedoch nicht gewesen, merkt Peter Seewald zweimal an diesem Abend an, ohne allerdings konkrete Beispiele zu nennen. Benedikt habe aber auch selbstkritisch eingestanden, dass er als Papst nicht alles richtig gemacht hat. Der Bruch in der Popularitätskurve sei schließlich mit der "Williamson-Affäre" gekommen. Aber auch schon knapp drei Jahre zuvor habe man Benedikts Regensburger Rede zum Anlass genommen, ihm daraus einen Strick zu drehen. Dabei habe gerade diese Rede zu einem intensiven Dialog zwischen Christen und Muslimen geführt.

Knapp 200 Gäste verfolgen den Vortrag des Referenten Peter Seewald / © Jan Hendrik Stens (DR)
Knapp 200 Gäste verfolgen den Vortrag des Referenten Peter Seewald / © Jan Hendrik Stens ( DR )

Am Ende konstatiert Seewald: "Wäre die katholische Kirche in Deutschland dem Kurs ihres wegweisenden Theologen, Kardinals und Papstes gefolgt, sie stünde heute anders da" und fügt hinzu: "Vielleicht nicht mit weniger Austritten, aber mit einem Profil, das sie für die eigenen Leute zum Kompass und zur Stütze machte und für Außenstehende zu einem überzeugenden Angebot, um wieder Zugang zur Botschaft Christi zu finden."

Kritik an Journalistenzunft

Eine Dreiviertelstunde bietet sich noch die Gelegenheit für die Zuhörer, im Plenum Fragen an den Referenten zu stellen. Mancher nutzt dies eher für einen koreferierenden Beitrag oder ein Statement gegen "gut bezahlte Taufscheinkatholiken" mit abschließender rhetorischer Frage, die die Antwort bereits enthält. Zu einer schlagzeilenträchtigen Polemik lässt sich der Referent des Abends jedoch nicht hinreißen, zu einer Kritik an der Journalistenzunft durchaus. In Deutschland gebe es Journalistenpreise für jeden, der gegen die Kirche kämpfe. "Ich bin immer froh, wenn ich in Italien bin", so Seewald.

Auf die Nachfrage, welche der Begegnungen mit Joseph Ratzinger denn nun zur eigenen Bekehrung geführt habe, antwortet der Referent, dass dies kein einzelner Moment gewesen sei. Bei der Süddeutschen Zeitung habe man ihm nach dem Portrait 1993 vorgeworfen, dass er sich zu lange mit dem Kardinal beschäftigte, was dann letztlich auch zur Trennung von der Redaktion führte. "Ich wäre nicht zurück zur Kirche gekommen, wenn ich alle meine Fragen hätte beantworten können", sagt Peter Seewald. Ratzinger habe immer zugegeben, wenn er etwas nicht wusste. Der Glaube sei nie einfach, das ist dem bekehrten Ex-Kommunisten klar gewesen und klar sei ihm auch: "Mit Ratzinger bekommt man kein Ticket, um in Deutschland weiter zu kommen."

Peter Seewald

"Er hat es etwas übertrieben mit der Vernunft."

Mit einer Sache komme er jedoch bis heute nicht klar: "Er hat es etwas übertrieben mit der Vernunft." – Joseph Ratzinger sei ein nüchterner Mensch gewesen. Bei spirituellen Themen habe in den Gesprächen immer die Zeit gefehlt. "Aber Sie glauben doch an Engel. Sie sind doch auch ein Mystiker", habe ihm Seewald gesagt. Vielleicht wollte Ratzinger einfach nicht als fundamentalistischer Spinner gesehen werden und war dafür zu sehr Wissenschaftler.

Doch Peter Seewald legt am Ende der Veranstaltung noch einmal ein persönliches Bekenntnis ab: "Wir müssen doch den Glauben auch wieder als Glauben entdecken." – Berufungen kämen nicht aus den theologischen Hochschulen. Und was brächten Doktorarbeiten über Texte aus dem 14. Jahrhundert? Warum nicht einmal etwas über den Kosmos schreiben? Das interessiere doch. Und zum Schluss erinnert sich Seewald an einen Artikel aus dem esoterischen Milieu, in dem es hieß, unsere Welt werde von einer außerirdischen Kraft gelenkt und geleitet. Ohne als Verschwörungstheoretiker gelten zu wollen, aber: "Das wissen wir Christen doch schon seit über 2000 Jahren." – Ob Peter Seewald bei seinen Fragen um die Mystik bei Karl Rahner fündiger geworden wäre?

Quelle:
DR