Grüne Woche in Berlin öffnet mit einer Mogelpackung

Wa(h)re Tiere

Obwohl der Tierschutz im Grundgesetz verankert ist, müssen Millionen Tiere nach wie vor in riesigen fensterlosen Hallen ihr Dasein fristen. Die neue Enzyklika von Papst Franziskus bringt Bewegung in die Diskussion.

Das neue staatliche Label für mehr Tierwohl. / © Ralf Hirschberger (dpa)
Das neue staatliche Label für mehr Tierwohl. / © Ralf Hirschberger ( dpa )

"Der Schutz der Schöpfung ist ein genuin kirchliches Anliegen. Es gibt unendlich viele und lehrreiche Geschichten in der Bibel, in denen Tiere eine wichtige Rolle spielen" – so resümieren Theologen. Doch auch trotz einer inzwischen breiten gesellschaftlichen Debatte hat es bislang keine Verbesserungen bei der Haltung vor allem  von sogenannten „Nutztieren“ gegeben, wie man die Tiere in der Landwirtschaft nennt. Die Lobby der Tiermäster und Fleischerzeuger ist nach wie vor politisch stark. Deutschland zählt mit einer der höchsten Besatzdichten in der Tierhaltung weltweit zu den größten Exporteuren von Fleisch und Wurst. Nach wie vor fehle es aber auch vielen Christen am nötigen Respekt im Umgang mit den Mitgeschöpfen, kritisiert die Aktion Kirche und Tiere. Ob Massentierhaltung, Gänsemast, Singvogelfang, oder Pelzproduktion. Die Stimme von Kirche für einen besseren Tierschutz sei noch viel zu schwach, konstatieren auch alle großen Tierschutzverbände.

"Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur." An diesem Wort Jesu aus dem Markus-Evangelium orientiert sich die Aktion Kirche und Tiere. Christinnen und Christen hätten beim Tierschutz versagt, die Tiere wurden im Glauben vergessen. Theologinnen und Theologen sind nur zögerlich bereit, lebensfeindlichen Tendenzen in Naturwissenschaft und Philosophie die Theologie der Schöpfung entgegenzuhalten. Der Auftrag Jesu wurde verraten, Pfarrerinnen und Pfarrer hätten Angst, Tieren in den Kirchen und Gemeinden Raum zu geben, erklärt AKUT.

Neues Siegel für „Tierwohl“ eine Mogelpackung

Mit einer praktischen „Theologie der Schöpfung“ soll lebensfeindlichen Tendenzen innerhalb und außerhalb der Kirche begegnet werden. Seit Jahren erwarten viele Menschen, die im Tierschutz aktiv sind, von den Kirchen, dass sie sich für die Rechte der Tiere einsetzen. Enttäuscht hätten sich daher viele von Kirche abgewandt, weil in Theologie, Diakonie und Gemeinde weder in Wort noch in Tat ein deutliches Zeugnis für die Tiere abgegeben wurde. Das Vertrauen dieser Menschen wiederzugewinnen, sei so die Aktion Kirche und Tiere eine seelsorgerliche Herausforderung ersten Ranges. Ein entscheidender Schlüssel für das Ethos der Mitgeschöpflichkeit liegt in einem veränderten Konsumverhalten. Wie geht man mit Fleisch, Eiern oder Milch bei Gemeindefesten um?

Das von der CDU/CSU regierte Bundeslandwirtschaftsministerium hat auf der Grünen Woche ein sogenanntes Tierwohl-Siegel für Fleisch- und Wurstwaren präsentiert. Bereits der zweite Anlauf für solch ein Siegel. Ein erster Versuch mit Industrie, Handel und Tierschutzverbänden war kläglich gescheitert – immer wieder wurden Verbesserungen für die Tiere von der Fleischwirtschaft abgelehnt. Doch auch das neue Siegel sehen Tierrechtler wie der Tierarzt Professor Thomas Blaha sehr kritisch.  Für Sabine Klein von der Verbraucherzentrale NRW ist dies dagegen ein Schritt in die richtige Richtung. "82% der Verbraucher wünschen sich Informationen zur Tierhaltung. Die Kennzeichnung muß diesem Verbraucherwunsch auf ehrliche Weise Rechnung tragen. Wir fordern daher eine verpflichtende Kennzeichnung aller tierischen Lebensmittel mit der Haltungsform oder dem Tierschutzniveau". Die Tierhaltung müsse an den arteigenen Bedürfnissen der Tiere ausgerichtet werdenb, statt – wie bisher- die Tiere an kosten- und arbeitssparende Haltungsbedingungen anzupassen, so Klein. Hier müsse der Gesetzgeber endlich den Tierschutzankündigungen Taten folgen lassen und die gesetzlichen Tierhaltungsanforderungen deutlich anheben. Das staatliche Tierwohllabel darf nicht als Alibi dienen, keine weiterern Aktivitäten zu unternehmen. "Der Handel muß sich von seiner Billigpreispolitik verabschieden und stattdessen auf Qualität und Tierschutz setzen und dies transparent und wahrheitsgemäß kennzeichnen." 

Ethische Debatte mit deutlichen Konsequenzen für die Wirtschaft ist überfällig

Auch Christina Ledermann, Vorstand Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V., betont, dass ein schlechtgemachtes Label nur ein PR-Siegel für die Fleischindustrie sei. Ein Label ist aber keine Lösung. "Was wir brauchen, ist ein Paradigmenwechsel weg von der industriellen Tierhaltung. Die Zukunft liegt in neuen Landbau- und Ernährungskonzepten, die ohne die Ausbeutung von Tieren und der Umwelt auskommt."  Fleisch und Eier sollen per Steuer verteuert werden, fordert jetzt das Umweltbundesamt – es will die Mehrwertsteuer für tierische Produkte erhöhen. Dieser Vorschlag stösst auch bei dem theologischen Zoologen Rainer Hagencordt auf Sympathie.“ Die geringere Besteuerung hat ihre Wurzeln in der Zeit, als Fleisch und Milch Grundnahrungsmittel waren. Heute stellt sich die Frage, ob das immer noch so ist. Dürfen wir Fleisch und Milch immer noch als Grundnahrungsmittel verstehen? Haben wir ein Recht auf Fleisch? Inzwischen gibt es immer mehr Argumente gegen diese Position. An dieser Stelle finde ich es wichtig zu sagen, dass wir, wenn wir über Fleisch und Milch in diesem Zusammenhang sprechen, über ein System reden. Wir sprechen davon, dass 98 Prozent des Fleisches und etwa der gleiche Prozentsatz bei der Milch aus industrieller Tierhaltung kommt. Da befinden wir uns mitten in der gesellschaftlichen Baustelle, wo an vielen Stellen derzeit gearbeitet und gerungen wird. Das halte ich auch für angemessen und notwendig.“

Hinzu kommt das Leid von Heim- und Zirkustieren, nach wie vor fehlt es an einem Heimtierschutzgesetz. Werner Senster vom Verein Leid der Vermehrertiere will einen sofortigen Wandel beim Mißbrauch der Tierhaltung und des Hundehandels. Wir müssen weg kommern von der lächerlichen Ordnungswidrigkeit hin zum Straftatbestand. "Die schammigen Tierschutzverordnungen müssten weg."

Informationen zur Sendung

Gäste:

Christina Ledermann, Vorstand Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V. - www.tierrechte.de

Sabine Klein, Fachgruppe Lebensmittel und Ernährung  bei der Verbraucherzentrale NRW - verbraucherzentrale.nrw

Werner Senster, Vorstand Leid der Vermehrerhunde e.V. - www.leid-der-vermehrerhunde.de