domradio.de: Sie haben die Information ja schon im Dezember weitergegeben, aber erst gestern gab es dann die Razzien. Einige der Beschuldigten sind schon längst wieder in der Türkei. Warum hat das so lange gedauert?
Volker Beck (religionspolitischer Sprecher der Grünen): Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Es könnte Interessen gegeben haben auf höchster Ebene, dass man Ankara nicht zu sehr durch die Verhaftung von Tatverdächtigen verärgert. Ich weiß nicht, ob das so ist, aber es würde zumindest irgendwie einen Sinn ergeben. Es ist sowieso erklärungsbedürftig, warum es überhaupt einer Anzeige von mir bedurfte. Denn Anfang Dezember standen die Vorwürfe bereits mit guten Belegen sowohl in der türkischen als auch in der deutschen Presse. Eigentlich wäre es an der Generalbundesanwaltschaft gewesen, diesen Vorwürfen nachzugehen, und - wenn sie das nicht tut - Sache des Bundesjustizministers gewesen, mal nachzufragen, warum denn da nicht ermittelt wird.
domradio.de: Das heißt, Sie unterstellen da eine Verzögerungsstrategie auf Seiten der Regierung?
Beck: Ich unterstelle nichts. Aber ich finde, es passt alles nicht zusammen, wenn man so etwas nicht mitdenkt.
domradio.de: Wenn wir jetzt bei "Ein Schelm, wer Böses dabei denkt" bleiben: Hat das eigentlich auch etwas mit der Sorge um das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei zu tun, dass man vielleicht Ankara nicht verärgern will?
Beck: Wenn es vorsätzliche Bummelei gegeben haben sollte, ist das die Rücksichtnahme auf Erdogan wegen des Flüchtlingsabkommens, natürlich. Das kann der einzige Hintergrund sein, der Sinn macht. Das macht mich einfach besorgt! Denn es ist keine Lapalie. Es geht ja nicht darum, dass da irgendwer einfach Informationen zusammenträgt. Die machen ja was damit.
Ich weiß von Betroffenen - aus Nordrhein-Westfalen und aus anderen Bundesländern - die sich an mich gewandt haben und gesagt haben: "Bei meinen Verwandten in der Türkei waren die schon und haben gefragt, wann ich denn das nächste Mal komme." Oder: "Mein Konto in der Türkei war im November plötzlich eingefroren, und ich wusste gar nicht, warum." Es gibt Nachteile für Bürger unseres Landes aufgrund der Spionagetätigkeit von Ditib-Imamen und den Religionsattachés an den türkischen Konsulaten.
domradio.de: Die Ditib behauptet ja, sie habe damit nichts zu tun. Halten Sie das für glaubwürdig?
Beck: Die Ditib-Führung in Köln womöglich schon. Sie sagt ja auch zu Recht, dass sie mit den Imamen in ihren Moscheen nichts zu tun hat, sondern, dass deren Vorgesetzen in der Diyaned (Anm.: das türkische Präsidium für Religionsangelegenheiten) sitzen. Es gibt keinen Grund, das nicht zu glauben. Es zeigt aber, dass das, was die Ditib jahrlang den Bundesländern oder der Islamkonferenz erzählt hat - sie seien eine Religionsgemeinschaft von Muslimen in Deutschland - dass das eine glatte Lüge war. Statt dessen sind sie einfach eine Agentur des türkischen Staates für religiöse Angelegenheiten. Sie sind Tochtergesellschaft der Diyaned in Ankara. Und die Diyaned bestimmt alles, was bei der Ditib passiert und kann gegebenenfalls alles untersagen, was ihr nicht passt.
domradio.de: Die Ditib ist aber ja gleichzeitig der zentrale Ansprechpartner für die deutsche Politik, wenn es um Fragen der Integration geht oder beispielsweise um Religionsunterricht an deutschen Schulen. Darum hat Bundesjustizminister Maas ja jetzt gefordert, dass die Ditib sich von der türkischen Regierung lossagen soll. Bei dem, was Sie gesagt haben; halten Sie das überhaupt für realistisch.
Beck: Es ist ein bisschen lustig, was Herr Maas da geäußert hat und soll wohl davon ablenken, dass er im Dezember nicht das getan hat, was seine Aufgabe war; nämlich dafür zu sorgen, dass unverzüglich ermittelt wird. Nur vor diesem Hintergrund kann ich das sehen, denn in der Sache ist es einfach abwegig. Die Ditib ohne Ankara gibt es nicht. Sie heißt schon "Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion". Die Anstalt für Religion ist die Diyaned in Ankara. Da bleiben schon bei der Abkürzung kaum noch Buchstaben übrig, wenn man den Ankara-Bezug wegstreicht. Die 900 Imame werden von Ankara bezahlt und die Ditib-Zentrale ist in der Satzung so abgesichert, dass letztendlich kein Kandidat gewählt und kein Beschluss gefasst werden kann, der nicht im Sinne der Zentrale ist.
domradio.de: Mit wem soll denn die deutsche Politik künftig verhandeln, wenn es wichtig Fragen der Integration gibt.
Beck: Man kann und muss am Ende trotzdem mit ihnen reden, aber man muss eben wissen, dass man nicht mit einer Religionsgemeinschaft redet. Da gab es in der Vergangenheit jede Menge Illusionen. Ich denke, jetzt wird es an der Zeit, da realistisch ranzugehen. Man soll nicht alle Gesprächsfäden durchschneiden, aber ich finde schon, dass man jetzt auch von der Ditib verlangen muss: Führt die Leute, die ausgereist sind, wieder nach Deutschland zurück und macht sie zugänglich für Verhöre, für Vernehmungen, für Strafverfolgungsmaßnahmen des deutschen Staates. Wenn ihr das nicht macht - wenn ihr die strafrechtliche Aufklärung dieser Vorwürfe aktiv hintertreibt - dann könnt ich nicht mehr unser Partner sein.
Das Interview führte Silvia Ochlast.