domradio.de: Das sind ja Vorschläge für eine neue Justierung der Beziehung von Kirche und Staat. Wie genau soll die denn aussehen?
Bettina Jarasch (Landesvorsitzende der Berliner Grünen und Vorsitzende der Kommission): Grundsätzlich haben wir in einer wirklich langen Diskussion beschlossen: Wir wollen bei dem kooperativen Modell bleiben, das es in Deutschland gibt. Das bedeutet, wir halten es für richtig und gut, dass Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im öffentlichen Leben und in den öffentlichen Institutionen weiterhin eine Rolle spielen. Weil wir als Grüne für eine lebendige und starke Zivilgesellschaft und Demokratie sind und denken, dass diese Gemeinschaften einen wichtigen Beitrag dazu leisten können. Aber wir denken, dass an einigen Stellschrauben gedreht werden muss, um Diskriminierung zu verhindern und um die Pluralität zu gewährleisten. Und als letzte Sache haben wir auch überlegt: Was bedeutet es eigentlich im Blick auf die vielen Menschen, die gar keiner Religion angehören und die dann auch nicht von Gemeinschaften vereinnahmt werden wollen?
domradio.de: Das heißt, welche Stellschrauben sind das ganz konkret? Was wollen Sie anpacken?
Jarasch: Den größten Handlungsdruck sehen wir beim kirchlichen Arbeitsrecht, weil es da ganz konkret aus unserer Sicht zu Diskriminierungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kommt. Da haben wir gesetzliche Änderungsvorschläge gemacht, die im Wesentlichen darauf hinauslaufen, dass die Loyalitätspflichten nicht für das Privatleben gelten. Das heißt, dass ich heiraten darf, wen ich will und dass ich nicht gekündigt werden kann, wenn ich mein Kind nicht taufen lasse.
domradio.de: Wobei man ja auch sagen kann: Die Kirche kann ja eigentlich auch selbst entscheiden, zu welchen Konditionen sie ihre Leute einstellt. Da wird ja niemand gezwungen.
Jarasch: Richtig, es gibt ein Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Das ist in der Verfassung verankert und das respektieren wir. Aber wir wollen einfach, dass es künftig einen faireren Ausgleich gibt zwischen den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer und dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, das wir aber respektieren.
domradio.de: In Ihrem Bericht kritisieren Sie ja zum Beispiel auch, dass der Staat bei öffentlichen Gedenkveranstaltungen ausschließlich auf die christlichen Konfessionen zurückgreift. Jetzt ist Deutschland aber ja auch ein christlich geprägtes Land. Würden wir damit nicht auch einen Teil unserer Kultur aufgeben?
Jarasch: Das ist ja ein Punkt, wo wir keine Gesetzesänderung vorschlagen, sondern einfach eine Debatte anstoßen wollen. Der Staat muss einfach ein bißchen mehr Phantasie entwickeln, um auch bei solchen öffentlichen Veranstaltungen und insgesamt in seinem Handeln und in gesellschaftlichen Debatten dieser gewachsenen Pluralität Rechnung zu tragen. Nehmen Sie das Beispiel 'Germanwings-Absturz': Die Trauerfeier findet im Kölner Dom statt, weil die Kirchen das anbieten und der Staat das dankbar annimmt. Das ist alles gut so, ich mache da den Kirchen überhaupt keinen Vorwurf. Die Tatsache ist nur: Unter den Trauergästen ist bestimmt ein guter Teil, der beispielsweise gar nicht an Gott glaubt. Und wir brauchen einfach Formen, die diese Menschen bei solchen Veranstaltungen auch zum Tragen kommen lassen. Welche das sein können, darüber können wir gemeinsam diskutieren. Anderes Beispiel: In einigen Rundfunk- und Fernsehräten gibt es jetzt auch einen Platz für einen muslimischen Vertreter. Aber zum Beispiel für den Vertreter einer Weltanschauung gibt es noch nirgendwo einen Platz. Das gleiche gilt für Sendeplätze, die ja den Religionen eingeräumt werden.
domradio.de: Jetzt hat Deutschland ja viele Flüchtlinge mit muslimischem Hintergrund aufgenommen. Konnten Sie auf diese, noch relativ aktuelle Entwicklung überhaupt schon reagieren?
Jarasch: Wir haben ja nicht über Integrationspolitik sondern wirklich nur über Religionspolitik gesprochen. Ich glaube aber sehr wohl, dass das, was wir im Blick auf den Islam und auf Religionspolitik besprochen haben, auch wegweisend für den Umgang mit den muslimischen Flüchtlingen sein kann. Wir haben zum Einen gesagt, dass wir ausdrücklich mehr Pluralität wollen, also auch unterschiedlichere Angebote, überall, in der Seelsorge, in Justizanstalten, in Krankenhäusern. Wir halten es auch für richtig, dass das Verfassungsgericht jetzt das Kopftuchverbot gekippt hat und damit praktisch mehr sichtbare Religion - auch in der Schule - zulässt. Gleichzeitig sagen wir aber auch: Keinen Rabatt bei den Kriterien. Das heißt, wir wollen, dass es auch muslimische Religionsgemeinschaften in Deutschland gibt. Aber wir wollen dann schon, dass sie auch die Kriterien erfüllen, die es für Religionsgemeinschaften im Verfassungsrecht gibt. Dass also keine politischen Verbände plötzlich Religionsgemeinschaften werden, sondern wirklich Verbände, die sich um Religion kümmern. Und wir sagen natürlich gleichzeitig: In Deutschland ist Religionsfreiheit umfassend gewährleistet. Das ist ja wirklich auch ein Versprechen für viele der Flüchtlinge, die ihren Glauben in ihrem Heimatland nicht leben konnten. Aber gleichzeitig kommen sie eben auch in ein Land, in dem Religionskritik möglich sein muss und in dem es natürlich auch möglich sein muss, sich von seinem eigenen Glauben abzuwenden.
Das Interview führte Verena Tröster.