"Wann, wenn nicht im Fall des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger ist die Einordnung einer Thematik als Chefsache zutreffend", sagte Anwalt Martin Pusch bei der Präsentation des Gutachtens am Donnerstag. Dies gelte erst recht mit Blick auf die zentrale Rolle des Diözesanbischofs in den einschlägigen Regelwerken. "Dass Erzbischof Kardinal Marx diese wahrgenommen hätte, war für uns jedoch nicht feststellbar." Eine gewisse Änderung habe sich erst ab dem Jahr 2018 ergeben.
Dinge zu sehr dem Generalvikar überlassen
Ungeachtet der Vielzahl der seit 2010 eingegangenen Meldungen zu Missbrauch durch noch lebende Kleriker sei für Marx als Erzbischof in einer nur verhältnismäßig geringen Zahl eine unmittelbare Befassung feststellbar, kritisieren die Gutachter. Im wesentlichen habe er sich darauf beschränkt, die verwaltungsseitig vorgeschlagenen Maßnahmen, die ihm als Diözesanbischof oblägen, umzusetzen. Der Kardinal sehe die regelkonforme und sachgerechte Behandlung von Missbrauchsfällen in erster Linie bei Generalvikar und Ordinariat. Er selber sei primär für die Verkündigung des Wortes Gottes zuständig.
Diese Sichtweise teile man nicht uneingeschränkt. Sie greife angesichts der "zentralen, mit einer Vielzahl von erheblichen Risiken verbundenen Thematik" zu kurz, so Pusch. Konkret fehlerhaftes Verhalten attestieren die Gutachter Marx in zwei Fällen. Dabei handele es sich vor allem um die Frage, ob eine Meldung an die Glaubenskongregation erfolgt sei.