Erzbischof Heße weist Vorwürfe zurück

"Habe keine Missbrauchsfälle vertuscht"

Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße hat Vorwürfe zurückgewiesen, nach denen er als Personalchef im Erzbistum Köln Fälle von sexuellem Missbrauch vertuscht haben soll. "Ich habe immer hin- und nicht weggeschaut", betonte er.

Erzbischof Stefan Heße / © Lars Berg (KNA)
Erzbischof Stefan Heße / © Lars Berg ( KNA )

"Ich persönlich nehme für mich in Anspruch, dass ich meine Verantwortung wahrgenommen und nicht vertuscht habe", sagte Heße im Interview der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag). "Ich habe immer hin- und nicht weggeschaut", betonte Heße. Sicher seien auch ihm Fehler passiert, aber er könne ausschließen, dass er jemals versucht habe, Täter zu schützen oder Taten zu vertuschen. Heße ist seit 2015 Erzbischof von Hamburg und war zuvor ab 2006 Personalchef im Erzbistum Köln und ab 2012 dort Generalvikar.

Eine bisher unveröffentlichte Studie zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln wirft Heße laut "Christ und Welt" eine "indifferente" und "von fehlendem Problembewusstsein" geprägte Haltung gegenüber dem Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker vor. Dieser Befund hat laut Heße keine Grundlage. "Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, um jedem Fall gerecht zu werden", erklärte er. So sei etwa in einem von sechs Fällen, in denen Vorwürfe gegen ihn erhoben würden, der mutmaßlich Betroffene bereits erwachsen gewesen. Zu weiteren Details wollte sich Heße unter Berufung auf die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen nicht äußern.

Präsentation auf unbestimmte Zeit verschoben

Die Präsentation der vom Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki in Auftrag gegebenen und von einer Münchener Anwaltskanzlei erstellten Untersuchung war ursprünglich für März geplant, wurde aber kurzfristig abgesagt und auf unbestimmte Zeit verschoben. Laut offizieller Begründung des Erzbistums Köln brauchte die geplante Nennung ehemaliger oder aktiver Verantwortlicher noch eine rechtliche Klärung und Absicherung.

Heße erklärte, von Anfang an zur Mitarbeit an der Studie bereit gewesen zu sein, übte jedoch Kritik am Konzept. Der Prozess habe sich nicht besonders transparent gestaltet. In den sechs konkreten Fällen, zu denen er Stellung nehmen sollte, habe er erst nach mehrmaligem Drängen im April alle Akten einsehen dürfen: "Ich habe insgesamt den Eindruck, die Verfasser der Studie hätten gründlicher arbeiten können."

Heße: Mitverantwortung, keine Schuld

Er bestätigte Recherchen von "Christ und Welt", nach denen er das Erzbistum Köln kurz vor der geplanten Präsentation in einer Stellungnahme auf Probleme der Studie aufmerksam gemacht habe: "Ich habe auf datenschutzrechtliche und persönlichkeitsrechtliche Aspekte hingewiesen." Heße verlangt laut dem Blatt, dass die Studie nur zusammen mit seiner Sicht veröffentlicht werden darf. Auf die Frage, ob er gegen das Erzbistum Köln oder die beauftragte Münchner Kanzlei juristisch vorgehen werde, wenn seine Forderung nicht erfüllt werde, antwortete Heße: "Ich setze auf den gesunden Menschenverstand im Erzbistum Köln und in der Kanzlei in München."

Angst um sein Amt hat der Erzbischof nach eigenen Worten nicht: "Ich stelle mich der Aufarbeitung." Er trage zwar keine Schuld, wohl aber eine Mitverantwortung "für ein System, das zweifelsohne Leid verursacht hat".

Heße räumte ein, dass der Umgang mit den Missbrauchsfällen damals sehr schwierig gewesen sei. "Wir sind nun mal nicht die Polizei oder Staatsanwaltschaft. Unsere Möglichkeiten, die Wahrheit zu recherchieren, sind begrenzt." Auf die Gespräche mit Tätern und Betroffenen sei er nicht vorbereitet gewesen. "Dafür war ich nicht ausgebildet. Das sehe ich heute als großes Defizit." Wie groß die Dimension des sexuellen Missbrauchs in der Kirche sei, sei ihm als Personalchef erst im Laufe der Zeit bewusst geworden. Für die heutigen Standards sei er sehr dankbar.

Missbrauchsakten im Erzbistum Köln vernichtet

Heße räumte zudem ein, dass Akten mit Hinweisen zu Missbrauchsfällen in einem Geheimarchiv gelagert und regelmäßig vernichtet worden seien. In seiner Zeit als Personalchef habe er diese Praxis dann gestoppt. Im Geheimarchiv würden eigentlich Akten gelagert, die der normalen Personalakte entzogen werden sollen, um den Persönlichkeitsschutz zu wahren, erklärte Heße. Auf Nachfrage räumte er ein: "Es war natürlich auch Herrschaftswissen. Und es waren die delikaten Fälle: Es war all das, was nicht vorkommen sollte." Es habe den "Ritus" gegeben, die Akten nach zehn Jahren durchzuschauen und zu vernichten. "Ich habe das einmal erlebt und mir zunächst wenig dabei gedacht." Als sich ein Missbrauchsopfer bei ihm meldete, habe er den Fall nicht mehr in den Akten finden können. "Ich habe dann sofort klar gehabt: Solche Akten müssen erhalten bleiben", sagte Heße.

Mittlerweile arbeite eine eigene Fachgruppe an den Standards zur Aktenpflege in allen deutschen Diözesen. Dies sei eine Konsequenz der 2018 veröffentlichten Missbrauchsstudie der deutschen Bischöfe. Im Erzbistum Hamburg, dem Heße seit 2015 als Erzbischof vorsteht, würden keine Akten vernichtet, versicherte er.

Missbrauchsfälle waren laut Heße auch schon 2006, als er Personalchef im Erzbistum Köln wurde, Chefsache. Mit Prälat Norbert Trippen (1936-2017) habe es einen Ansprechpartner für Betroffene gegeben, der Fälle aufgenommen und "so ganz grob" geprüft habe. Heße habe dann auf dieser Grundlage zusammen mit der Justiziarin Akteneinsicht genommen und Gespräche mit Betroffenen und Beschuldigten geführt. Bei nächster Gelegenheit habe er Kardinal Joachim Meisner (1933-2017) und dem Generalvikar berichtet: "Ich habe jeden Fall Kardinal Meisner direkt dargelegt."

Meisner habe er dabei als jemanden erlebt, der sehr genau zuhört: "Jeder Fall lag anders, es waren schwierige Entscheidungen und da konnte man auch unterschiedlicher Meinung sein." Am Ende sei es immer "im Miteinander" gelaufen. Seine Haltung sei immer gewesen, "das Thema hinein ins Bistum zu tragen und klarzumachen, dass wir da ein Problem haben", so Heße. Allerdings habe das nicht jeder hören wollen.

Höhere Zahlungen an Missbrauchsopfer

Weiter sprach sich Heße für eine Aufstockung der Anerkennungszahlungen an Missbrauchsopfer innerhalb der katholischen Kirche aus. "Ich habe mich in der Bischofskonferenz immer dafür eingesetzt, die viel zu geringen Summen deutlich zu erhöhen", sagte er. "Der Missbrauch beschäftigt die Betroffenen ein Leben lang. Und ich gehe davon aus, dass das bei der Reform des Systems der Anerkennungsleistungen auch berücksichtigt werden wird."

Die deutschen katholischen Bischöfe wollen noch in dieser Woche bei ihrer Vollversammlung in Fulda ein System für die Anerkennung des von Missbrauchsopfern erlittenen Leides beschließen. Einem Grundsatzbeschluss vom Frühjahr zufolge wollen sie sich an der zivilrechtlichen Schmerzensgeldtabelle orientieren. Diese sieht für sexuellen Missbrauch derzeit Summen zwischen 5.000 und 50.000 Euro pro Fall vor. Zuvor waren Leistungen von bis zu 400.000 Euro im Gespräch. Derzeit zahlt die katholische Kirche Opfern von Missbrauch durchschnittlich 5.000 Euro.

Statt Anerkennungsleistungen eine Entschädigung zu zahlen, lehnte Heße ab. So werde den Betroffenen erspart, ihren Missbrauch beweisen zu müssen, begründete er. Dies sei bei einer Entschädigung notwendig.

Der Erzbischof erklärte weiter: "Keine Summe kann das Leid kompensieren, das durch sexuellen Missbrauch angerichtet wird." Es sei selbstverständlich nicht befriedigend, dass ein so großes und schlimmes Unrecht mit einer Geldsumme verbunden werde: "Aber noch haben wir in unserer Gesellschaft offenbar keine bessere Form der Anerkennung gefunden."


Quelle:
KNA