Stauffenberg-Enkelin erinnert an ihren Großvater

Hätte ich den Mut?

Am 20. Juli 1944 missglückte das Stauffenberg-Attentat auf Hitler. Sophie von Bechtolsheim ist Enkelin von Stauffenberg und fragt sich und andere, was das Attentat von damals uns heute noch sagen kann. 

Zerstörung im Raum der Karten-Baracke im Führerhauptquartier Rastenburg, wo Oberst Stauffenberg am 20. Juli 1944 eine Sprengladung zündete / © Heinrich Hoffmann/UPI (dpa)
Zerstörung im Raum der Karten-Baracke im Führerhauptquartier Rastenburg, wo Oberst Stauffenberg am 20. Juli 1944 eine Sprengladung zündete / © Heinrich Hoffmann/UPI ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was empfinden Sie heute am Jahrestag des missglückten Attentats?

Sophie von Bechtolsheim (Autorin und Enkelin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg): Es ist für mich ein Tag mit zwei Bedeutungsebenen. Er hat auf der einen Seite eine historische Bedeutung, weil sich das Rad der Geschichte in eine andere Richtung hätte drehen können. Er hat für mich aber auch eine ganz aktuelle Bedeutung, wozu die Menschen und die innere Freiheit des Menschen fähig ist und wozu die innere Freiheit des Menschen befähigt.

DOMRADIO.DE: "Mein Großvater war kein Attentäter", das ist der Titel unter dem Sie vor zwei Jahren ein sehr persönliches Buch veröffentlicht haben und sehr viele sehr berührende Reaktionen auf dieses Buch bekommen haben. Diese greifen Sie in Ihrem jüngsten Buch auf. Was ist Ihnen da am meisten als Reaktion im Bauch, im Herz, im Kopf?

Von Bechtolsheim: Es fällt mir ganz schwer, da eine Auswahl zu treffen. Es waren Menschen, die unterschiedliche Sätze aufgegriffen haben in meinem Buch. Eine Dame hat zum Beispiel diesen Satz aufgegriffen diese Sehnsucht nach einem nahen Angehörigen zu verspüren, den man selbst nicht kennenlernen durfte. Andere wiederum haben Fragen an ihre Vorfahren aufgegriffen. Wie konnte es zur Katastrophe des sogenannten dritten Reiches kommen? Wie konnte es dazu kommen, dass sich so ein Unrecht etabliert hat von staatlicher Seite und eine Bevölkerung sozusagen dabei mitgemacht hat. Ganz unterschiedliche Fragen wurden sozusagen aufgegriffen und das hatte dann zur Folge, dass die Menschen mir ihre eigenen Bezüge und Familiengeschichten dargelegt haben. Ich bekam sehr persönliche Reaktionen.

DOMRADIO.DE: Was sind Ihre eigenen Fragen?

Von Bechtolsheim: Zum Beispiel diese Frage hat mich schon als Kind beschäftigt: Wie konnte es dazu kommen? Könnte so etwas nochmal passieren? Was könnte ich tun, würde ich es erkennen? Wäre ich Mitläufer? Hätte ich den Mut, wenn ich es erkennen würde, mich dagegen zu stellen? Woran kann man erkennen, dass sich Unrecht etabliert? Es geht ja nicht nur darum prinzipiell Wiederstand zu leisten. Das ist nicht der Identifikationsfaktor, der mich interessiert. Was mich interessiert sind die gruppendynamischen Effekte, die dann dazu führen können, dass solche Dynamiken solche Verbrechen nach sich ziehen. Woran kann man das im Keim erkennen und was kann man tun?

DOMRADIO.DE: Konnten Sie Ihre Fragen, beispielsweise an Ihre Eltern stellen?

Von Bechtolsheim: Ja, die habe ich gestellt. Mein Vater ist Jahrgang 38, der war bei Kriegsende sieben Jahre alt. Meine Mutter ist Jahrgang 44. Sie waren damals beide Kinder. Da bleibt natürlich die Antwort immer sehr hypothetisch, weil sie nicht und ich schon gar nicht in so eine Zeit hineingekommen sind. Meiner Großmutter habe ich diese Frage nicht gestellt, weil sie ja durch ihr Leben gezeigt hat, wie sie sich entschieden hat und wie sie Konsequenzen aus Erkenntnisprozessen gezogen hat. Nämlich hinter dem zu stehen, was ihr Mann für richtig befunden hat. Sie stand hinter den Entscheidungen, die ihr Mann getroffen hat und war mir immer ein Vorbild. Ob ich zur gleichen Erkenntnis fähig wäre, das ist ja eine rein hypothetische Frage.

DOMRADIO.DE: In Ihrem Buch dient das Bild des Rucksacks als roter Faden. Nämlich der Rucksack der Geschichte. Können Sie das kurz erklären?

Von Bechtolsheim: Das ist ein Bild, das aufgetaucht ist ganz am Anfang, als ich die ersten Interviews geführt habe. Ich weiß gar nicht mehr wer die Idee hatte und wer die Metapher aufgebracht hat. Die Idee war, dass wir wie ein Gepäckstück unsere Geschichte erben. Und zwar nicht nur die allgemeine aus den Geschichtsbüchern oder die von den Gedenktafeln oder aus dem Schulunterricht, sondern dazu gehört auch das Erleben in der eigenen Familie. Also der Anteil unserer Angehörigen an der Vergangenheit und dem Großen Ganzen. Die Zuschriften der Menschen an mich haben bestätigt, dass das eine große Last sein kann und dass es entlastend sein kann zu wissen was sich in diesem Rucksack befindet. Und dass es überhaupt nichts nützt zu behaupten, dass es keine Last ist. Das kann vielleicht eine Generation behaupten, es erfolgreich verdrängen und diesen Rucksack zugeschnürt und unausgepackt in der Ecke stehen lassen, aber gerade dieser Verdrängungsmechanismus kann dazu führen, dass die nächste Generation umso mehr unter dieser Unwissenheit leidet und wissen möchte: Woher komme ich eigentlich und was haben meine Altforderen eigentlich getan? Was haben die erlitten und verantwortet? Was haben sie verschuldet? Wie sind sie mit den Herausforderungen umgegangen? Das war so die Idee. Der Rucksack hat ja nicht nur Lasten, sondern er hat ja auch Proviant. Wenn man eine Bergwanderung macht, schleppt man die Last ja nicht nur um seiner selbst Willen auf den Gipfel, sondern weil sich Proviant darin befindet. Dieses Wissen darum, was in vergangenen Generationen erlebt wurde und entschieden wurde, kann ja wiederum auch Proviant sein, um die Zukunft zu gestalten. Deswegen war der Rucksack ein Bild, dass uns allen eingeleuchtet hat, auch meinen Gesprächspartnern. Dieses Bild hat ja auch sofort die Gespräche intensiv eröffnet. Wir sind dadurch sofort tief in die jeweiligen Lebensgeschichten eingestiegen.

DOMRADIO.DE: Es gab einen Stenografen, der ums Leben gekommen ist. Ihr Großvater war federführend beteiligt an diesem missglückten Attentat auf Hitler. Da ist ein Stenograf damals ums Leben gekommen und die Tochter dieses Anschlagopfers, die hat auf Ihr erstes Buch reagiert. Was war deren Schicksal?

Von Bechtolsheim: Also in dem Fall habe ich Kontakt mit ihr aufgenommen und meine Kontaktaufnahme war die Folge eines mir unbekannten Lesers meines ersten Buches. Dieser Leser hatte mir sehr freundlich geschrieben und die Diskussion um den Tyrannenmord aufgegriffen. Er fand diese Theorie sehr nachvollziehbar und fragte mich in einem Brief, ob ich die Tochter des Anschlagopfers kenne. Er kam ja aufgrund des Sprengsatzes, den Ihr Großvater deponiert hatte ums Leben. Diese Frage hat mich ins Herz getroffen. Diese Frage kam auch von einer guten Freundin, die auch von dieser Tochter wusste. In einer evangelischen Kirchenzeitung konnte man ein Interview mit Frau Johst, der Tochter, lesen. Der Impuls meiner Freundin und des unbekannten Lesers haben dazu geführt, dass ich Kontakt aufnehmen wollte. Und das habe ich gemacht. Das Schicksal von Frau Johst war so, dass sie die jüngste ist von drei Geschwistern. Ihr Vater war kurz vorher wunderbar mit der Familie in den Sommerferien und da gibt es ganz schöne Bilder, wo sie mit ihrem Vater abgebildet ist. Sie war damals zwei Jahre alt, kann sich natürlich an ihren Vater bewusst nicht erinnern. Diese Familie hat natürlich sehr mit dem Schicksal des Vaters gelebt und ist damit umgegangen. Frau Johst ist in der DDR aufgewachsen, sie ist in Cottbus aufgewachsen, lebt heute in Erfurt und ist eine sehr geschichtsbewusste Dame, die sich auch sehr gefreut hat, dass wir Kontakt hatten und uns gegenseitig über unsere Familiengeschichten austauschen konnten. Es besteht eine große Einigkeit darin, dass sie den 20. Juli für ein sehr wichtiges Ereignis hält und diesen Umsturzversuch für absolut notwendig hält. Sie bedauert es sehr, dass er nicht gelungen ist und zwar nicht nur, dass Hitler nicht ums Leben kam, sondern eben ihr Vater. Ein Ende des Schreckens wurde dadurch nicht möglich. Sie betrachtet ihren Vater als einen Mann, der auf tragische Weise ums Leben kam. Das war für mich sehr entlastend. Er ist gefallen, wie so viele andere Väter auch. Sie ordnet das in dieses ganze große Geschehen ein.

DOMRADIO.DE: Sie haben zwölf Geschichten lebendig werden lassen in Ihrem zweiten Buch. Die Beschäftigung mit der Nazizeit, was das alles angeht, da stehen wir vor einer Zeitenwende, weil die letzten Zeitzeugen tatsächlich hochbetagt sind und alle wegsterben. Was bedeutet das?

Von Bechtolsheim: Es zeigt natürlich, dass die Zeit des Nationalsozialismus jetzt wirklich in die Geschichte rutscht. Ich merke das auch an meinen Kindern, die natürlich nochmal weiter weg sind. Für die ist das nicht mehr so frappierend nahe wie es für mich nahe war oder nahe ist. Also ich fand immer diese Zeitenspanne zwischen meiner Geburt und Ende des Kriegs so erschütternd nahe. Das ist bei meinen Kindern natürlich wieder anders. Das ist einfach der Lauf der Zeit. Das ist gewissermaßen normal. Nichtsdestotrotz ist die Zeit des Nationalsozialismus eine Zeit eines unermesslichen und ungeahnten Zivilisationsbruches, der selbst wenn jetzt die letzten Zeitzeugen sterben, natürlich so unerhört ist in einer kultivierten Gesellschaft oder in einer Nation, die sich damals auch als Kulturnation begriffen hat. Es ist wichtig, das immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Den Gesprächspartnern, die ich hatte, war das auch wichtig. Davon sind leider schon zwei gestorben. Ihnen war wichtig diese Botschaft zu bringen: Wir haben das erlebt. Wir waren zwar Kinder und Jugendliche oder junge Erwachsene, aber wir haben das erlebt und wir wollen das Signal senden: Strengt Euch an, dass sowas nicht nochmal passiert.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Claus Graf Schenk von Stauffenberg / © N.N. (dpa)
Claus Graf Schenk von Stauffenberg / © N.N. ( dpa )
Quelle:
DR