Sie stelle nicht in Abrede, dass Seelsorge betrieben worden sei und dass einzelne Seelsorger "sich die Hacken abgelaufen haben", sagte sie am Donnerstag im Deutschlandfunk. Ihr habe jedoch ein offenes, durchschlagendes Wort der Kirchen gefehlt, das eine öffentliche Debatte über den Umgang mit sterbenden Menschen ausgelöst hätte.
Zu Pfingsten hatte Lieberknecht den Kirchen vorgeworfen, sie hätten die Menschen in der Pandemie im Stich gelassen. Zahlreiche Kirchenvertreter und Theologen wiesen diese Kritik zurück. Diese Reaktion habe sie als "verwunderlich" empfunden, sagte Lieberknecht: "Was habe ich mir als Politikerin von den Kirchen alles vorwerfen lassen müssen?" Sie sei etwa bei Themen wie Klimaschutz oder Atomausstieg scharf kritisiert worden - aber "nie auf die Idee gekommen, aufzuzählen, was ich alles mache". Vielmehr habe sie solche Kritik als "Problemanzeige" aufgefasst, über die debattiert werden müsse.
"Absolutheit nicht richtig"
Lieberknecht verwies auf Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der deutlich gemacht habe, dass Grundrechte gegeneinander abgewogen werden müssten. Schäuble hatte Ende April eine Debatte ausgelöst mit der Äußerung: "Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz des Lebens zurückzutreten, dann muss ich sagen, das ist in dieser Absolutheit nicht richtig". Zuvor sei die Debatte fast ausschließlich von Virologen und Epidemiologen geprägt gewesen, sagte die Politikerin. Eine entsprechende Positionierung habe sie sich auch von den Kirchen gewünscht.
Wenn Menschen stärker als üblich an die Grenzen des Lebens stießen, sei es eine klassische Kompetenz der Kirchen, darauf einzugehen, betonte Lieberknecht. Sie selbst stehe "zur Relevanz von Theologie in unserer Gesellschaft und für unsere Gesellschaft". Es stelle sich die Frage, wie relevant eine solche Positionierung für die Mehrheit der Menschen noch sei.