domradio.de: Wie sehr ist dieser Wirbelsturm ein Rückschlag für Adveniat?
Margit Wichelmann (Adveniat-Haiti-Länderreferentin): Eine solche Katastrophe ist immer ein Rückschlag für uns und vor allem für unsere Projektpartner. Es ist noch ein bisschen zu früh, um genau zu wissen, inwiefern sich das auf unsere Projekte auswirkt. Klar ist, dass sich die Situation in Haiti massiv verschärft und unsere Projektpartner vor dem Nichts stehen.
domradio.de: Was berichten denn Ihre Projektpartner über die Situation vor Ort?
Wichelmann: Die Lage ist verheerend. Zu vielen Teilen des Landes ist der Kontakt immer noch sehr schwer, weil sowohl die Verkehrs- als auch die Kommunikationswege abgeschnitten sind. Es erreichen uns jetzt nach und nach Nachrichten und viele schreiben uns, dass sie vollkommen hilflos und ratlos sind. Die Kirche hat dort viele katholische Schulen. Die sollten gestern wieder ihre Türen öffnen, um den Kindern ein bisschen Normalität zurückzugeben. Uns erreichen Schreiben, wo gesagt wird: unsere Schulen sind alle abgedeckt, wir haben überhaupt keine Räumlichkeiten, wir wissen nicht, wie wir das bewerkstelligen sollen. Die Menschen leben im Provisorium, zusätzlich kommt die wieder aufflammende Cholera-Epidemie dazu, sodass wirklich große Not und Verzweiflung herrschen.
domradio.de: Nach dem schlimmen Erdbeben 2010 fielen die internationalen Hilfsorganisationen und -initiativen fast wie die Heuschrecken in Haiti ein, auch, weil sich damit Spenden generieren ließen. Auch UN-Truppen sind dort schon seit langem stationiert - warum zeigt diese Hilfe so wenig Wirkung?
Wichelmann: Ich glaube, das liegt daran, dass Haiti so vielen Problemen gleichzeitig ausgesetzt ist. Haiti ist schon seit langem ein Land, wo es an stabilen staatlichen Strukturen fehlt, so dass überhaupt keine koordinierte Hilfe möglich ist. Nach dem Erdbeben sind viele Institutionen ins Land gekommen, die Haiti vorher gar nicht kannten. Die meisten haben aus gutem Willen gehandelt, aber sehr punktuell und wenig strategisch koordiniert Hilfe geleistet. So sind die Dinge dann sehr schnell verpufft oder sind an den tatsächlichen Bedürfnissen vor Ort vorbeigeplant gewesen, und die Haitianer waren sehr wenig eingebunden in diese Prozesse. Deswegen ist viel Hilfe nicht da angekommen, wo sie notwendig gewesen wäre. Vor allem hat sie nicht zu der langfristigen Entwicklung beigetragen, die nach dem Beben erhofft war.
domradio.de: Nach dem verheerenden Erdbeben von 2010, als mehrere hunderttausend Menschen umkamen, schwor sich die Weltgemeinschaft, Haiti dürfe nie wieder in Vergessenheit geraten. Trotzdem scheint genau das in den letzten Jahren passiert zu sein. Warum?
Wichelmann: Ich werde manchmal wütend, wenn ich darüber nachdenke: Eigentlich interessiert sich die Weltgemeinschaft überhaupt nicht für Haiti. Das liegt daran, dass es dort kaum Tourismus gibt, anders als im anderen Teil der Insel, der Dominikanischen Republik, wo viel Tourismus herrscht. In Haiti gibt es kaum Industrie und keine Bodenschätze von Interesse. Deswegen verschwindet Haiti immer dann aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit, wenn es gerade keine Naturkatastrophe oder politischen Unruhen gibt. Das ist fatal, denn die Aufmerksamkeit schwindet, aber die Not bleibt.
domradio.de: Adveniat hat 45.000 Euro Soforthilfe für Hurrikan-Opfer nach Haiti und Kuba geschickt. Wie geht es weiter?
Wichelmann: 45.000 Euro ist natürlich angesichts der Notlage, die dort herrscht, noch nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein, sondern ein Zeichen der Solidarität und der Unterstützung. Viel wichtiger ist es, langfristig Partner zu bleiben - und das ist Adveniat auch schon vor dem Beben gewesen - und gemeinsam mit der Kirche zu schauen, was jetzt notwendig ist. Vor allem, wenn die erste Nothilfe vorbei ist und viele Institutionen das Land wieder verlassen, muss man schauen, was die Kirche braucht, um an der Seite der Menschen zu stehen, um sowohl im Sozialen als auch im seelsorglichen Bereich Hilfe zu leisten und da treu zu bleiben und Haiti nicht zu vergessen.