Es ist eine Nachricht, deren Tragweite manche Deutsche erst allmählich begreifen: Am Sonntag machte Polen aufgrund der Corona-Krise seine Grenze dicht. Angehörige von Senioren, die von polnischen 24-Stunden-Kräften betreut werden, sind nun im Alarmmodus.
Manche Betreuerinnen haben kurzfristig ihre Sachen gepackt, aus Angst, nicht mehr nach Hause zu kommen. So erging es auch Karin B. "Die Polin meiner Mutter hat einen der letzten Busse bekommen und ist Hals über Kopf zurück nach Polen gefahren." Nun hat die Freiberuflerin ein ernstes Problem.
Familiennetzwerk aktiviert
Mindestens drei Wochen bis zum nächsten regulären Wechsel gilt es zu überbrücken. Doch ob ihre andere, bewährte Kraft aus Polen danach überhaupt kommt, sei mehr als fraglich, sagt Karin B. Denn die Frauen, die zur Seniorenbetreuung nach Deutschland kommen, seien oft in einem Alter, in dem sie sich nun um ihre eigenen Eltern kümmern müssten, weiß die Bonnerin.
Nun hat die 60-Jährige ihr Familiennetzwerk aktiviert: Mit ihrer Schwester, die selbst in der Altenpflege arbeitet und entsprechend eingespannt ist, Schwägerin, zwei Neffen und Cousine hat sie die Whatsapp-Gruppe "Team Oma" gegründet. Über einen ausgetüftelten Wochenplan wird die Betreuung der Parkinsonpatientin koordiniert: "Wer ist wann bei ihr? Wer zieht ihr die Kompressionsstrümpfe aus?
Wer bringt Essen? Wer geht einkaufen? Wer hilft beim Duschen? Wer macht die Wäsche?", zählt sie auf. Der Plan werde an alle rumgeschickt, Leerzeiten würden mit Einzelbesuchen aufgefüllt. "Über den Tag hinweg ist immer mal jemand da." Abends und nachts vertraut sie im Notfall auf das Hausnotrufgerät.
Auch Barbara Kilian macht sich Sorgen um die Betreuung ihrer 95-jährigen Mutter. Noch wird die alte Dame von einer Kroatin betreut. "Sie ist perfekt - nun hoffen wir, dass sie länger bleibt", sagt die 62-Jährige. Denn in Corona-Zeiten werde wohl keine neue Frau nachkommen. Kilian weiß, wie herausfordernd die Betreuung der schwerdementen alten Mutter ist; "24 Stunden bei meiner Mutter - das ist auch psychisch sehr anstrengend".
Bislang sei die junge Betreuerin in ihrer Mittagspause zum Ausgleich ins Fitnessstudio gegangen und habe dort auch ihre sozialen Kontakte gehabt. Aber auch das Studio hat nun geschlossen. "Ich bemühe mich schon, sie zu unterhalten", sagt die Marlerin, "ich zeige ihr heute noch Radwege und eine mögliche Joggingstrecke".
Die Vermittlungsagentur Pflegehelden schreibt auf ihrer Homepage, dass Anreisen nach Deutschland "theoretisch" noch möglich seien, "aber entweder wollen die Pflegekräfte kein Risiko eingehen, oder es gibt keine Verbindungsmöglichkeiten". Auch habe ein Großteil der Busunternehmen ihre Fahrten eingestellt. Die Agentur geht davon aus, dass in den kommenden zwei Wochen "kaum oder keine" neuen Pflegekräfte mehr anreisen.
Kurzarbeit und Homeoffice
Möglich, dass Kurzarbeit und Homeoffice manchen betroffenen Familien helfen, die Betreuung innerhalb der Familie wenigstens stundenweise sicherzustellen. Barbara Kilian hat indes "keinen Plan B". Fest steht für sie nur, dass ihre Mutter nicht mehr alleine bleiben kann, und ihre Daria irgendwann ihre Familie und ihren Freund in Kroatien wiedersehen möchte. Und vorübergehend wieder bei der Mutter einziehen?
"Ich glaube nicht, dass ich das stemmen kann." Vielleicht bleibe dann doch der Umzug in ein Altenheim die letzte Option, meint Kilian. Aber ob sie da so schnell einen Platz bekommen werde? Die Gefühlslage der 62-Jährigen - "wir befinden uns alle derzeit in einer krassen Ausnahmesituation".
Karin B. ist etwas abgeklärter. Bis sie im vergangenen Jahr eine dauerhafte Betreuung für ihre Mutter gefunden hatte, habe sie sich 24 Stunden um die alte Dame gekümmert - und abends und nachts als Coach gearbeitet. "Ich habe bei meiner Mutter mit meinen Hunden auf dem Boden in ihrem Wohnzimmer geschlafen." Sie hofft, dass es in der Corona-Krise nicht ganz so schlimm kommt. "Ich bete zu Gott, dass meine Mutter so stabil bleibt, wie sie gerade ist."
Ein Gutes sieht die Bonnerin in der Krise: "Man lernt den Wert der Familie kennen." Sie sieht auch eine Chance zu erleben, "dass Menschen für Menschen da sind". Dafür müssten die betroffenen pflegenden Angehörigen aber auch von ihren Arbeitgebern entlastet werden.