Hans-Gert Pöttering zum EU-Parlamentspräsidenten gewählt

"Europaparlament muss mehr mit Kirchen reden"

Der Deutsche Hans-Gert Pöttering (CDU) ist neuer Präsident des Europäischen Parlaments. Bei der Wahl in Straßburg am Dienstag erhielt er von 715 abgegebenen Stimmen 450. Der 61-jährige Jurist war zuletzt Chef der stärksten Fraktion im Parlament, der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP). Als Kandidat für das Präsidentenamt wurde er sowohl von Konservativen als auch von Sozialdemokraten und Liberalen unterstützt.

 (DR)

EVP und Sozialdemokraten hatten vereinbart, die Präsidentschaft während der Legislaturperiode 2004-2009 untereinander aufzuteilen. Pöttering löst nun im Präsidentenamt den spanischen Sozialisten Josep Borrell ab. Grüne, Linkspartei und die europaskeptische Fraktion "Unabhängigkeit/Demokratie" hatten jeweils eigene Bewerber aufgestellt.

Pöttering, der aus dem niedersächsischen Bad Iburg stammt, sitzt schon seit der ersten Direktwahl 1979 in der europäischen Volksvertretung. Als Parlamentspräsident will er sich unter anderem für die Verabschiedung einer EU-Verfassung und einen "Dialog der Kulturen" mit der islamischen und arabischen Welt einsetzen. Dabei will er eng mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammenarbeiten, die derzeit EU-Ratspräsidentin ist.

EU-Verfassung möglich
Bei gutem Willen sei auch eine Einigung im Streit um die in Frankreich und den Niederlanden in Volksabstimmungen gescheiterte EU-Verfassung möglich, so Pöttering. Er sprach sich dafür aus, die Grundrechtecharta in der EU-Verfassung zu behalten. Außerdem sollten vor allem die für die Handlungsfähigkeit der EU notwendigen Reformen erhalten bleiben. Es dürfe keine Neuverhandlung des Dokuments geben, sondern nur eine Straffung, ohne die wesentlichen Inhalte aufzugeben.

Gottesbezug kaum noch zu verwirklichen
Skeptisch zeigte sich Pöttering, ob ein Gottesbezug oder die Erwähnung des jüdisch-christlichen Erbes in der EU-Verfassung noch zu erreichen sei. Er habe sich dafür bei der Ausarbeitung des Entwurfs sehr stark eingesetzt, sei aber gescheitert, räumte der bisherige EVP-Fraktionsvorsitzende ein. "Das wird auch sehr schwierig zu verwirklichen sein, so wie die Dinge sind", sagte Pöttering. Die christlichen Werte wie Menschenwürde und Menschenrechte seien aber Bestandteil der Verfassung. Mit Blick auf die Benennung eines Saales im Europaparlament nach dem verstorbenen Papst Johannes Paul II. sagte Pöttering, ein solcher Wunsch "sollte sicherlich als Teil eines Gesamtpaketes eingebracht werden".

Pöttering riet der gegenwärtigen deutschen EU-Präsidentschaft, deutlich zu machen, dass bei einer Vielzahl von Themen nur europäische Lösungen sinnvoll seien. Dies gelte etwa für die Bekämpfung des Terrorismus, den Dialog der Kulturen besonders mit der islamischen und der arabischen Welt, Migration und Asyl sowie die Energieversorgung. Wenn dieser Gedanke der Solidarität stärker vermittelt werde, könnten die Bürger erkennen, dass die EU für sie persönlich eine große Bedeutung habe.

Das Interview im Wortlaut
KNA: Herr Pöttering, Sie sind seit Dienstag nicht mehr EVP-Fraktionsvorsitzender und die Wahl zum Präsidenten des Europaparlaments findet erst kommende Woche statt. Können Sie als einfacher Abgeordneter denn überhaupt noch etwas erreichen?

Pöttering: Aber selbstverständlich! Jeder Abgeordnete des Europäischen Parlaments ist wichtig und hat seine Bedeutung und Würde. Und das Besondere am Europäischen Parlament ist, dass jeder Abgeordnete, der eine Sache voranbringen will, das auch tun kann in den Fraktionen und im Gesamtparlament. Gerade das aktive Handeln, Initiativen zu ergreifen und sich auch schrittweise durchzusetzen, das gehört zu den ganz besonderen Merkmalen des Europäischen Parlaments.

KNA: Das Europaparlament gilt als bürgernah, trotzdem ist die Distanz zwischen Bürgern und Europa groß. Wie kann die deutsche EU-Präsidentschaft diese Kluft verringern?

Pöttering: Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg. Und wenn es gelingt, beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs, des Präsidenten des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission am 25. März eine zukunftsweisende Gemeinsame Erklärung zur Zukunft Europas zu verabschieden, dann wäre dies ein sehr positives Signal. Eine solche Erklärung sollte sich bekennen zu unseren europäischen Werten, zur Notwendigkeit von Reformen und zur Solidarität der europäischen Völker untereinander. Wenn dieses dann Ende Juni dazu führt, dass wir auch methodisch eine Entscheidung der Staats- und Regierungschefs darüber bekommen, wie es weitergehen soll mit den Reformen, mit der Verwirklichung unserer Werte, dann wären dies sehr positive Signale, um Europa den Menschen näher zu bringen.

KNA: Konkret heißt das?

Pöttering: Vor allem sollte die deutsche Präsidentschaft zusammen mit der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament immer wieder zum Ausdruck bringen, dass wir nur gemeinsame europäische Lösungen haben können - zum Beispiel bei der Bekämpfung des Terrorismus, beim Dialog der Kulturen besonders mit der islamischen und der arabischen Welt, dass wir gemeinsame Lösungen brauchen bei Migration und Asyl und bei unserer Energieversorgung. Kein Volk, keine Nation in der EU darf mit diesen Problemen alleine gelassen werden. Das sind Herausforderungen für uns alle. Und wenn dieser Gedanke der Solidarität stärker vermittelt wird, dann, glaube ich, erkennen auch die Bürgerinnen und Bürger, dass diese EU für sie persönlich konkret eine große Bedeutung hat.

KNA: Sie haben die Diskussion um die EU-Verfassung indirekt erwähnt. Wie schätzen Sie die Chance ein, dass ein Gottesbezug oder eine Erwähnung des christlich-jüdischen Erbes in dieses Dokument noch hinein kommt?

Pöttering: Keine Fraktion hat sich so wie die EVP dafür eingesetzt, den Gottesbezug und die Erwähnung des jüdisch-christlichen Erbes in die Verfassung hineinzubekommen.
Dies ist leider nicht gelungen. Das wird auch sehr schwierig zu verwirklichen sein, so wie die Dinge sind. Aber ich bitte doch, nicht zu übersehen, dass diese christlichen Werte Bestandteil der Verfassung sind: die Würde des Menschen, Menschenrechte, die Benennung des Menschen als Person, das sind christliche Begriffe.
Solidarität und Subsidiarität sind Bestandteil der europäischen Verfassung. Im Artikel 52 werden der Wert und die Bedeutung der Kirchen und Religionsgemeinschaften zum Ausdruck gebracht, und es soll ein besonderer Dialog zwischen den Kirchen und den europäischen Institutionen bestehen. Insgesamt müssen wir sagen, dass unsere Werte in der Verfassung enthalten sind.

KNA: Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass es überhaupt zu einer Lösung der Verfassungskrise kommen kann?

Pöttering: Es darf keine Neuverhandlung des Verfassungstextes geben, sondern man muss Bemühungen unternehmen, den Text zu straffen, ohne die wesentlichen Inhalte dabei aufzugeben. Das bedeutet für mich, dass der zweite Teil der Verfassung, die Grundrechtecharta mit der Formulierung der Werte, angenommen werden sollte. Im Teil eins sollten vor allem die Reformen, die wesentlich sind für die Handlungsfähigkeit der EU, erhalten bleiben. In einem solchen Sinne, mit der Erhaltung der Substanz und des Kerns der Verfassung, sollten Anstrengungen unternommen werden, sie zu verwirklichen. Wenn alle guten Willens sind, dann können wir auch erfolgreich sein.

KNA: Sie hatten gerade den Dialog der EU-Institutionen mit den Kirchen angesprochen. Bislang wirkt es so, als sei dieses Gespräch vor allem bei der EU-Kommission angesiedelt. Sollte sich daran etwas ändern, wenn Sie zum Präsidenten des Europaparlaments gewählt werden?

Pöttering: Man muss da etwas präzisieren. Sie haben Recht, was das Gesamtparlament angeht. Was aber die von mir bisher geführte Fraktion angeht, so war es anders. Wir haben einen regelmäßigen Kontakt, auch ich ganz persönlich, mit der EU-Bischofskommission COMECE. Wir haben einen ständigen Dialog auch mit der orthodoxen Kirche, mit protestantischen Kirchen - dieses ist schon heute sehr intensiv. Was das Parlament als Institution angeht, so müssen wir in Zukunft dafür Sorge tragen, dass das Europaparlament auch eine bedeutende Rolle im Dialog mit den Kirchen und den Religionsgemeinschaften bekommt und dies nicht beschränkt wird auf die EU-Kommission und den EU-Ministerrat.

KNA: Nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. gab es Anregungen, einen der im Bau befindlichen Flügel der Europaparlaments-Gebäude in Brüssel oder zumindest einen der neuen Sitzungssäle nach dem verstorbenen Papst zu benennen. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass eine solche Benennung erfolgt?

Pöttering: Wir müssen über die Frage der Benennung von Räumen nach großen historischen Persönlichkeiten eine Debatte zwischen den Fraktionen führen. Es gibt auch Wünsche in anderer Richtung.
Der Wunsch, einen Saal nach Papst Johannes Paul II. zu benennen, sollte sicherlich als Teil eines Gesamtpaketes eingebracht werden.

Interview: Christoph Lennert (KNA)