Von Sass spricht über sein Buch "Atheistisch Glauben"

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen"

Atheismus und der Glaube an Gott schließen sich nicht aus, sagt der Berliner Theologe Hartmut von Sass. Vielmehr präzisiert der Atheismus, was es mit Gott heute noch auf sich haben kann, betonte er im Interview.

Autor/in:
Johannes Schröer
Atheismus / © Wolphgang (shutterstock)

"Atheistisch glauben scheint nicht viel besser zu klingen als fingerlos Geige spielen", schreibt der Theologe Hartmut von Sass in seinem Buch mit eben diesem Titel: "Atheistisch Glauben" – ein provokanter Titel, denn Atheismus und Glauben widersprechen sich doch. 

Es gibt keinen allmächtigen Gott

Von Sass ist Titularprofessor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im DOMRADIO.DE Interview erklärt er, warum Atheismus und Glauben durchaus miteinander vereinbar sind.

Hartmut von Sass / © Johannes Schröer (DR)
Hartmut von Sass / © Johannes Schröer ( DR )

Dafür wirft er einen genauen Blick auf den Begriff Atheismus, der sich seit der Aufklärung im Gegensatz zu einem ganz bestimmten Theismus formiert hat. Dieser in den Kirchen institutionell fest verankerte Gottesbegriff, der Gott als allmächtigen Lenker und Ordner der Welt personalisiert, verschwindet in unserer säkular geprägten Welt zunehmend, und damit verschwindet auch der herkömmliche Atheismus aus den Diskussionen und dem Bewusstsein. Hier unterscheidet von Sass zwischen Atheismus und Unglauben, denn ungläubig Glauben - das wäre in der Tat ein Unsinn. Der Theologe beobachtet, dass Gott in der sich als säkular begreifenden Welt zwar noch präsent ist, aber eher als unklares, indifferentes Etwas, das kaum noch in den alten Kirchenbegriffen wahrgenommen oder gedacht wird. Von Sass schlägt vor, sich von der personalistischen Redeweise von Gott als allmächtigen Ordner der Welt zu verabschieden. Damit sei dann auch die nicht zu beantwortende Theodizee-Frage, das heißt die Frage, wie ein allmächtiger, guter Gott das Leiden in der Welt zulassen könne, aus der Welt. 

Anfechtungen auf dem Weg zum Glauben

Atheismus als Ablehnung eines allmächtigen Gottes könne aber durchaus mit einem Glauben an Gott einhergehen, sagt von Sass. Mit seiner atheistischen Theologie will er nicht einer Religion ohne Gott das Wort reden. Gott ist für ihn weiter präsent, aber eher als etwas Atmosphärisches, ein Geist, der einen umgeben könne. In der Bibel findet von Sass zahlreiche Beispiele für einen Gottesbegriff, der vielfältig und divers ist. Gott steht da für den heiligen Geist, die Geistgestalt Gottes und selbst für eine Art atheistischen Glaubens an Gott finden sich verschiedene biblische Zeugnisse, etwa wenn Jesus am Kreuz ruft: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen". Insofern kann die Bibel dem Gläubigen auch heute in seinen Anfechtungen einen Weg zum Glauben aufzeigen. 

Sich für den Glauben bewusst entscheiden

Dabei zitiert von Sass den Philosophen Ludwig Wittgenstein: "Es kommt mir vor", schreibt Wittgenstein, "als könne ein religiöser Glaube nur etwas wie ein leidenschaftliches Sich-entscheiden für ein Bezugssystem sein". In diesem Bezugssystem müsse man sich dann dem Glauben überlassen, das sei nichts Aktives, sondern eher als ein Geschenk zu begreifen, das einem in einem religiösen Raum zugespielt werde. Bei einer Meditation könne das ebenso der Fall sein wie bei einem Rosenkranzgebet oder einem Vater-Unser. 

Hartmut von Sass lädt mit seinem Essay "Atheistisch Glauben" dazu ein, darüber nachzudenken, wie wir heute über Gott reden und an ihn glauben können, ohne in eine Glaubenspose zu verfallen, die uns unserer Zeit und unserer säkularen Welt komplett entreißt.  

Quelle:
DR