DOMRADIO.DE: Können Sie verstehen, dass sich so viele Leute ein Haustier als Seelentröster zugelegt haben im letzten Jahr?
Dr. Rainer Hagencord (Leiter Institut für Theologische Zoologie in Münster): Absolut, ich finde übrigens jetzt Ihren Begriff sehr stimmig: "Seelentröster". Dass Tiere unserer Seele gut tun, also unser Innerstes berühren und bewegen. Ich arbeite hier in Münster auch mit zwei Eseln, zwei wunderbaren Poitou-Eseln, das sind Großesel. Und sie spielen eine große Rolle in der Arbeit, die ich hier mache. Ich bilde hier auch angehende Sozialarbeiterinnen, Heilpädagoginnen aus, die oftmals auch in Kindergärten, Schulen, in Altenheimen, mit den gerade genannten Protagonisten, also Hunden, Katzen, Eseln, die Seele der Menschen berühren.
Und darum verstehe ich ganz gut in dieser Extremsituation der Pandemie, wo wir auf uns zurückgeworfen sind, die Kraft der Tiere auch neu zu würdigen. Und die Spur führt dann natürlich auch in die Verantwortung. Die ist natürlich nicht zu übersehen. Was ist mit den Tieren, wenn die Krise vorbei ist? Müssen sie dann wieder, wie das oft so ist, irgendwo auf Rastplätzen abgesetzt und wieder irgendwann gerettet werden? Das ist das Problem, was sich auch zeigt. Also wird die Verantwortung für die Tiere auch ernst genommen?
DOMRADIO.DE: Denken Sie, dass die Verantwortung wirklich ernst genommen wird von den Leuten?
Hagencord: Ja, leider sind die letzten Jahre immer wieder auch davon geprägt, dass Tiere dann, wenn sie zu Weihnachten verschenkt oder geschenkt wurden, dann vor den Sommerferien in böser Weise entsorgt wurden. Das ist ein Punkt, der mir schon Sorge macht. Ich habe allerdings auch die Hoffnung, dass die Krise, die Pandemie dazu führt, unser Verhältnis zur Natur insgesamt zu bedenken.
Denn Auslöser der Pandemie ist: Der Missbrauch der Tiere, die Vernichtung ihrer Lebensräume. Der Erreger ist übergesprungen von Wildtieren. Der nächste Erreger wird kommen, sicherlich. Und er wird entweder aus der industriellen Tierhaltung kommen oder er wird wieder aus den Regionen kommen, wo wir die Lebensräume der Tiere vernichten. Das heißt, die Pandemie ist auch dazu angetan, unser Verhalten zu verändern, was nicht nur dazu führt, dass wir Tiere kaufen, sondern dass wir den Respekt vor den Tieren vergrößern.
Vor 20 Jahren hat mal jemand gesagt: Wir haben hier noch zwei Kategorien von Tieren. Die einen verwöhnen wir mit Haustierfutter und die anderen werden dazu verarbeitet. Also wer jetzt ein Tier als Haustier an seiner Seite hat, der möge auch bitte dringend über die Tiere nachdenken, die da in der Dose enden.
DOMRADIO.DE: Das heißt, wenn wir Menschen auf engem Raum mit so einem Tier zusammenleben, dann kann es vielleicht auch zu einem neuen Verständnis führen, dass das Tier wirklich ein Mitgeschöpf ist und nicht nur billiger Fleischlieferant?
Hagencord: Genau das ist das Wort. "Mitgeschöpfe" ist übrigens ein Wort, das in der Enzyklika unseres Papstes Franziskus "Laudato si", die jetzt fünf Jahre alt ist, eine große Rolle spielt. Wir sind nicht vom Himmel gefallen, wir Menschen. Franziskus sagt: Wir sind Erde und all das, was uns umgibt, die Welt der Pflanzen und Tiere, das ist unsere Heimat. Und Jesus selber, so sagt Papst Franziskus, lebt in vollkommener Harmonie mit der Natur. Dass auch die Vögel des Himmels, die Lilien des Feldes, dass all das Orte sind, in denen wir Gott begegnen.
Doch darum ist das wichtig für uns gläubige Menschen. Vielleicht auch im Hinblick auf die ganzen Missbrauchsgeschichten, wo es ja auch um Abgründe geht und darum geht, wie wir mit dem Lebendigen umgehen und dass da vieles in der Kirche völlig falsch läuft. Wir haben hier eine Spur, die uns in einer anderen Weise mit dem Lebendigen verbindet, nämlich mit dem Lebendigen, zu dem wir gehören. Wir sind Geschöpfe, nicht vom Himmel gefallen.
DOMRADIO.DE: Und wenn ich jetzt Verantwortung für meine Mitgeschöpfe habe, dann kann es natürlich auch sein, dass ich mir eingestehen muss: Ich habe vielleicht einen Fehler gemacht, als ich mir das Tier angeschafft habe. Ich habe jetzt vielleicht nach dem Homeoffice keine Zeit mehr. Wie kann ich denn verantwortungsvoll damit umgehen, wenn ich das Tier nicht mehr zu Hause halten kann? Was kann ich machen?
Hagencord: Es gibt natürlich die Tierheime. Das ist allerdings wirklich der Notnagel. Es geht jetzt wirklich erstmal darum, bevor ich mir ein Tier anschaffe oder wenn es jetzt schon da ist, mich auch um ein Netzwerk zu kümmern. Also ich finde, das Tierheim kann nur der letzte Ort sein. Netzwerk heißt, mit Nachbarn, Nachbarinnen oder auch in der Verwandtschaft, im Freundeskreis zu schauen: Was passiert mit unserem Hund? Was ist mit der Katze, wenn wir in Urlaub fahren, also durchaus auch Teams bilden, die das Tier insgesamt vielleicht adoptieren? Ich habe Freunde, Freundinnen, die das praktizieren, also, dass der Hund zu zwei Familien gehört.
Das Interview führte Gerald Mayer.