DOMRADIO.DE: Wie haben Sie unter den vielen Heiligen, die es so im ganzen Rheinland gibt, Ihre Auswahl getroffen?
Rüdiger Liedtke (Autor des Buches "111 Heilige im Rheinland, die man kennen muss"): Es gibt unendlich viele Heilige, aber mein Kriterium war, immer Heilige zu nehmen, die man in irgendeiner Form antrifft. Also entweder als Reliquien, die in irgendeinem Sarkophag am Altar stehen oder irgendwo mit Knochen noch vertreten sind.
Aber auch einige Heilige, die ganz wesentliche Spuren im Rheinland hinterlassen haben, von denen man weiß, dass sie hier waren, die aber dann weitergezogen sind. Es ist eine üppige Auswahl von wichtigen und interessanten Persönlichkeiten - weiblich wie männlich.
DOMRADIO.DE: Am 12. September feiern die Katholiken Mariä Namen, weil im Namen der Gottesmutter Maria osmanische Eroberungen gestoppt worden sein sollen. Wohin können wir im Rheinland an diesem besonderen Tag am besten pilgern?
Liedtke: Es gibt einen Ort, der unschlagbar ist im Rheinland: Das ist Kevelaer am Niederrhein, auf einer Ebene mit Altötting in Bayern und Lourdes zu nennen. Da trifft man Maria an. Natürlich keine Reliquien der Maria, aber das ist ein so bedeutender Wallfahrtsort mit rund einer Million Pilger pro Jahr, dass ich ihn mit ins Buch hineingenommen habe. Die Geschichte ist auch so verrückt. Das Ganze ist eher zufällig entstanden.
Es war im Mittelalter, also zur Zeit des Großen Krieges um 1630 in etwa. Ein Kaufmann aus Geldern fuhr durch Kevelaer und hatte eine Erscheinung. Ein Blitz, ein Donner und dann hat eine Stimme gerufen: "Bau mir hier eine Kapelle!" Und hat er gesagt: "Mein Gott, wie interessant." Man weiß nicht, ob das alles so stimmt. Vielleicht hatte er auch was getrunken, vielleicht kam er von einem Fest. Aber es ist ihm ein zweites Mal passiert und seiner Frau auch.
Daraufhin hat er ein kleines Bilderstöckchen gebaut. Er und seine Frau haben ein Marienbild von einem Soldaten aus Luxemburg erstanden, ganz klein, sieben mal elf Zentimeter. Das haben sie in das Bilderstöckchen gebaut. Wie durch ein Wunder kamen unendlich viele Menschen und waren ganz begeistert davon. Man muss auch wissen, das war natürlich der Dreißigjährige Krieg und die Pest wütete, die Leute suchten Halt und Hilfe.
Das ging so rasant, dass nach wenigen Jahren schon aufgestockt werden musste und Kevelaer zu einem unglaublichen Ort wurde, mit der Kerzenkapelle und der Basilika. Es wurde in Windeseile der Wallfahrtsort am Niederrhein. Das kleine Bildchen steht heute noch, wie es damals hingestellt wurde.
DOMRADIO.DE: Jetzt stecken wir mitten in einer Krise. Corona betrifft uns alle. Welche Heiligen im Rheinland empfehlen Sie in dieser Corona-Krise?
Liedtke: Das ist natürlich schwer zu sagen. Aber es ist so, dass die Wallfahrten und Pilgerreisen schon wieder zunehmen, weil viele Menschen doch bei Heiligen Hilfe und Heil suchen. Natürlich habe ich im Buch – sie steht als Erstes drin, das ist aber rein zufällig, weil es in Aachen beginnt – die Heilige Corona, die direkt mit Seuchen nichts zu tun hatte, aber auch immer wieder angerufen wurde bei Seuchen.
Die hat etwa 300 nach Christus gelebt. Man findet und sieht sie dort auch. Sie war in einem Depot und jetzt über die Corona-Zeit hat man gesagt: Wir haben noch irgendwelche Reliquien von der heiligen Corona. Und man hat sie wieder geborgen aus dem Depot, auch in einem wunderbaren Schrein. Der ist jetzt in der Domschatzkammer in Aachen zu sehen. Jetzt ist Aachen ganz stolz, dass die Domstadt Aachen die Corona bei sich hat.
DOMRADIO.DE: Haben Sie bei Ihrer Suche Heilige entdeckt, die keiner kennt?
Liedtke: Es gibt viele Heilige, die in der katholischen Kirche gar nicht ganz groß als Heilige genannt werden. Aber die Volksheiligen sind sogenannte Heilige, die bei den Menschen einfach so verehrt werden, dass sie seit Jahrhunderten heilig sind. Zum Beispiel der Heilige Salmanus in Würselen bei Aachen. Wer kennt denn? Auch Würselen ist ja nicht so bekannt.
Aber der Heilige Salmanus spielte eine ganz besondere Rolle bei Lungenkrankheiten. Es hängt natürlich mit dem Bergbau, mit dem Tagebau dort zusammen, dass immer schon viele Menschen krank waren. Und die sind zu ihm dorthin gepilgert und haben bei ihm Heil gesucht.
Ganz viele, so sagt die Legende, sind geheilt weggegangen. Auch heute stehen am Grab, am Sarkophag und an den Reliquien, da sind ein paar Knochen von dem heiligen Salmanus in der eher kleinen Kirche in Würselen, wieder die Menschen, wenn sie Not haben und keine Luft mehr kriegen.
DOMRADIO.DE: Würden Sie sagen, es gibt auch in unserer heutigen Zeit Heilige?
Liedtke: Ich denke, Heilige gibt es immer. Die Frage ist nur, ob sie heiliggesprochen werden. Menschen, die gute Taten tun, die hilfsbereit sind, haben natürlich auch in einer gewissen Weise etwas, das es in Ehre zu halten gibt. Die aktuellsten Heiligen und Seligen, die ich im Buch habe, sind natürlich die Märtyrer aus der Nazizeit.
Beispielsweise Edith Stein, die in Köln ja auch stark gewirkt hat und in Auschwitz umgekommen ist. Oder der Widerstandskämpfer Nikolaus Groß. Die Agneskirche in Köln steht dafür. Das sind so die aktuellsten Heiligen, die es heute gibt. Aber es ist nicht auszuschließen, dass natürlich auch heute immer wieder Menschen von der Kirche selig- und heiliggesprochen werden.
DOMRADIO.DE: Stimmt es, dass wir zurzeit wieder einen "Heiligen-Boom" erleben? Wie erklären Sie sich das?
Liedtke: Wallfahrten sind wieder in. Das muss man sagen. Ich sehe das an einer Wallfahrt in Heisterbacherrott bei Königswinter am Rhein. Da gibt es eine kleine Kapelle, in der eine Reliquie von Judas Thaddäus liegt. Judas Thaddäus kam aus der Familie Jesu. Man weiß es nicht, ob diese Reliquie echt ist, aber sie ist vom Erzbistum Köln als echt befunden worden.
Dort ist vor einigen Jahrzehnten eine Frau von einer Lungenkrankheit geheilt worden. Seitdem gibt es dort Wallfahrten. Die sind ein bisschen abgeebbt in den letzten Jahren und jetzt gibt es, auch im Rahmen von Corona und Ähnlichem, wieder einen Boom. Die Menschen wollen wieder Halt, Hilfe und Orientierung haben. Es ist ja nicht so, dass es so etwas wie die Pest im Mittelalter gibt. Aber es gibt unendlich viele Menschen, die sich Wallfahrten und Heiligtumsfahrten anschließen. Das ist fast eine organisierte Geschichte. Ja, es gibt einen neuen Wallfahrts- und Pilger-Boom.
Das Interview führte Katharina Geiger.