Die Frage, ob mehr ältere Menschen in der Corona-Krise vorübergehend in Heimen untergebracht werden sollen, hat heftigen Streit unter Experten ausgelöst. Während der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, dies befürwortet, lehnt der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, den Vorschlag strikt ab.
Abschottung in Heimen
Reinhardt sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", in Deutschland lebe im Vergleich zu Italien ein deutlich höherer Anteil der Hochbetagten in Alten- und Pflegeheimen und nicht unter einem Dach mit Kindern und Enkelkindern. "Das kann im Kampf gegen die Pandemie ein entscheidender Vorteil sein", erklärte der Bielefelder Allgemeinmediziner. Denn in Einrichtungen sei es eigentlich gut möglich, die besonders Gefährdeten vor Covid-19 abzuschotten.
Risikogruppe besser schützen
Mit Blick auf Familien, in denen Enkel und Großeltern zusammenleben, sagte der Ärztekammerpräsident: "Man muss auch in solchen Konstellationen nach Wegen suchen, ältere Familienmitglieder möglichst wenig direktem Kontakt mit Jüngeren auszusetzen." Das seien schwierige Fragen, "aber wir sollten uns ihnen stellen". Bei einer Lockerung der Anti-Corona-Maßnahmen "müssen wir die Risikogruppe besser schützen", fügte Reinhardt hinzu.
Meisten Covid-19-Patienten in Heimen
Brysch sagte, der Vorschlag Reinhardts sei "gefährlich ahnungslos". Schließlich steige gerade in vielen Pflegeheimen in Deutschland die Zahl der Opfer des Coronavirus an. "Die Nachrichten von infizierten Pflegebedürftigen und Pflegekräften sowie von Verstorbenen sind bedrückend", betonte Brysch. Es fehle an Atemschutzmasken, Brillen, Desinfektionsmitteln und Schutzkleidung: "Doch nichts geschieht, um diese Misere schnell zu beseitigen."
Deshalb seien Pflegeheime gerade ein hochgefährlicher Ort für Pflegekräfte und alte Menschen. Nicht ohne Grund versuchten jetzt viele Angehörige eine Heimunterbringung ihrer pflegebedürftigen Verwandten zu verhindern, sagte Brysch.