Sie sind der größte und wichtigste Pflegedienst in Deutschland: die Familien. 1,8 Millionen Menschen werden zu Hause in ihren eigenen vier Wänden versorgt - von Angehörigen und Freunden, oft mit Unterstützung von ambulanten Pflegediensten und Pflegekräften aus Osteuropa.
Vergangene Woche hatte die Deutsche Stiftung Patientenschutz von der Bundesregierung einen Krisenplan für die Altenpflege gefordert. Der für die Krankenhäuser entwickelte Notfallplan des Bundesgesundheitsministers sei gut, so Vorstand Eugen Brysch. Es brauche aber auch Krisenpläne und einen Notfallfonds für die 3,4 Millionen Menschen, die in Altenheimen und zu Hause versorgt würden.
BetreuerInnen bleiben lieber zu Hause
Am Dienstag schlugen auch der Verband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) und das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung Alarm. Insbesondere der Ausfall osteuropäischer Pflegekräfte könnte zum Versorgungsnotstand in den heimischen vier Wänden führen, hieß es. Zum Hintergrund: Vergangene Woche hatte Polen aufgrund der Corona-Krise seine Grenze dicht gemacht. Manche Betreuerinnen haben kurzfristig ihre Sachen gepackt, aus Angst, nicht mehr nach Hause zu kommen.
"Wir rechnen damit, dass ab Ostern 100.000 bis 200.000 Menschen schrittweise nicht mehr versorgt sind, dass sie alleine zuhause bleiben und dass sie dann in Altenheimen oder Kliniken versorgt werden müssen", sagte der Geschäftsführer des VHBP, Frederic Seebohm, in der Sendung "Report Mainz".
Und Michael Isfort vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung warnt: "Die Krankenhäuser können diese Personen nicht aufnehmen, weil sie die Plätze für Erkrankte brauchen. Die Pflegeheime sind voll, das heißt, dort können auch momentan nicht ad hoc tausende zusätzliche pflegebedürftige Menschen aufgenommen werden."
Lage in den Altenheimen
Derzeit sind nach Schätzung des VHBP rund 300.000 osteuropäische Betreuungskräfte in Deutschland tätig. 90 Prozent von ihnen arbeiten demnach schwarz. "Die Betreuungskräfte sind und waren immer schon systemrelevant, und dabei spielt es keine Rolle, ob sie legal oder illegal beschäftigt sind", fügte Isfort hinzu.
Auch in den Altenheimen könnte sich die Lage verschärfen. Es drohe ein Flächenbrand, warnt der Geschäftsführer des Deutschen Pflegeverbandes, Rolf Höfert. Berichte über zahlreiche Tote in italienischen und spanischen Heimen, aber auch über Todesfälle in deutschen Heimen, bestätigen die bedrohliche Situation.
Was, wenn Heimbewohner krank werden?
Einerseits kündigte beispielsweise NRW am Dienstag ein Bußgeld von 800 Euro für diejenigen an, die unerlaubt ein Heim oder ein Krankenhaus besuchen. Doch für die ohnehin überlasteten Pflegekräfte bedeutet der Ausfall von Angehörigen, die sich um die Pflegeheimbewohner kümmern, weiteren Stress.
Was tun, wenn Heimbewohner erkranken? Aus Sicht der Deutschen Stiftung Patientenschutz sind die meisten Pflegeheime nicht in der Lage, Corona-Patienten innerhalb der Einrichtung zu isolieren. "Es fehlt schlichtweg an Pflegekräften, Ärzten und Räumlichkeiten", so Vorstand Brysch.
Lösung: freiberufliche Pflegekräfte auf Honorarbasis?
Vergangene Woche vereinbarten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, mit den Pflegeverbänden ein umfangreiches Maßnahmenpaket, das die Altenpflege entlasten soll. So wurde der Pflege-TÜV bis Ende September ausgesetzt. Zudem sollen Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes - wenn möglich und erforderlich - an Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser und Gesundheitsämter abgestellt werden. Dies sind nach Angaben von Spahn bis zu 4.000 Pflegekräfte und 2.000 Ärzte. Ferner wird der Personalschlüssel in den Heimen ausgesetzt, um flexibler beim Ausfall von Pflegekräften zu sein.
Die Bundespflegekammer forderte am Dienstag, dass auch freiberufliche Pflegekräfte auf Honorarbasis in Heimen und Pflegediensten eingesetzt werden können. Es gebe im Moment viele freiberufliche Pflegekräfte, die Seminare geben und denen die Aufträge wegbrechen, hieß es. Auch Pflegende, die in einem anderen Beruf arbeiten und die gerade in Kurzarbeit geschickt wurden, würden dringend im Gesundheitswesen gebraucht.