DOMRADIO.DE: Frau Benner, Sie lebten 2004 schon viele Jahre in Thailand, deswegen waren Sie als Nothilfe-Expertin für die Malteser eine der ersten im Katastrophengebiet. Können Sie sich noch an ihren ersten Eindruck erinnern?
Marie Theres Benner (Nothilfe-Expertin, 2004 für Malteser International im Einsatz): Daran kann ich mich sehr gut dran erinnern, so etwas vergisst man nicht. Das war für mich von der professionellen Seite gesehen eine der größten Katastrophen, die ich als humanitäre Helferin mitgemacht habe. Und von daher ist mir das alles noch sehr präsent.
DOMRADIO.DE: Welche Bilder haben Sie bis heute vor Augen?
Benner: Das Bild einer Region, die komplett zerstört war von dieser Welle. Wir waren zuständig für den Bereich Khao Lak und sind von Phuket nach Norden hochgefahren und haben einfach nur Zerstörung gesehen. Das war ein Bild wie nach einem Bombenanschlag.
DOMRADIO.DE: Sie lebten damals in Thailand. Hatten Sie von dem Tsunami etwas mitbekommen, bevor Sie dann als Helferin in den Einsatz gingen?
Benner: Ich lebte damals schon seit vielen Jahren in Thailand, ich war im Norden ansässig mit einem großen Projekt der Malteser und war zu dem Zeitpunkt auf Heimaturlaub in Deutschland im schönen Westerwald. Und ich kann mich noch sehr gut dran erinnern, als ich morgens aufwachte, das Radio lief und dann kam plötzlich diese Nachricht, dass Asien von einem großen Seebeben getroffen wurde und dass es große Wellen gab. Aber es war noch nicht so präsent, es hat sich erst im Laufe des Tages und in den Tagen danach gezeigt, was was da wirklich passiert.
Ich wurde dann sofort von meinen Kollegen aus der Malteser Zentrale in Köln kontaktiert mit der Bitte, ob ich direkt wieder ausreisen könnte. Das habe ich dann natürlich gemacht: Ich bin sofort am 27. Dezember ausgereist. Unser Team aus Nordthailand war da schon auf dem Weg über Bangkok nach Phuket. Dort haben wir uns dann am 28. morgens getroffen und sind sofort ins Katastrophengebiet gefahren. Wir haben dann auch schon erste Hilfsmaßnahmen eingeleitet, weil wir aus Köln diverse Dinge mitgenommen hatten. Es gab auch direkt Frachtflüge mit Hilfsgütern, von daher waren wir sehr schnell einsatzbereit.
DOMRADIO.DE: Sie haben das Unfassbare hautnah miterlebt und gesehen, während Sie geholfen haben. Wie verarbeiten Sie so was?
Benner: Man muss in erster Linie funktionieren, weil das Teil der Arbeit ist. Die Betroffen müssen sich auf uns verlassen und das heißt, wir müssen funktionieren und die Dinge in Gang bringen, um Hilfe zu gewährleisten. Das war für uns alle zu diesem Zeitpunkt sehr schwer, weil diese Not und diese Zerstörung so massiv waren. Das hatte noch keiner von uns so erlebt. Wir haben Leichen gesehen, die da an den Stränden überall lagen. Das war ganz furchtbar und das hat uns natürlich sehr betroffen gemacht und teilweise auch hilflos, angesichts dieser massiven Zerstörung und dieser Not. Tagsüber funktioniert man und abends macht man sich Gedanken, ob man das alles schafft. Da fließen dann natürlich auch die Tränen, das ist gar keine Frage.
DOMRADIO.DE: Sie waren auch in anderen Katastrophengebieten im Einsatz: Auf den Philippinen beispielsweise nach dem Tropensturm "Haiyan" oder nach dem verheerenden Erdbeben in Nepal 2015 – war der Tsunami da doch noch mal ein anderer Einsatz?
Benner: Ich war auch nach dem Erdbeben in der Türkei 2023, aber der Tsunami ist für mich bis heute die prägendste Katastrophe in meinem professionellen Leben. Mit einer Wucht und so plötzlich, überhaupt kommen diese Naturkatastrophen naturgemäß immer so plötzlich, dass man völlig überwältigt ist. So war es auch in der Türkei, das war sehr schlimm mit all diesen Zerstörungen. Man sollte eigentlich keine Katastrophen vergleichen, aber ich würde immer noch behaupten, dass der Tsunami auch aufgrund der vielen Toten, die es gab - es waren ja über 250.000 Tote in der ganzen Region und das hat es danach nie wieder gegeben - das war schon sehr, sehr prägend, bis heute.
DOMRADIO.DE: Nach diesem Tsunami haben die Religionen unterschiedliche Antworten auf diese Katastrophe gefunden. Haben Sie sich manchmal gefragt, wie Gott so viel Leid und Zerstörung zulassen konnte?
Benner: Das ist eine sehr schwierige Frage. Hier ging aber in erster Linie um Geophysik und Erdplatten, die sich verschoben und diese große Katastrophe ausgelöst haben. Diese Frage, wie Gott so was zulassen kann, stelle ich mir eher bei menschengemachten Krisen, etwa bei den Kriegen, die wir jetzt sehen, in der Ukraine oder im Nahen Osten, wo ich zurzeit tätig bin für die Europäische Union. Da stellt sich schon häufiger die Frage, wie Gott so viel Leid zulassen kann, für die Frauen, die Kinder und die alten Menschen. Bei dem Tsunami habe ich mir nie diese Frage gestellt, weil einfach klar war, dass da ganz andere Kräfte eine Rolle spielen.
Das Interview führte Carsten Döpp.